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       # taz.de -- Best-of Ausstellungen: Unmögliche Reisen, verpasste Schauen
       
       > Von monströs-freundlichen Wesen, die in Schaukästen fluoreszierten in
       > Regensburg bis zu „Down The Rabbit Hole“ in Vilnius: verpasste Schauen in
       > 2024.
       
   IMG Bild: Wassernixen in „Go make thyself like a nymph o’ th’ sea“, eine Ausstellung von Tina Kohlmann im Regensburger Stadtraum
       
       Der Jahresrückblick ist vielerorts Sache der Festangestellten. Diese
       Kolumne könnte stattdessen ein (spekulatives) Best-of der verpassten
       Ausstellungen sein. Oder vielleicht auch der nicht besprochenen.
       
       Ganz vorn dabei wären sicherlich zwei Sommerschauen: Jana Eulers „Oilopa“
       im Brüsseler WIELS, zum Beispiel, oder „Go make thyself like a nymph o’ th’
       sea“, eine Ausstellung von Tina Kohlmann im Regensburger Stadtraum, den die
       Künstlerin in einem Shakespeare’schen Twist von Wassernixen besuchen ließ.
       Nach Einbruch der Dämmerung fluoreszierten die monströs-freundlichen Wesen
       magisch in ihren mannsgroßen Schaukästen.
       
       Nicht verpasst, aber ebenso nicht rezensiert: die kleine Schau „Down The
       Rabbit Hole“, gesehen dieses Frühjahr im litauischen Vilnius. Eine
       Ausstellung als ironischer Seitenhieb auf das um sich greifende
       Neo-Schamenentum, Selflove und völkisch-esoterische Umtriebe, die dem
       Gegenstand ihrer Kritik als Faszinosum und künstlerisches Sujet trotzdem
       einiges abgewinnen konnte.
       
       ## Aufmerksamskeitsökonomie
       
       Warum verpasst oder nicht besprochen? Zeitmangel, unmögliche Reiserouten
       mit der Deutschen Bahn, und dann finden die inhaltlich leichter zu
       verschlagwortenden Ausstellungen natürlich schneller Anklang. Die Kunst
       muss aufmerksamkeitsökonomisch mit anderen Sinnstiftern mithalten.
       
       Dabei gibt es an einer Sache derzeit doch wirklich keinen Mangel, in der
       Kunst wie im Journalismus, und das sind Thesen oder vielmehr Slogans. Auf
       Nachhaltigkeit und Frieden* können sich noch alle einigen, [1][auch die
       größten Autokratien] (viel Kritik an deren Nutzung der Softpower-Kultur
       findet man im sich gern kritisch verstehenden Thesenkunstbetrieb eher
       nicht).
       
       Im selben Maße, in dem die Kulturbranche und vielleicht am stärksten noch
       die Kunst als Heilsbringer oder Ersatzveranstaltung für reale Politik in
       Beschlag genommen wird – was sich nicht unbedingt monetär widerspiegelt –,
       scheint das Interesse an tatsächlicher Kunsterfahrung abzunehmen.
       
       ## Kunst interessiert keine Sau
       
       Aber vielleicht ist auch das nichts Neues, „Kunst interessiert keine Sau“,
       wusste Sandra Danicke ja schon 2011 mit ihrem gleichnamigen Buch. Außer
       eben, siehe oben. In dieser Zeitung musste sie sich mit den anderen Künsten
       immer schon nicht nur den Namen teilen, sondern auch den Platz. Was in
       Ordnung geht. Aber ein zweites taz-Lieblingsformat neben dem
       Jahresrückblick, der Rundgang durch die Berliner Galerien, wäre mit einer
       anderen Stadt redaktionell wohl undenkbar. Zu nischig, zu viel Kunst um der
       Kunst willen, vielleicht auch zu kommerziell.
       
       Dabei dürfte es etlichen Galerien jenseits des sechs- und mehrstelligen
       Blue-Chip-Markts, bei dem Sammler einkaufen, worauf sich eh schon jeder
       geeinigt hat, wirtschaftlich derzeit kaum besser gehen als dem
       durchschnittlichen Kunstverein. Doch einige der interessantesten, noch nie
       besprochenen Künstlerinnen entdeckt man zuerst hier.
       
       ## Himmlisch oder belanglos
       
       Am vermeintlich entgegengesetzten Ende des thesenverliebten Kunstformats
       verorten ließ sich dann noch diese Aufführung: eine
       Open-Air-Videoprojektion mit einer Filmarbeit im Loop von Refik Anadol,
       bekannt für seine AI-unterstützten Bilderreigen. Einige fanden das
       himmlisch oder fürchterlich oder belanglos, aber es erstarrte niemand in
       falscher Ehrfurcht, wie man sie beim Abnicken von Wandtexten öfters
       beobachten kann.
       
       So eine offensiv neoliberale Angelegenheit bot offenbar zumindest noch die
       Freiheit zum ästhetischen Individualurteil. Im Zweifel halt: „It’s ugly“,
       wie eine junge Besucherin beim Verlassen der Projektion bilanzierte.
       
       30 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Israel-Nan-Goldin-und-die-Linke/!6049717
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina J. Cichosch
       
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