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       # taz.de -- Roman über Gewalt gegen Frauen: Wenn Serienmörder zu gut aussehen
       
       > Aus der Sicht der Frauen: In „Bright Young Women“ schreibt Jessica Knoll
       > wütend gegen die Mythisierung von Gewalttätern an.
       
   IMG Bild: „Sind wir die Nächsten? Junge Frauen marschieren beim „March for Our Lives“-Protest in San Francisco am 24. März 2018
       
       Kein einziges Mal wird in „Bright Young Women“ der Name des Serienmörders
       genannt, der in den USA der siebziger Jahre mindestens dreißig Frauen
       tötete und dessen Bluttaten Vorlage geworden sind für zahlreiche Filme,
       Serien und Romane.
       
       Auch Jessica Knolls Roman gäbe es nicht ohne die Morde, die jener Mann
       beging. Aber die Autorin geht bewusst nicht in die Falle, die in der
       Faszination für das Böse liegt, und ändert radikal sowohl die Perspektive
       als auch die Blickrichtung der Erzählung: Nicht der Gewalttäter steht im
       Zentrum ihres Buches, auch nicht die Gewalt.
       
       Es geht im Gegenteil darum, den jungen Frauen, die jener Mann verletzte und
       tötete, Stimme und Gesicht zu geben. Knoll stützt sich auf die reale
       Geschichte einer Überlebenden; wie viel fiktionalisiert ist, bleibt unklar
       und spielt auch keine Rolle.
       
       Durch die Hauptfigur Pamela und ihre Erfahrungen wird exemplarisch nicht
       nur die Ausnahmesituation erlebbar, in die Menschen geraten, die Opfer oder
       Zeugen einer Gewalttat werden, sondern wird auch die sexistische
       US-amerikanische Gesellschaft der siebziger Jahre vorgeführt.
       
       ## Der Mörder läuft frei herum
       
       Im Sommer 1978 bricht am College von Tallahassee in Florida ein unbekannter
       Mann in ein Wohnheim für Studentinnen ein und greift die jungen Frauen
       brutal an. Vier Personen werden schwer verletzt, zwei von ihnen sterben.
       Zufällig sieht die Ich-Erzählerin Pamela den Täter, als er das Haus
       verlässt, weiß zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, was geschehen ist.
       Später wird sie zu einer Hauptbelastungszeugin.
       
       Vorerst aber läuft der Gewalttäter noch eine Weile frei herum und begeht
       einen weiteren Mord, bevor die Polizei ihn verhaften kann. Die Studentinnen
       leben derweil unter großer Anspannung; denn zwar wird ihnen von allen
       Seiten geraten, extrem vorsichtig zu sein, doch die offizielle
       Unterstützung bleibt extrem überschaubar. Weder finanzielle Hilfe noch
       psychologische Betreuung wird ihnen angeboten, und auch die blutbesudelten
       Zimmer der Opfer müssen die traumatisierten jungen Frauen ganz allein
       putzen.
       
       Diese hauptsächliche Handlung wird ergänzt durch eine Rahmenhandlung, die
       im Jahr 2021 spielt, und durch eine weitere Erzählung, die zurückführt ins
       Jahr 1974 und ebenfalls in Ich-Perspektive gehalten ist, was man formal aus
       mehreren Gründen fragwürdig finden kann. Generell ist Knoll keine große
       Stilistin; aber der Spannungsaufbau stimmt, und tatsächlich erweitert und
       verdichtet sich durch diese Ich-Erzählung eines früheren Opfers desselben
       Mörders das gesellschaftliche Gesamtbild auf überzeugende Weise.
       
       Für US-amerikanische LeserInnen (oder auch Menschen, [1][die gern
       Serienmörder-Serien gucken]), die mit den realen Details der historischen
       Fälle besser vertraut sein dürften, wird die Lektüre vermutlich den einen
       oder anderen Wiedererkennungseffekt bieten – oder die eine oder andere
       überraschende neue Erkenntnis.
       
       ## Nicht überdurchschnittlich intelligent
       
       Jedenfalls schreibt Jessica Knoll geradezu wütend gegen eine Mythisierung
       des Serientäters an, dessen gutes Aussehen und überdurchschnittliche
       Intelligenz in den Medien stets so hervorgehoben worden seien. Dabei seien
       seine akademischen Leistungen absolut unterdurchschnittlich gewesen, und
       auch sonst lasse sich keine besondere Intelligenz aus seinem Verhalten
       herauslesen.
       
       Dass dieser Punkt im Roman immer wieder betont wird, wirkt fast ein
       bisschen komisch, weist aber deutlich darauf hin, dass es in der Tat eine
       Mythisierung gibt oder gegeben haben muss. Man will sich nur sehr ungern
       vorstellen, dass der Richter, der ihn verurteilte, jenen frauenhassenden
       Serienmörder „Kumpel“ genannt hat, aber vielleicht ist ja sogar das
       wirklich passiert.
       
       28 Dec 2024
       
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