# taz.de -- Vorschläge für bessere Schulen: Mehr Führerschein wagen
> Der Bürgerrat Bildung und Lernen hat Vorschläge, um den Leistungsdruck an
> Schulen zu mindern. Die Ministerien reagieren zurückhaltend.
IMG Bild: Der Gymnasiast Sebastian Liess engagiert sich im Bürgerrat Bildung und Lernen
Dreieinhalb Jahre hat der Bürgerrat Bildung und Lernen über der Frage
gebrütet, wie sich das deutsche Bildungssystem verbessern lässt. Nun nähert
sich dieser Prozess dem Ende. Am Wochenende haben sich hundert bundesweit
per Los ausgewählte Bürgerrät:innen zur letzten von insgesamt sieben
Sitzungen in Leipzig getroffen.
Mit dabei waren auch 17 Schüler:innen im Alter von 10 bis 17 Jahren.
Gemeinsam haben sie den Handlungsbedarf für drei Bereiche diskutiert:
frühkindliche Bildung, Schulen und berufliche Bildung. Die konkreten
Empfehlungen müssen jetzt noch ausformuliert werden. Mit einem Ergebnis ist
laut der gemeinnützigen Montag Stiftung Denkwerkstatt, die den Bürgerrat im
Jahr 2021 ins Leben gerufen hat, bis Anfang des neuen Jahres zu rechnen.
Fest steht aber schon jetzt, dass sich viele Empfehlungen nach dem Input
der Betroffenen richten. „Mehrere Forderungen beziehen sich auf Themen, die
die Schülerinnen und Schüler eingebracht haben“, sagt Gerhard Wolff von der
Montag Stiftung Denkwerkstatt, „also auf Leistungsdruck, Notenvergabe oder
Feedbackkultur“. Eine konkrete Forderung sei etwa, den Zeitpunkt von
Klausuren zu flexibilisieren.
Demnach soll jede:r Schüler:in die Arbeiten dann schreiben, wenn er oder
sie den Stoff durchdrungen hat – und wenn nicht schon vier andere Prüfungen
in der Woche anstehen. „Das Vorbild ist hier die Führerscheinprüfung“, so
Wolff. „Man tritt an, wenn man sich fit fühlt.“ Weiter wünschten sich
Schüler:innen mehr individuelles Feedback statt bloßer Noten von eins
bis sechs. Auch das würde nach der Einschätzung des Bürgerrates viel Druck
nehmen.
## Jeden Tag Leistungsnachweise
Davon ist auch Sebastian Liess überzeugt. Der 16-jährige Gymnasiast aus
Bayern muss dabei nur an seine aktuelle Woche denken. Am Montag musste er
eine Präsentation in Deutsch zu Kommunikationsmodellen halten. Am Dienstag
stellte er ein selbst gedrehtes Lernvideo in Physik vor. Am Mittwoch muss
er noch einen eigenen Podcast in Wirtschaft und Recht präsentieren. Am
Donnerstag und Freitag stehen Klausuren in Informatik und Englisch an.
„Wir haben einfach zu viele Prüfungen“, sagt der Schüler im Gespräch mit
der taz. Ginge es nach ihm, würden Noten bis zur 9. Klasse komplett
abgeschafft, danach um regelmäßiges Lernfeedback ergänzt. Er selbst habe
nur eine Lehrerin, die zum Halbjahreszeugnis individuelle Gespräche führt.
„Es muss sich hier dringend etwas ändern“, sagt er. Der ständige
Leistungsdruck mache Jugendliche krank. Darüber hinaus wünschten sich die
Schüler:innen im Bürgerrat Bildung und Lernen mehr Mitsprache bei
Lehrplänen und generell mehr „lebensnahen“ Unterricht.
Ministerien und Lehrerverbände reagieren zurückhaltend auf die
Bürgerratsideen. Beispiel Noten: Die Länder teilen auf taz-Anfrage mit,
dass alternative Formen der Notengebung wie Lernentwicklungsbericht,
Kompetenzraster oder Lerntagebuch längst fester Bestandteil im Unterricht
seien. Auch dürften Klassenarbeiten bereits durch gleichwertige Leistungen
ersetzt werden. Die Frage ist also eher: Warum setzen nicht mehr Schulen
auf solch alternative Verfahren?
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, erklärt das unter
anderem mit fehlenden Ressourcen. „Wir haben an den Schulen das komplette
Instrumentarium für individuelles Feedback“, sagt Düll der taz. Zum Teil
werde das auch genutzt, das sehe er auch an seiner Schule. Das Problem sei
aber oft die Zeit.
## Hindernis fehlende Zeit
„Wenn Sie in der Klasse 30 Schüler:innen haben und sieben oder acht
verschiedene Klassen unterrichten, können Sie sich vorstellen, dass dann
sehr wahrscheinlich etwas anderes hinten runterfallen muss.“ Ähnlich sei es
bei der „Führerscheinidee“: Er könne den Wunsch nach individuellen
Prüfungsterminen nachvollziehen, so Düll. Das zu organisieren, hält er
angesichts der Überlastung von Lehrkräften für nicht realistisch.
Im kommenden Jahr möchte der Bürgerrat Bildung und Lernen seine
Empfehlungen an Schulleitungen, Fachverwaltungen sowie der
Kultusministerkonferenz (KMK) übergeben. Auch wenn die Politik keine der
Forderungen übernimmt, hat sich für Schüler Sebastian Liess der Einsatz
gelohnt. „Dass Erwachsene uns Schüler so ernst nehmen, ist eine tolle
Erfahrung.“ Eine Erfahrung, die er an seiner Schule bislang so noch nicht
gemacht hat.
27 Nov 2024
## AUTOREN
DIR Ralf Pauli
## TAGS
DIR Schule
DIR Bildung
DIR Partizipation
DIR Zivilgesellschaft
DIR Social-Auswahl
DIR Bildungssystem
DIR Frühkindliche Bildung
DIR Bildungspolitik
DIR Gesundheit
DIR Schule
DIR Jugend
DIR Schule
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Bildungsforscher über Zukunft der Kinder: „Bitte nicht länger ignorieren“
Viele Jahre wurde versäumt, die Position von Kindern zu stärken, sagt
Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani. Er hat Ideen, wie man es besser
machen kann.
DIR Ungerechtes Bildungssystem: Lasst Schulkinder länger zusammen lernen
Unsere Schulen folgen einem sehr alten Prinzip. Die frühe Trennung nach der
Grundschule sollte abgeschafft werden.
DIR Schulunterricht in Schleswig-Holstein: Landesregierung will an politischer Bildung sparen
Schleswig-Holstein will die Zahl der Schulstunden in der Oberstufe kürzen.
Das soll auch den Geografie- und Politikunterricht treffen.
DIR Kindergesundheitsbericht: Ein Schulsystem, das krank macht
Ein neuer Bericht fordert, die Gesundheit der Kinder an Schulen besser zu
fördern. Die Länder sehen sich bereits gut aufgestellt.
DIR Jeder fünfte Schüler psychisch belastet: Wo bleibt der Krisengipfel?
Klimakrise, Krieg, Leistungsdruck – darunter leiden Schüler:innen laut
Schulbarometer. Um ihnen zu helfen, müsste Unterricht radikal anders
werden.
DIR Politische Bildung an Schulen: Es braucht mehr als Youthwashing
Nach dem starken Zulauf zur AfD bei der Europawahl stellt sich auch die
Frage: Haben die Schulen bei der politischen Bildung alles richtig gemacht?
DIR Schülersprecher über Bildungskrise: „Wir haben fatale Zustände“
Florian Fabricius von der Bundesschülerkonferenz fordert, dass die Politik
Schüler:innen ernster nimmt. Vor allem zur psychischen Gesundheit.