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       # taz.de -- EU-Ratspräsident Costa: Der neue Brückenbauer
       
       > António Costa wird künftig den Europäischen Rat der Staats- und
       > Regierungschefs nach außen vertreten. Er gilt als ruhiger, ausgewogener
       > Politiker.
       
   IMG Bild: Der frisch gewählte Präsident des Europäischen Rates António Costa
       
       Madrid taz | Totgesagte leben länger. Zumindest im Fall des ehemaligen
       portugiesischen Ministerpräsidenten António Costa. Er war im November 2023
       wegen Korruptionsvorwürfen, [1][die sich später als haltlos erwiesen],
       zurückgetreten. Nun betritt er wieder die politische Bühne: Der 62-jährige
       Anwalt wird ab Sonntag das Amt des EU-Ratspräsidenten einnehmen.
       
       Es wird kein leichter Job für den Sozialdemokraten, trotz seiner vier
       Jahrzehnte langen politischen Erfahrung in Portugal. Sie führte ihn vom
       Bürgermeisteramt in Lissabon bis in den Regierungssitz São Bento. Am
       Freitagnachmittag wird sein Vorgänger Charles Michel ihn offiziell das Amt
       übergeben. Seine Aufgabe ist es, den Europäischen Rat der Staats- und
       Regierungschefs nach außen zu vertreten.
       
       Es ist keine einfache neue Aufgabe für den Sohn eines Schriftstellers und
       einer Journalistin und feministischen Aktivistin. Die EU steht vor einer
       komplizierten internationalen Lage. Es geht um die weitere Unterstützung
       der Ukraine gegen Putins Russland, auch dann, wenn sich, wie abzusehen, die
       USA unter einem Präsidenten Donald Trump zurückziehen wird.
       
       Wie in der ersten Amtszeit des Republikaners drohen außerdem erneut
       wirtschaftliche Auseinandersetzungen mit den USA. Hinzu kommt der drohende
       Handelskrieg mit Peking als Folge der Besteuerung von chinesischen E-Autos
       durch die Europäische Union.
       
       ## Costa beteuert seine Unschuld
       
       Das Amt in Brüssel rehabilitiert den Sozialdemokraten Costa. Seine Partei
       verlor [2][d][3][ie vorgezogenen Neuwahlen] im März nach einem
       vermeintlichen Korruptionsskandal. Costa trat einst zurück, um „die Würde
       des Amtes des Ministerpräsidenten nicht zu beschädigen“.
       
       Bei den Korruptionsvorwürfen gegen seine Regierung ging es um die Vergabe
       von Lizenzen zum Lithiumabbau sowie für die Produktion von grünem
       Wasserstoff. Der Name Costa tauchte in Abschriften von abgehörten
       Telefonaten auf.
       
       Er bestand dennoch auf seine Unschuld und schon wenige Tage später nahm der
       Fall eine überraschende Wende: Es stellte sich heraus, dass sein Name
       [4][nur wegen eines Transkriptionsfehlers] seitens der Staatsanwaltschaft
       in den Akten gelandet war.
       
       Gemeint war nicht er, sondern sein Wirtschaftsminister António Costa Silva.
       Die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt. In seinem Umfeld kam es zwar
       zu mehreren Festnahmen, längst ist jedoch nur noch von „Einflussnahme“ bei
       Entscheidungen im Bereich Energie- und Bergbau die Rede, nicht mehr von
       Bestechungsgeldern und Korruption.
       
       ## Fingerspitzengefühl ist gefragt
       
       Es ist nicht nur die komplexe internationale Situation, die Costa meistern
       muss. Auch innerhalb der EU selbst ist Fingerspitzengefühl gefragt. Eine
       der großen Aufgaben wird die Verhandlung eines mehrjährigen Rahmens für die
       EU-Finanzen sein, die im kommenden Jahr beginnen.
       
       Der Portugiese, der neun Jahre einer Minderheitsregierung vorstand, die auf
       die Unterstützung der Parteien links der Sozialdemokratie angewiesen war,
       gilt als ruhiger, ausgewogener Politiker mit viel Verhandlungsgeschick.
       
       Das wird der verheiratete Vater zweier Kinder jetzt in Brüssel erneut
       brauchen. Die EU ist seit den letzten Parlamentswahlen deutlich nach rechts
       gerutscht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat nicht nur
       Konservative und Sozialdemokraten mit an Bord, sondern auch Politiker aus
       der extremen Rechten Italiens und Ungarns.
       
       Costa, der die volle Unterstützung seines konservativen Nachfolgers Luís
       Montenegro und den Respekt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
       genießt, wird als Ratspräsident diese explosive Mischung vorfinden.
       
       29 Nov 2024
       
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