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       # taz.de -- Äußerungen zum Überfall auf Ukraine: Russischer Kommunalpolitiker erneut verurteilt
       
       > Weil er Russlands Ukraine-Überfall „Krieg“ nannte, wurde Bezirkspolitiker
       > Alexei Gorinow 2022 zu sieben Jahren Haft verurteilt. Nun folgte ein
       > neues Urteil.
       
   IMG Bild: Der inhaftierte Kreml-Kritiker Alexej Gorinow während seines zweiten Prozesses
       
       Moskau taz | Abgemagert ist er – und unbeugsam. Alexei Gorinow steht in
       einem schmalen Käfig, wie sie in russischen Gerichten üblich sind, und
       rollt sein selbst geschriebenes Plakat aus: „Hört auf zu töten. Lasst uns
       den Krieg stoppen“, steht darauf. Hier, im Militärgericht von Wladimir,
       etwa 200 Kilometer östlich von Moskau, nutzt der 63-jährige Moskauer
       Bezirksabgeordnete die wenigen Meter hinter den Metallgittern als Bühne.
       Gerichte sind mittlerweile der einzige Ort in Russland, der für politische
       Aussagen überhaupt noch geblieben ist.
       
       „Für mich sind der Irrsinn und das Verbrechen [1][dieses Krieges] so klar,
       dass ich außer diesem Irrsinn und dieses Verbrechens nichts darin erkennen
       kann“, zitiert er den großen russischen Dichter Lew Tolstoi in seinem
       Letzten Wort. Doch selbst dabei unterbricht ihn der Richter Roman
       Wladimirow und geht in seine Pause.
       
       Gorinow fährt einfach fort. Er bittet die Ukrainer*innen um
       Entschuldigung, sagt, seine Schuld bestehe einzig darin, dass es ihm nicht
       gelungen sei, diesen Krieg zu stoppen. „Gewalt gebiert Gegengewalt. Das ist
       der wahre Grund für all unser Elend.“ Wladimirow verurteilt ihn kurze Zeit
       später zu drei Jahren Straflager – wegen „Rechtfertigung von Terrorismus“.
       
       Alles mit allem aufgerechnet muss Gorinow noch fünf Jahre in der
       Strafkolonie des sogenannten „strengen Regimes“ für „Wiederholungstäter“
       verbringen. Hier sind die Rechte und die Bewegungsfreiheit von Häftlingen
       noch eingeschränkter.
       
       ## Bewusstes Abhören in Zelle
       
       Der 63-Jährige hatte sich in seiner Strafzelle mit anderen Gefangenen über
       den Anschlag auf die Krim-Brücke und die [2][ukrainische Asow-Einheit]
       unterhalten. Diese Gefangenen waren mit Aufnahmegeräten extra in seine
       Zelle gesetzt worden, um den Moskauer zu denunzieren. Der Gerichtsprozess
       war wieder einmal eine Farce, die Aussagen der „Mitgefangenen“ ähnelten
       sich aufs Wort.
       
       Das Gericht warf Gorinow vor, die ukrainische Armee nicht genug verurteilt
       zu haben und somit einer „nationalistischen Ideologie“ anzuhängen. „Ich bin
       gegen den Krieg. Ich habe nichts mit Terrorismus zu tun“, sagte er während
       des Prozesses immer wieder.
       
       Es war dieses Wort – „Krieg“ –, das den Moskauer bereits im Juli 2022 ins
       Straflager brachte. Er war der erste, den Russlands willfährige Justiz
       wegen des Paragrafen 207.3 verurteilte. [3][Sieben Jahre Haft] wegen
       „Verbreitung falscher Informationen über die russische Armee“, eines
       Gesetzes, das erst nach dem russischen Überfall der Ukraine geschaffen
       wurde und seitdem praktisch gegen alle eingesetzt werden kann, die den
       russischen Angriff auf die Ukraine verurteilen.
       
       Gorinow hatte sich als Lokalabgeordneter in seinem Stadtteil Krasnoselski
       im Nordosten der russischen Hauptstadt im März 2022 gegen die Ausrichtung
       eines Malwettbewerbs für Kinder ausgesprochen. „Wie kann man einen solchen
       Wettbewerb veranstalten, während in der Ukraine, unserem souveränen
       Nachbar, durch die Aggression unseres Landes Kinder getötet werden und zu
       Waisen gemacht werden?“, hatte Gorinow bei einer Haushaltssitzung gefragt –
       und büßt für seine Worte standfest ein.
       
       ## Gesundheitszustand verschlechtert sich
       
       Das Regime lässt kaum etwas aus, um den Gewissensgefangenen zu quälen. Es
       sperrt ihn zuweilen in Einzelhaft ein, lässt seine Anwälte nicht zu ihm,
       nimmt ihm Decken weg und lässt nicht zu, dass er sich aus der
       Gefängnisbibliothek Bücher ausleihen kann.
       
       Bereits bei seiner Verhaftung hatte Gorinow nur noch einen Teil seiner
       Lunge. In der Strafkolonie verschlechterte sich seine Gesundheit weiter.
       „Mein Großvater war repressiert, sein Vater wurde von den Geheimdiensten
       erschossen. Da ist sie, die Verbindung zwischen den Generationen, wir
       drehen uns seit 100 Jahren im Kreis“, sagt Gorinow vor der
       Urteilsverkündung am Freitag – und holt nach der Urteilsverkündung wieder
       sein selbst geschriebenes Plakat aus: „Hört auf zu töten. Lasst uns den
       Krieg stoppen.“
       
       29 Nov 2024
       
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