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       # taz.de -- Der ganz normale Wahnsinn
       
       > Die Fußball-WM der Männer soll 2034 in Saudi-Arabien stattfinden, und
       > unser Autor fühlt: nichts. Wo ist nur die Wut geblieben?
       
   IMG Bild: So will Saudi-Arabien seine Fans sehen: Offizielle Pressefotos zeigen Fußballfans; die über die WM-Vergabe jubeln
       
       Ein kurzes Achselzucken, ein spöttisches Lächeln, mehr war da nicht. Als
       die Meldung kam, [1][die Fifa habe in einer Abnickveranstaltung
       entschieden], die Fußball-WM 2034 [2][nach Saudi-Arabien zu vergeben],
       löste das so gut wie gar nichts in mir aus. Und das, obwohl ich diesen
       Sport liebe. Obwohl ich an keinem Fußballplatz, auf dem gekickt wird, an
       keiner Kneipe, in der Fußball läuft, vorbeigehen kann, ohne einen kurzen
       Blick auf das Spiel zu erhaschen.
       
       Ich weiß noch, wie groß meine Empörung war, als der damalige Fifa-Präsident
       Sepp Blatter 2010 verkündete, die WM 2022 werde in Katar ausgetragen. Da
       war noch Wut in mir. Irgendetwas hat sich seither verschoben. Die Fifa,
       aber auch der DFB haben die Norm dessen, was im Sport und für die Verbände
       gelten sollte, so weit verrückt, dass mich und viele andere nichts mehr
       schocken kann.
       
       Zum neuen Normal gehört, dass [3][Fifa-Präsident Gianni Infantino] schon
       lange mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman rumkumpelt und sich
       als williger Helfer für dessen Strategie einspannen lässt, mit Sport und
       Entertainment über die Missstände im Land hinwegzuglitzern. Saudi-Arabien
       als Austragungsort passt dabei bestens zur Fifa-Gigantonomie: Elf neue
       Stadien, schicke Science-Fiction-Bauten, werden in Riad und anderen Städten
       gebaut. Das ganze Land wird leuchten, total menschenrechtskonform
       natürlich. An all den anderen Wahnsinn hat man sich ebenfalls längst
       gewöhnt: Gekaufte Delegierte in der Fifa. Eine aufgeblasene WM mit 48
       Teams, weil das mehr Geld bringt. Eine neue, zusätzliche WM der
       Fußballclubs 2025, weil das noch mehr Geld bringt. Und auch daran, dass
       Deutschland, also der DFB, dem WM-Paket selbstverständlich zugestimmt hat.
       
       Gewöhnung ist dabei das wesentliche Stichwort. Nach dem Brexit und
       [4][während der ersten Amtszeit Trumps] kam der Begriff „Neue Normalität“
       auf. Er bezeichnete unter anderem eine Diskursverschiebung hin zum
       Populistischen. Und was auf politischer Ebene weiterhin stattfindet – zur
       Normalität gehört inzwischen etwa auch die Aushöhlung des Wahrheitsbegriffs
       im politischen Raum –, hat auch die Fifa in ihrem Metier perfektioniert.
       Normal ist es in der Fifa-Welt, Raubbau an Natur und Mensch zu begehen
       (wobei die Fußballspieler für die Funktionäre wohl eher Avatare sind),
       Fan-, Frauen- und Minderheitenbelange zu desavouieren, WM-Turniere an die
       Meistbietenden zu vergeben, Verbandsversammlungen nach guten autokratischen
       Gepflogenheiten abzuhalten.
       
       Der konservative Essayist Hans Martin Esser schrieb damals über die „Neue
       Normalität“, sie manifestiere sich aus Gruppendenken und gehe mit der
       menschlichen Bequemlichkeit einher. Man könnte auch sagen: Leider sind wir
       sehr anpassungsfähig und lassen uns neue (Fußball-)Realitäten allzu einfach
       unterjubeln. Esser schrieb allerdings auch, Normalität diffundiere von
       unten nach oben und habe einen „basisdemokratischen Anschein“. Das trifft
       hier ganz sicher nicht zu, der Fifa kommt nur zugute, dass die schöne neue
       Fußballwelt beim gemeinen Volk am Ende dann doch ganz gut ankommt.
       
       Die [5][WM in Katar habe ich mir nicht angeschaut], nur während des Finales
       hatte ich einen kurzen Moment der Schwäche und habe in eine Kneipe mit
       Bildschirm hineingelugt. Was ich 2034 tun werde? Wahrscheinlich werde ich
       abgestumpft vor dem Bildschirm sitzen. Dann hat mich die Fifa, wo sie mich
       haben will. Jens Uthoff
       
       14 Dec 2024
       
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