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       # taz.de -- Bundestagspolizei: Reichsbürger in Uniform
       
       > Für die Bundestagspolizei soll noch vor den Wahlen ein Gesetz beschlossen
       > werden. taz-Recherchen zeigen: Es gibt wieder rechte Verdachtsfälle.
       
       Vor beinahe vier Jahren stürmte ein rechter Mob, aufgehetzt vom abgewählten
       Präsidenten Donald Trump, das Kapitol in den USA. Abgeordnete mussten sich
       verstecken, Polizisten schossen auf Eindringlinge. Wenige Monate zuvor
       hatten hierzulande Coronaleugner [1][versucht, den Bundestag zu stürmen],
       und waren knapp gescheitert. Seitdem wird auch in Deutschland immer wieder
       die Frage diskutiert: Wer schützt eigentlich das Parlament, wenn es darauf
       ankommt?
       
       Die einfache Antwort: Die Bundestagspolizei. 200 Polizisten, die der
       Bundestagspräsidentin unterstehen und das Parlament und seine Abgeordneten
       schützen sollen.
       
       Vier Jahre später ist der Kapitolstürmer Trump wieder zum Präsidenten
       gewählt. Und in Deutschland soll die Polizei des Bundestags bekommen, was
       seit Jahren [2][von PolitikerInnen] diverser Parteien gefordert wird. Ein
       eigenes Polizeigesetz. Es ist eines der wenigen Vorhaben, das der Bundestag
       vor seiner Auflösung noch beschließen könnte.
       
       Bisher ist die Bundestagspolizei über den Artikel 40 des Grundgesetzes und
       die Hausordnung geregelt. „Das ist sehr abstrakt“, hatte die Präsidentin
       des Bundestags, [3][Bärbel Bas, im Oktober im taz-Interview gesagt.] Sie
       verstehe den Wunsch der PolizistInnen, mehr Rechtssicherheit zu bekommen.
       Auch Betroffene von polizeilichen Maßnahmen würden davon profitieren. „Es
       geht darum, die Befugnisse endlich auf eine klare gesetzliche
       Rechtsgrundlage zu stellen.“ Bas will das Gesetz unbedingt vor den Wahlen.
       Es soll auch ihr politisches Erbe sein. Denn dass die Sozialdemokratin im
       Amt bleibt, ist nach aktuellen Umfragen unwahrscheinlich.
       
       ## „Nichts wird unter den Tisch gekehrt“
       
       Doch taz-Recherchen zeigen nun, dass es bei der Bundestagspolizei erneut
       mehrere mutmaßlich rechte und rechtsextreme Vorfälle in den eigenen Reihen
       gegeben hat. Diese stehen nicht in Zusammenhang mit dem geplanten Gesetz.
       Und doch stellt sich die Frage, ob es richtig ist, die Befugnisse der
       Polizei mit einem eigenen Gesetz zu stärken.
       
       Schon 2021 berichtete die taz über rechtsextreme Vorfälle bei der
       Bundestagspolizei. Wir berichteten, dass ein Beamter im Pausenraum [4][im
       Bundestagsgebäude den Hitlergruß gezeigt haben soll] und ein weiterer in
       einer Reichsbürgerpartei aktiv war. Beamte erzählten von Chatgruppen und
       rassistischen Aussagen. In der Folge wurden mehrere Beamte suspendiert und
       Disziplinarverfahren angestrengt, alle 200 Beamte wurden einzeln befragt,
       auch dazu, wer mit der taz gesprochen habe.
       
       Im taz-Interview hatte Bärbel Bas betont, dass die Vorfälle aufgearbeitet
       wurden. „Mir ist wichtig, dass nichts unter den Tisch gekehrt wird.“ Doch
       der Umgang mit den neuen Vorfällen lässt daran Zweifel aufkommen.
       
       Zwei der mutmaßlichen Vorfälle, die der taz geschildert wurden, stehen in
       Zusammenhang mit einer Version des Lieds „L’amour toujours“, das zu einem
       Meme der rechten Popkultur geworden ist. Aufmerksamkeit bekam es, nachdem
       [5][ein Video aus Sylt viral ging,] bei dem Feiernde zur Melodie des Songs
       den Hitlergruß andeuteten und „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“
       sangen.
       
       Wie die taz aus Kreisen der Bundestagspolizei erfuhr, soll eine Beamtin
       einem Kollegen bei dessen Abschied eine Widmung in ein Geschenk geschrieben
       haben, ihr Lieblingslied sei: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.
       Ein Vorgesetzter soll diese Widmung gesehen haben. Ein anderer Beamter soll
       das Lied im Pausenraum in provozierender Absicht laut über sein Handy
       abgespielt haben.
       
       Bei einem dritten mutmaßlichen Vorfall soll ein Polizist durch einen
       Kollegen rassistisch diskriminiert worden sein. Trotz eines Gesprächs mit
       Vorgesetzten und dem Antidiskriminierungsbeauftragten soll der Vorfall
       keine Konsequenzen gehabt haben.
       
       Darüber hinaus soll ein Beamter mehrfach durch Reichsbürgeraussagen
       aufgefallen sein: Deutschland sei keine Demokratie, sondern eine GmbH.
       
       ## Bas sieht keinen Zusammenhang zum Gesetz
       
       Auf Anfrage der taz bestätigte eine Sprecherin des Bundestags, dass es seit
       Januar mehrere „Sachverhalte“ gegeben habe. Sie bestätigte zudem, dass in
       einem Fall ein Disziplinarverfahren begonnen worden sei. In einem weiteren
       erfolgte eine „dienstliche Missbilligung“, kein Disziplinarverfahren. Ein
       dritter Fall habe „keine disziplinarrechtliche Relevanz“ gehabt, man habe
       ein „Sensibilisierungsgespräch“ geführt. Auf welchen der von der taz
       geschilderten Fälle sich welche Maßnahme bezog, sagte die Sprecherin nicht.
       Aus Gründen des Datenschutzes könne man sich nicht detaillierter äußern. Im
       Fall des Beamten, der mit Reichsbürger-Aussagen aufgefallen sein soll,
       sagte die Sprecherin, dass im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ermittelt
       werde. Aus Kreisen der Bundestagspolizei heißt es, dass einige der
       genannten Maßnahmen erst nach Anfrage der taz ins Rollen kamen.
       
       Nachdem die taz sie mit den neuen Vorfällen konfrontiert hat, betonte die
       Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, dass allen Verdachtsfällen konsequent
       nachgegangen werde: „Als Hausleitung machen wir klar, dass bestimmte
       Verhaltensweisen nicht akzeptiert werden.“ Mit dem geplanten Polizeigesetz
       will Bas die mutmaßlichen Verdachtsfälle nicht in Verbindung bringen: „Das
       parlamentarische Verfahren zum Bundestagspolizeigesetz steht in keinem
       Zusammenhang zu Verdachtsfällen, die sich gegen Angehörige der
       Bundestagspolizei richten.“
       
       Die Polizei des Bundestags ist nicht die einzige Polizeibehörde, bei der es
       im Zusammenhang mit dem Sylt-Meme mutmaßlich zu rechten Vorfällen gekommen
       ist. Im Bundestag, wo die BeamtInnen an sensibler Stelle arbeiten, sind die
       Vorfälle aber besonders heikel.
       
       Die Parlamentspolizei hat historisch eine besondere Rolle: Sie untersteht
       der Präsidentin des Bundestags. Sie ist die oberste Dienstherrin und übt
       das Hausrecht aus. Das soll die Unabhängigkeit des Verfassungsorgans
       stärken. Im Alltag sind die BeamtInnen jedoch nicht mehr als ein besser
       bezahlter Sicherheitsdienst. Im Vergleich zur Polizeiarbeit in einem
       normalen Revier ist im Parlament wenig los, das führt bei vielen zu Frust
       und Langeweile.
       
       Am kommenden Donnerstag wird sich der Bundestag in erster Lesung mit dem
       Gesetz befassen. Eigentlich war der Antrag fraktionsübergreifend geplant,
       schließlich geht es um die Sicherheit des Parlaments – und damit auch der
       Abgeordneten. Nach dem Ende der Ampel aber musste alles ganz schnell gehen.
       Wenn das Gesetz vor den Wahlen beschlossen werden soll, ist die kommende
       Woche die letzte Chance.
       
       ## Was macht die Union?
       
       Der Gesetzentwurf liegt der taz vor: Die Arbeit der Polizei solle
       „erleichtert und die Rechtsklarheit erhöht werden“, heißt es darin.
       Inhaltlich orientiert sich der Entwurf an anderen Polizeigesetzen. Etwas
       strittig war zwischen den Parteien die Frage, wie weit die Befugnisse der
       BeamtInnen außerhalb der Bundestagsgebäude gehen sollen, wenn etwa
       Straftaten auf der Straße geschehen oder eine Gefahr aus einem angrenzenden
       Haus droht. Nach taz-Informationen hat man sich hier mit der Union
       geeinigt. Die Zuständigkeit soll nur vorsichtig über die Gebäude des
       Bundestags hinaus ausgeweitet werden, die PolizistInnen des Bundestags
       sollen nur in dringenden Fällen eingreifen und müssen umgehend die
       Landespolizei informieren.
       
       Politisch brisant ist allerdings die Entscheidung, mit dem Gesetz auch die
       Sicherheitsüberprüfung von MitarbeiterInnen der Abgeordneten zu
       verschärfen, wenn diese einen Hausausweis beantragen. Mit dem können sie im
       Bundestag ein und aus gehen. Bisher werden MitarbeiterInnen nur durch die
       Polizeiregister überprüft. Verfassungsfeinde, die bisher nicht straffällig
       geworden sind, konnten durchs Raster fallen. [6][Zuletzt berichtete der BR]
       über 100 rechtsextreme Mitarbeiter, die von AfD-Bundestagsabgeordneten
       beschäftigt werden. In Zukunft sollen MitarbeiterInnen auch durch den
       Verfassungsschutz überprüft werden können und ihnen gegebenenfalls der
       Hausausweis verwehrt werden. Manche, die mit dem Gesetz befasst sind,
       sprechen vom „Anti-AfD-Paragrafen“.
       
       Ob das Gesetz durchgeht, ist ungewiss. Einige Abgeordnete hatten gehofft,
       im Zuge der Debatte über das Gesetz auch die Arbeitsbedingungen für die
       BeamtInnen im Bundestag verbessern zu können. Diese klagen, als „Polizisten
       zweiter Klasse“ wahrgenommen zu werden und für Hausmeister- und
       Schlüsseldienste verwendet zu werden. Weil der Bundestag teils
       Schwierigkeiten hat, genug Personal zu finden, werde es ihnen schwer
       gemacht, sich wegzubewerben.
       
       Um die Fristen einzuhalten, wird der Gesetzentwurf nur von SPD und Grünen
       eingebracht, obwohl Wünsche der Union durchaus berücksichtigt wurden. Doch
       dort will man sich nicht festlegen. Michael Breilmann, zuständiger
       Berichterstatter der Unionsfraktion, sagte auf taz-Anfrage, man sei
       „grundsätzlich offen“ für ein Bundestagspolizeigesetz. Der Schutz des
       Parlaments sei ein wichtiges Anliegen. Doch für „Rechtsverschärfungen“
       sieht Breilmann „keine Einigungsfähigkeit“. Dies bezieht sich offenbar auf
       die strengere Sicherheitsüberprüfung. „Die Freiheit des Abgeordnetenmandats
       ist ein hohes Gut, und das gilt es zu schützen.“ Man wolle nichts übers
       Knie brechen. Gut möglich also, dass es bis zu einem Gesetz noch einmal
       vier Jahre dauert.
       
       13 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /taz-Recherche-zu-Reichsbuerger-Razzia/!5898528
   DIR [2] /Claudia-Roth-ueber-die-Bundestagspolizei/!5779924
   DIR [3] /Bundestagspraesidentin-ueber-AfD-Verbot/!6043100
   DIR [4] /Rechtsextreme-bei-der-Bundestagspolizei/!5777254
   DIR [5] /Neue-Details-zu-Skandal-Video-von-Sylt/!6010089
   DIR [6] https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/afd-bundestag-rechtsextreme-mitarbeiter-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kersten Augustin
       
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