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       # taz.de -- Hausdurchsuchung bei Hamburger Studentin: Kapitalismuskritik? Lieber ohne Kurden
       
       > Die Polizei durchsucht das WG-Zimmer einer Frau, die 2023 einen Kongress
       > mit kurdischen Gruppen organisiert hat. Schon damals intervenierte der
       > Staat.
       
   IMG Bild: Hier hätte die Konferenz „We want our world back“ ursprünglich stattfinden sollen: Das Audimax in Hamburg
       
       Bremen taz | Wach war noch niemand in der WG von Lisa D., als es am 21.
       November um sechs Uhr sturmklingelte. Vor der Tür: die Polizei mit einem
       Durchsuchungsbeschluss. Mit zehn Mann kommen sie in D.s WG, durchsuchen ihr
       Zimmer, nehmen ein Tablet und USB-Sticks mit, schauen in ihre Tagebücher.
       „Von einer Kleidertauschparty des AStA standen gerade zehn Säcke mit
       Kleiderspenden im Zimmer – die haben sie alle aufgerissen und verstreut“,
       erzählt D.
       
       Der Grund für die Hausdurchsuchung: Verdacht auf Unterstützung einer
       terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129b – konkret: der kurdischen
       Arbeiterpartei PKK. D. hatte als Mitarbeiterin des Allgemeinen
       Studierendenausschusses (AStA) der Uni Hamburg 2023 eine Konferenz
       mitorganisiert: „We want our world back“ hieß die, zu Wort kamen
       Kapitalismuskritiker*innen, Wissenschaftler*innen, Klima- und
       Frauenrechtsaktivist*innen – viele haben einen kurdischen
       Hintergrund, manche bezogen sich direkt oder indirekt auf die Kritik an
       der „Capitalist Modernity“ von PKK-Gründer Abdullah Öcalan.
       
       Dass die Konferenz dem Staat ein Dorn im Auge ist, wird [1][schon damals
       klar:] Der Hamburger Verfassungsschutz warnt den Unirektor vor „PKK-Nähe“ –
       und der kündigt kurz vor Beginn der Konferenz die bereits zugesagten Räume.
       In letzter Minute können die Veranstalter*innen ins Bürgerhaus
       Wilhelmsburg umziehen.
       
       Die Absage der Konferenz an der Hamburger Uni schlägt 2023 hohe Wellen –
       als „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ und „Absage an den
       wissenschaftlichen Diskurs“. Über hundert Wissenschaftler*innen
       unterzeichnen einen Protestbrief des AStA, darunter drei
       Professor*innen der Hamburger Uni – und Philosoph Noam Chomsky.
       
       ## Solidarisierung ist strafbar
       
       Trotz der riesigen internationalen Solidarität bleibt die Uni bei ihrer
       Absage. Die Veranstaltung mit mehr als 1.000 Teilnehmenden muss umziehen.
       Die [2][einzelnen Beiträge der Konferenz] werden auf Youtube gestreamt,
       zwischen 40 und 890 Mal wurden sie bis heute aufgerufen – eine
       überschaubare Resonanz.
       
       Doch vorbei ist es damit nicht, denn mindestens einmal angeklickt hat die
       Videos offenbar die Staatsanwaltschaft. Die Hausdurchsuchung bei D. wird im
       Untersuchungsbefehl nur mit ihrer Verantwortung für die Organisation und,
       so D., „mit sehr langen Zitaten aus der Konferenz“ begründet.
       
       Die PKK ist in Deutschland verboten. Seit einem Urteil des
       Bundesgerichtshofs von 2011 wird sie üblicherweise nicht mehr nur als
       kriminelle Vereinigung gewertet, sondern als ausländische terroristische
       Vereinigung nach Paragraph 129b. Demnach ist jede Aktivität, die sich als
       Unterstützung oder Solidarisierung mit der PKK lesen lässt, prinzipiell
       verdächtig, Terror zu unterstützen – und auch dann strafbar, [3][wenn die
       Aktivität selbst eigentlich strafrechtlich irrelevant] wäre.
       
       D. zeigt sich geschockt und „super wütend.“ Den Vorwurf der Unterstützung
       einer terroristischen Vereinigung findet sie absurd. „Ich organisiere eine
       Konferenz und eineinhalb Jahre später reicht das aus für so einen Eingriff
       in die Privatsphäre. Das ist unverhältnismäßig“, sagt D. Sie sei durchaus
       „solidarisch mit der kurdischen Bewegung“, doch von ihrer politischen
       Arbeit, so D., mache das „einen eher kleinen Teil aus“.
       
       Der Hamburger Verfassungsschutz sieht für die verbotene PKK im Stadtstaat
       ein Potenzial von 500 Anhänger*innen. Warum gerade D. in den Fokus der
       Staatsanwaltschaft gerät, wird nicht klar. Zum laufenden Verfahren will
       sich die Staatsanwaltschaft am Donnerstag nicht äußern. Und wie viele
       Ermittlungen es jährlich aufgrund von PKK-Nähe gebe, werde statistisch
       nicht erfasst. Ganz allgemein erhoffe man sich, durch Hausdurchsuchungen
       Beweismittel aufzufinden.
       
       ## Hausdurchsuchung als „Einschüchterungsversuch“
       
       D. glaubt nicht, dass es den Behörden bei den Ermittlungen gegen sie darum
       ging, einen Schlag gegen die PKK zu landen. „Es geht nur um die Repression;
       darum, Solidarität zu unterbinden. Solche Maßnahmen erzeugen ein
       Ohnmachtsgefühl.“ Auch wenn am Ende kein Verfahren folge und die
       Ermittlungen im Sande verliefen bliebe für sie als Betroffene der Eingriff
       in die Privatsphäre.
       
       Das sieht der AStA Hamburg ähnlich. „Wir halten das Ermittlungsverfahren
       für einen Einschüchterungsversuch und sehen darin einen skandalösen Angriff
       auf die Organe der studentischen Selbstverwaltung“, schreibt die
       Studierendenvereinigung in einem Statement. Die Hausdurchsuchung füge sich
       ein in ein Klima zunehmender staatlicher Repression gegen kurdische
       Organisationen“. Häufig geschehe dies „auf Drängen der türkischen
       Regierung“.
       
       Direkt gegen die Landesregierung richtet sich die Kritik von Cansu Özdemir,
       justizpolitische Sprecherin der Hamburger Linksfraktion: Das Strafverfahren
       sei „ein weiterer Versuch, kurdischen Aktivismus zu kriminalisieren“,
       schreibt sie. Und: „Wie schon beim Verbot der Konferenz macht sich die
       Hamburger Innenbehörde erneut zum willigen Handlanger des Autokraten
       Erdogan.“
       
       „Es muss doch noch erlaubt sein, über das PKK-Verbot zu reden“, findet auch
       D. „Die Repression fühlt sich besonders absurd an, während man zeitgleich
       pragmatisch versucht, [4][die Al-Qaida-Nachfolger von der Liste] von
       Terrororganisationen zu streichen“.
       
       19 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kongress-wegen-PKK-Naehe-abgesagt/!5926578
   DIR [2] https://www.youtube.com/@networkaq/videos
   DIR [3] /Prozess-gegen-kurdischen-Aktivisten/!6023648
   DIR [4] /Die-HTS-in-Syrien/!6049870
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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