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       # taz.de -- Pro und Contra Letzte Generation: Ist die Letzte Generation gescheitert?
       
       > Neu ausrichten und umbenennen – das ist das Projekt 2025 der Letzten
       > Generation. War die Gruppierung also erfolglos? Ein Pro und Kontra.
       
   IMG Bild: Was bleibt von der Letzten Generation? Handabdruck einer bei Protesten in Berlin mit Sekundenkleber festgeklebten Hand, Juni 23
       
       Ja 
       
       Der Abschied der Letzten Generation von ihrem Namen und ihren bisherigen
       Aktionsformen ist kein Grund zur Schadenfreude. Das Anliegen der
       Klimaaktivist*innen bleibt ja richtig, wird noch wichtiger und es
       bleibt zu hoffen, dass ihre Sprecherin Carla Hinrichs recht behält: „Wenn
       wir erfolgreich sind, wird alles, was wir gemacht haben, sicher irgendwann
       als friedliche Revolution bezeichnet werden.“ Aber es hilft nichts, die
       Lage schönzureden. Für das Klima und seine aktiven Schützer*innen sind
       die Aussichten heute noch schlechter als vor Beginn der Protestaktionen.
       
       Als die Letzte Generation mit ihren Straßenblockaden und
       Flugfeldbesetzungen begann, war ihr erklärtes Ziel, die Gesellschaft
       wachzurütteln und die Regierung zu wirksamen Klimaschutzmaßnahmen zu
       bewegen. Das hat sie nicht nur nicht geschafft. Es ist noch schlimmer:
       Gesellschaft und Politik haben sich zwar bewegt, aber leider in die falsche
       Richtung. Das Engagement für Klimaschutz hat nachgelassen.
       
       Schuld daran ist natürlich nicht die Letzte Generation. Das zu behaupten
       wäre absurd, so wie [1][ihre Kriminalisierung] heillos übertrieben war.
       Schuld sind die Bequemlichkeit der Massen, die Macht der fossilen Lobby und
       das Versagen der Politik. Kriege und Krisen kamen erschwerend hinzu, weil
       sie vom Klima abgelenkt haben. Aber zur Ehrlichkeit gehört, dass die Letzte
       Generation nicht nur an den bösen Gegenkräften gescheitert ist, sondern
       auch mit ihrem Konzept. Es ging nach hinten los.
       
       Statt neue Sympathien für die Klimabewegung zu wecken, haben die
       Störaktionen zu neuen Abwehrreflexen geführt. Statt den Fokus auf mächtige
       Verantwortliche zu lenken, verärgerten sie vor allem Autofahrer*innen,
       die sich pauschal und moralisch angegriffen fühlten, obwohl viele nur so
       zur Arbeit kommen können, weil auf ihrem Arbeitsweg kein Bus fährt. Noch
       sinnloser waren die Anschläge auf unschuldige Kunstwerke in Museen, die
       auch bei Gutwilligsten auf Unverständnis stießen. Aufmerksamkeit ist kein
       Wert für sich. Motivieren wäre besser als sabotieren. In einer Demokratie
       muss man die Mehrheit überzeugen. Die teilweise aggressiven Aktionen der
       Letzten Generation und der dystopische Name haben das Gegenteil bewirkt.
       Gut, dass jetzt hoffentlich etwas Neues beginnt. Lukas Wallraff
       
       Nein 
       
       Die Letzte Generation ist nicht gescheitert. Im Gegenteil. Sie ist die
       erfolgreichste, weil prägendste Klimaschutzbewegung der letzten Jahre.
       
       Die Letzte Generation hat genervt und polarisiert. Sie hat das Thema
       hochgehalten, als der äußerst sympathisch-jugendlichen Latschbewegung
       Fridays for Future die Luft ausgegangen ist. Sie hat demonstriert, dass
       politischer Protest häufig mehr bieten muss als höfliche Bitten um Wandel.
       Dass es Leidenschaft braucht, körperlichen Einsatz bis zur Selbstaufgabe,
       der gerade weil er von einer Mehrheit nicht verstanden werden will, allein
       durch die Propaganda der Tat verdeutlicht, dass es hier ums Eingemachte
       geht.
       
       Selbstverständlich hat die Letzte Generation nicht den Klimawandel
       gestoppt; und das pure Querstellen als Aktionsform ist inzwischen
       offensichtlich längst ausgelutscht. Aber wer die Latte an politische
       Bewegungen so hoch legt, dass sie erst nach der Revolution als erfolgreich
       bezeichnet werden können, kann gleich einpacken.
       
       Politische Bewegungen wirken immer auf gleich mehreren Ebenen. Eine der
       wichtigsten, die häufig übersehen wird, ist die nach innen. Die Prägung der
       Aktivist:innen selbst, aus denen eine Kraft erwachsen kann, die
       jahrzehntelang nachwirkt. Die ist wichtig für die unweigerlich weiter
       anstehenden Kämpfe.
       
       Meist ist es der größtmögliche Erfolg, wenn es einer Bewegung gelingt,
       Missstände sichtbar zu machen. Und darin waren die
       Straßenblockierer:innen meisterlich. Sie haben aufgezeigt, dass es
       neben dem Klimawandel ein viel größeres Problem gibt: die
       Verweigerungshaltung der bundesrepublikanischen Mehrheit, über notwendig
       fundamentale Änderungen überhaupt nur nachzudenken.
       
       Das kann nicht einmal die Aktivist:innen erfreuen. Aber es präzisiert
       die Aufgabe für alle Klimaproteste, die noch kommen werden – unter welchem
       Label und in welcher Aktionsform auch immer.
       
       Wer das nicht sehen möchte, weil Bewegung so unbequem ist, kann gern auf
       dem Sofa sitzen bleiben und den Weltuntergang live im TV verfolgen. Der
       kleine Rest der anderen wird [2][ein paar Apfelbäumchen pflanzen]. Mitten
       auf einer Autobahn wäre ein angemessener Platz dafür. Gereon Asmuth
       
       20 Dec 2024
       
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