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       # taz.de -- KI-Bildessay von Alexander Kluge: Nonlineare Raumdeutung
       
       > Der Filmemacher Alexander Kluge legt den Essay „Der Konjunktiv der
       > Bilder. Meine virtuelle Kamera (K. I.)“ vor. Darin wird er zum
       > Techniktheoretiker.
       
   IMG Bild: Alexander Kluge veranlasste per Prompt, die Freiheitsstatue von New York nach Ostasien zu verlegen
       
       KI-Bilder werden nicht direkt aus der Welt geschaffen. Sie werden vielmehr
       aus Datenpools abgerufen, für das menschliche Auge umgerechnet und auf
       Bildschirmen abgespielt. Diese „Promptografie“ erzeugt etwa das KI-Programm
       ChatGPT. Erteilt man ihm eine kluge Anweisung (prompt), kann es die
       Suchergebnisse zu visuellen Synthesen, zum Bild, verarbeiten.
       
       Der 92-jährige Autor und Filmemacher Alexander Kluge hatte kürzlich [1][in
       einer Ausstellung in seinem Geburtsort Halberstadt stupende
       KI-Bildgenerierungen und KI-Filmclips vorgelegt]. Und in seinem Büchlein
       „Der Konjunktiv der Bilder. Meine virtuelle Kamera (K. I.)“ verfasst er nun
       auch sehr lesenswerte Gedanken dazu.
       
       Man kann sagen, durch KI wird Kluge zu einem neuen Typus Künstler, zum
       nichtlinearen Bildautor, der anhand von Textanweisungen Vorstellungsräume
       schafft. Selbst aufgrund seines Alters kaum mehr bereit, sich noch weit von
       seinem Wohnort München fortzubewegen, fährt in dem Buch jetzt Kluges
       Intellekt mithilfe des Programms „Stable Diffusion“ in visuelle Unterwelten
       ein. „Ganze Katakomben gibt es unterhalb der Worte“, schreibt er visionär,
       sie ähnelten dem „Optisch-Unbewußten“ des Menschen.
       
       ## Positive Fehler
       
       Kluges Buch ist eine Art abgedrucktes Telekolleg, das neben den 288
       Farbabbildungen auch QR-Codes mit Weblinks zu seinen KI-generierten
       Filmclips publiziert. Es lässt teilhaben an den persönlichen Verblüffungen
       des Autors wegen des Eigenverhaltens der Technik: „Nach meiner Erfahrung
       sind übrigens die Fehler […] ein positives Element. […] Man muss die
       Vorzüge dieser Technik jetzt rechtzeitig nutzen, solange das Gerät noch
       irrtumsfähig bleibt.“ Hierfür stellt er sich auch Regeln auf. „Damit muss
       man spielen und fürs Spielen feste Perspektiven und auch Zäune setzen.“
       
       Die Kamera der KI ermöglicht es dem unbeweglich gewordenen Filmemacher,
       durch Zeit und Raum zu navigieren. „Das sind die Scheinwerfer der
       Vergangenheit und der Erinnerung. Es kommt hinzu die Welt der Wünsche.“ Das
       [2][Erdbeben von Lissabon 1755 und der nachfolgende Tsunami werden etwa
       durch die Linse der KI zu einem historischen Kipp-Punkt der Aufklärung],
       das visuelle Ergebnis ist eine Art Roland-Emmerich-Epos, gespeist aus
       Historienbildern über die einstigen Ereignisse.
       
       Diese Promptografie zeigt Geschichte, durchwirkt mit einer zeitgenössischen
       und populären Bildsprache. Das kann eine klassische Bildkamera nicht, ist
       sie doch davon abhängig, „was gegenständlich und gegenwärtig vor ihrer
       Optik liegt“. Trotzdem bleibt den KI-Bildern durch Deep Learning eine
       gewisse Realität eingetrichtert.
       
       ## Irritierende Intelligenz
       
       An einer Stelle des Buches drängt Kluges „dialogische Methode“ mit den
       Computerprogrammen darauf, die Freiheitsstatue in New York – wie man sie
       kennt: mit Fackel der Revolution in der rechten und US-amerikanischer
       Unabhängigkeitserklärung in der linken Hand – nach Ostasien zu verlegen.
       Die KI will dieses Artefakt einer westlichen Aufklärung im fernsten Osten
       aber nicht finden. Das „irritierte mein ‚intelligentes Tool‘“, so Kluge.
       
       Stattdessen rechnet es eine Art Tempeltänzerin aus dem Datenpool heraus,
       „in der rechten Hand hält die Statue nach wie vor eine Fackel. Die auf den
       Betrachter hinweisende linke Hand aber hat selbst Feuer gefangen.“ Das sei
       die besondere Kommentarform der KI. Sie hole etwa hervor, dass es auch „zum
       Programm der Aufklärung“ gehört, „falsche Bilder zu zerstören oder zu
       stören“.
       
       Der computergestützte Bildautor Kluge wird in diesem Buch zum staunenden
       Ikonoklasten, das lässt sich in dem handlichen Band wunderbar
       nachvollziehen. Es ist ein Vermächtnis in die Zukunft.
       
       23 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gleimhaus.de/ausstellungsarchiv
   DIR [2] /Daniel-Burghardt-Elend-und-Emanzipation/!6042860
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jochen Becker
       
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