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       # taz.de -- Schach-WM in Singapur: Immer wieder Fehler
       
       > Weltmeister Ding Liren verliert das 11. Spiel der Schach-WM. Dommaraju
       > Gukesh steht vor dem Triumph. Doch Experten beklagen ein niedriges
       > Niveau.
       
   IMG Bild: Das war noch nach der ersten Partie: Gukesh (li.) gratuliert Ding
       
       Noch nie hagelte es dermaßen harsche Kritik am Niveau einer
       Schach-Weltmeisterschaft. Dass laienhafte Zuschauer, die sich mit den
       überlegenen Schachprogrammen bewaffnen, das Maul zerreißen, ist im Web
       Usus. Aber selbst Ausnahmekönner stimmen in den Chor ein.
       
       „Das ist aus Profisicht wirklich ein sehr enttäuschendes Niveau von beiden
       Spielern“, befand etwa Wladimir Kramnik. Der ehemalige Weltmeister geißelte
       insbesondere die sechste der bisher elf Partien zwischen Titelverteidiger
       [1][Ding Liren] aus China und Herausforderer Dommaraju Gukesh aus Indien in
       Singapur. „Beide Spieler reihen Fehler an Fehler aneinander“, sagte der in
       der Schweiz lebende 49-jährige Russe.
       
       Auch der Weltranglistenerste [2][Magnus Carlsen] aus Norwegen, der 2023
       durch seinen Titelverzicht Ding Liren die Chance auf die WM-Krone eröffnet
       hatte, hat „größte Mühe“ Gukeshs Spielverständnis „zu verstehen“. Und auch
       der Weltranglistenzweite, Hikaru Nakamura aus den USA, versteht die Taktik
       im WM-Kampf nicht. In seinem Youtube-Kanal hob er besonders die „für mich
       schwer verständliche sechste Partie“ hervor.
       
       Obwohl Ding Liren alle Vorteile in der Hand gehalten habe und „leicht“ auf
       Gewinn hätte spielen können, plagte Nakamura das „krasse Gefühl“, dass es
       der 18-jährige Gukesh war, der den vollen Punkt einfahren wollte. „Die
       Psychologie dahinter ist schwer zu verstehen.“
       
       In der achten Partie ging es zwar hin und her. Beide Seiten patzten aber
       und verpassten die Chance, mit einem Sieg in Führung zu gehen. Nach elf der
       14 Partien steht es dennoch 6:5 für Gukesh. Damit braucht er nur noch drei
       Remis, um den Tiebreak mit verkürzten Bedenkzeiten zu vermeiden und
       jüngster Weltmeister der Schach-Geschichte zu werden.
       
       ## Alle sehen die Fehler
       
       Die beiden Akteure in Singapur zeigen sich insofern einsichtig, dass sie
       selbst mannigfach von „Fehlern“ sprechen. „Ich rechnete falsch und übersah“
       dies und jenes, lautete eine der häufigsten Aussagen bei den Analysen in
       den Pressekonferenzen. Nur mit der Auftaktpartie, die Ding Liren gewann,
       und dem dritten Duell, das der Inder zum Ausgleich nutzte, waren die Sieger
       restlos zufrieden. Dabei half der 32-jährige Chinese kräftig, weil er einen
       Läufer im gegnerischen weißen Lager beließ. Das war auch am Sonntag der
       Fall. Der 32-Jährige stellte stümperhaft einen Turm ein, weil er ein
       simples Damenopfer des Inders übersah.
       
       Vor dem Patzer konnte [3][Ding Liren] mit dem bisherigen Verlauf des
       Zweikampfs zufrieden sein. Niemand – selbst er nicht – hatte ihm im Vorfeld
       zugetraut, dass er so lange Chancen auf eine Titelverteidigung behält. Alle
       Experten waren sich einig, dass der zuletzt so fulminante junge
       Himmelsstürmer [4][Gukesh] über den Weltmeister hinwegfegen würde. Ding war
       nach seinem knappen WM-Sieg im Tiebreak [5][gegen den Russen Jan
       Nepomnjaschtschi] 2023 in eine tiefe [6][Depression] gestürzt.
       
       Danach war der auf Platz 23 abgerutschte ehemalige Weltranglistenzweite nur
       noch ein Schatten seiner selbst. Der vor fünf Jahren in 100 Partien
       unbesiegte Ding ließ als Weltmeister eine Serie von 28 Partien ohne vollen
       Punkt, bei sieben Niederlagen, folgen.
       
       Dass ihm aber Gukesh durchaus liegt, zeigt sich auch in Singapur. 3:2 steht
       es jetzt immer noch in der Gesamtbilanz nach Siegen für den Chinesen. Doch
       wie in der elften Partie unterlaufen dem noch amtierenden Champion zu viele
       schlimme Patzer. Gukeshs oft positionell unbegründeter aggressiver Stil,
       wie Kramnik findet, trägt so doch Früchte.
       
       Die Schach-Fans, die klinisch reine wie ausgekämpfte Partien sehen wollen,
       müssen sich wohl bis zum 11. und 12. Januar gedulden. Dann geht der
       Weltranglistenerste aus Norwegen erstmals als Neuzugang für den FC St.
       Pauli in der Bundesliga ans Brett.
       
       8 Dec 2024
       
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