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       # taz.de -- Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis: „Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
       
       > Bettina Westle beobachtet ein unterschiedliches Demokratieverständnis in
       > Ost- und Westdeutschland. AfD-Wähler:innen seien mit der Demokratie
       > unzufrieden.
       
   IMG Bild: Demokratie in Gefahr: AfD-Wahlkampfveranstaltung am 24. August 2024 in Sömmerda in Thüringen
       
       taz: Frau Westle, von welchen ungleichen Geschwistern handelt Ihr Vortrag? 
       
       Bettina Westle: Westdeutschen und Ostdeutschen. Ich untersuche, ob es noch
       Unterschiede zwischen den beiden bei grundlegenden politischen
       Orientierungen gibt oder nicht. Es geht um den Vergleich Ostdeutschland und
       Westdeutschland.
       
       taz: Welche [1][politischen Unterschiede] gibt es denn? 
       
       Westle: Viele – das unterschiedliche Wahlverhalten ist offensichtlich, da
       gibt es jede Menge Berichterstattung zu. Ich beschäftige mich eher mit
       grundlegenden Orientierungen im Bezug auf das politische System. Wie sind
       die Einstellungen zu der Idee und der Realität der Demokratie und wie sieht
       es mit der Einstellung zu möglichen Alternativen aus. Dann geht es auch um
       das Demokratieverständnis selbst und als Letztes beschäftige ich mich mit
       der Frage Sozialisation oder Situation als Ursachen für die Unterschiede.
       
       taz: Welche Rolle spielen die innerdeutschen Migrant:innen dabei? 
       
       Westle: Man kann die Menschen immer noch klar einem bestimmten Landesteil
       zuordnen, auch wenn die Unterschiede nicht mehr so groß sind. Menschen, die
       schon vor vielen Jahren nach Westdeutschland migriert sind, sind trotzdem
       häufig noch näher an der ostdeutschen als an der westdeutschen Orientierung
       dran. Man kann zum Beispiel sehen, dass Ostdeutsche in der Regel
       unzufriedenerer sind mit der Realität der Demokratie als Westdeutsche. Die
       ostdeutschen Migranten im Westen liegen meist dazwischen, befinden sich
       jedoch näher am Meinungsdurchschnitt in Ostdeutschland.
       
       taz: Wie prägend ist das Ost-West Thema für die jüngere Generation? 
       
       Westle: Für die jüngste Generation ist es weniger prägend als für die
       vorherigen. Es ist aber [2][immer noch da]. Ich habe in meiner Studie auch
       eine Generationenanalyse gemacht und da hat sich gezeigt, dass in der
       jüngsten Genration der Unterschied zwischen Ost und West kleiner war als
       vorher. Die Sozialisation im Osten ist jetzt staatlicherseits nicht mehr,
       aber privat weiterhin anders geprägt als im Westen. Über diese Schiene geht
       das Verständnis dann auf die jüngere Generation über. Interessant war aber
       auch, dass die vorherigen Generationen in Ostdeutschland sich untereinander
       nicht unterscheiden, was die politische Orientierung angeht. Im Westen hat
       sich das mit jeder Generation verändert, leider so, dass die jüngeren
       Generationen weniger intensiv für die Demokratie eintreten als die älteren.
       
       taz: Wie können der Osten und der Westen sich annähern? 
       
       Westle: Die Frage ist erst mal, ob sie das müssen. Die Unterschiede sind so
       gravierend nicht, dass sie sich notwendigerweise angleichen müssten. Das
       einzige, [3][was bedrohlich sein kann, ist die Stärke der AfD] in den
       Ostbundesländern. Die AfD-Wähler:innen sind sowohl mit der Regierung als
       auch der Opposition unzufrieden, eigentlich mit allem. Der nächste Schritt
       wäre dann, dass die Demokratie sich selbst abschafft, das ist die Gefahr.
       
       taz: Wieso ist dieses Phänomen im Osten so viel stärker verbreitet als im
       Westen? 
       
       Westle: Das liegt, denke ich, auch an falschen Erwartungen an die schnelle
       Verbesserung der Ökonomie, zum Beispiel, aber auch an die Demokratie, etwa
       die Vorstellung, dass die den Willen eines Einzelnen durchsetzt. Das ist
       natürlich nicht so: Dafür fehlt aber das Verständnis.
       
       taz: Ging die Wiedervereinigung also zu schnell? 
       
       Westle: Was die Orientierung der Menschen betrifft, ja. Es gab auch
       Notwendigkeiten, dieses Zeitfenster schnell zu nutzen für die
       Wiedervereinigung, aber wahrscheinlich hätten Ostdeutsche noch stärker in
       die Gestaltung [4][miteinbezogen werden sollen.]
       
       12 Dec 2024
       
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