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       # taz.de -- Bundestag debattierte über §218: „Mit diesem Gesetz können wir Geschichte schreiben“
       
       > Ein fraktionsübergreifender Antrag könnte Abtreibungen grundsätzlich
       > legalisieren. Nur CDU/CSU und AfD lehnten dies im Bundestag generell ab.
       
   IMG Bild: Interessiert bei der Debatte: überwiegend Frauen
       
       Berlin taz | Der Bundestag hat am Donnerstagabend in erster Lesung einen
       Gesetzentwurf von 328 Abgeordneten aus SPD, Grünen und Linken debattiert,
       der die grundsätzliche Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen
       vorsieht. Am Ende könnte vielleicht sogar eine knappe Mehrheit möglich
       sein.
       
       Die [1][SPD-Abgeordnete Carmen Wegge] stellte den Gruppenantrag vor.
       Schwangerschaftsabbrüche sollen in den ersten zwölf Wochen rechtmäßig sein
       und nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt werden. Abgeschafft werden soll
       auch die dreitägige Wartefrist zwischen Beratung und Abtreibung.
       Krankenkassen sollen Abtreibungen finanzieren dürfen.
       
       Dies sei ein „ausgewogener und alle Rechte berücksichtigender
       Gesetzentwurf“, so Wegge, „der in diesem Hause mehrheitsfähig sein sollte.“
       Denn vieles bleibe unverändert: Abtreibungen nach der 12. Woche bleiben
       grundsätzlich rechtswidrig und strafbar. Die Beratungspflicht bleibe auch.
       Sogar der [2][Paragraph 218] bleibe erhalten, „um die Schutzwürdigkeit des
       ungeborenen Lebens in der Systematik des Strafgesetzbuchs zu betonen“.
       
       Wegge bekam für ihre fulminante Rede langen Applaus. Auch sonst waren viele
       Beiträge von Pathos geprägt. „Mit diesem Gesetz können wir Geschichte
       schreiben“, erklärte Kirsten Kappert-Gonther (Grüne). „Geben wir den Frauen
       ihre Körper zurück!“, rief Leni Breymaier (SPD). „Kein Gesetz, kein Mann
       und keine Religion darf über unsere Körper bestimmen“, variierte Heidi
       Engelhardt (SPD).
       
       ## Konservative wollen mal wieder nichts ändern
       
       Dagegen verteidigte die CDU/CSU die geltende Rechtslage. „Auch derzeit ist
       das Selbstbestimmungsrecht der Frau gewährleistet“, erklärte Elisabeth
       Winkelmeier-Becker. Ein Schwangerschaftsabbruch sei nicht strafbar, wenn er
       in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft nach einer Beratung und drei
       Tagen Wartezeit ab Beratung durchgeführt wird. „Die Frau kann nach der
       Beratung frei entscheiden und muss sich nirgends rechtfertigen“, betonte
       Winkelmeier-Becker.
       
       Allerdings berücksichtige die aktuelle Rechtslage, welche Abtreibungen
       grundsätzlich als rechtswidrig (aber straflos) einstufe, auch die
       Interessen des ungeborenen Kindes, so Winkelmeier Becker, „das Ungeborene
       entwickelt sich als Mensch, nicht zum Menschen“. Eine Abtreibung müsse
       etwas anderes sein als eine normale Heilbehandlung.
       
       Auch die AfD bekannte sich zur aktuellen Rechtslage: „Die AfD trägt den
       gesellschaftlichen Konsens zu Paragraph 218 mit“, sagte Beatrice von
       Storch, auch wenn sie persönlich das „furchtbar“ finde. Die AfD fordere
       also keine Verschärfung der Rechtslage.
       
       Die AfD-Abgeordnete Storch verwies als einzige offensiv auf die
       Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1993, in der es hieß: „Der
       Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Dauer der Schwangerschaft
       grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein.“
       Die Abgeordneten des Gruppenantrags gingen darauf nicht ein.
       
       ## Schlechte Versorgung
       
       Die Antragsteller:innen argumentierten vor allem mit der sich immer
       weiter verschlechternden Versorgungslage, für die sie das strafrechtliche
       Verbot verantwortlich machen. Die Zahl der Arztpraxen, die zu Abtreibungen
       bereit sind, habe sich in den letzten 20 Jahren halbiert. In jedem fünften
       Landkreis bestehe kein Angebot für Schwangerschaftsabbrüche.
       
       Auch die Wartefrist wurde von den Gruppen-Antragstellerinnen kritisiert.
       „Sie verzögert den Schwangerschaftsabbruch unnötig, teilweise ist deshalb
       ein medikamentöser Abbruch nicht mehr möglich“, argumentierte die Grüne
       Kappert-Gonther. „Die Wartezeit sorgt für großen Stress und unnötige
       Risiken“, betonte SPD-Frau Engelhardt.
       
       Unions-Abgeordnete verteidigten dagegen die Frist. „Die dreitägige
       Wartefrist zwischen Beratung und Abtreibung stellt sicher, dass die Frauen
       über das Beratungsgespräch noch einmal reflektieren können“, erklärte
       Susanne Hierl (CSU).
       
       [3][Dorothee Bär (CSU)] warf den Antragstellerinnen vor, einen
       „spalterischen Kulturkampf“ führen zu wollen. Dies wies Sonja Eichwede
       (SPD) zurück: „In aktuellen Umfragen sprechen sich über 80 Prozent der
       Befragten für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs aus, da
       kann von einer Spaltung der Bevölkerung nicht die Rede sein.“
       
       Wohl auch deshalb fühlten sich die konservativen Abgeordneten in der
       Defensive und kritisierten immer wieder die Tonlage der Debatte. Es bestehe
       kein Anlass für „Triumphgeheul“, erklärte Nina Warken (CDU). Und Dorothee
       Bär (CSU) kritisierte die „martialische Tonalität“ von SPD-Frontfrau Carmen
       Wegge, der Bundestag sei „kein poetry slam“.
       
       ## Wo noch gestört werden kann
       
       Sollte es in dieser Wahlperiode noch zu einer Abstimmung über den
       Gesetzentwurf kommen, bräuchte der Antrag eine einfache Mehrheit. Bei 328
       Unterzeichner:innen ist dies nicht ausgeschlossen, die absolute
       Mehrheit liegt bei 367 Abgeordneten. Bei Abwesenheit oder Enthaltung kann
       die einfache Mehrheit aber deutlich niedriger liegen.
       
       Für das BSW beschwerte sich Sevim Dagdelen, dass die zehn Abgeordneten der
       Wagenknecht-Gruppe den Antrag auch gerne mit eingebracht hätten, aber
       zurückgewiesen wurden. Sie wollen bei der Abstimmung dennoch zustimmen. Die
       Abgeordneten Gyde Jensen und Kristine Lütke (beide FDP) erklärten, dass sie
       den Antrag zwar inhaltlich unterstützen, aber eine Abstimmung in dieser
       Wahlperiode ablehnen, weil bei vielen Abgeordneten die Meinungsbildung noch
       nicht abgeschlossen sei. Heidi Reichinnek (Linke) kommentierte das: „Wer
       nach einer jahrzehntelangen Diskussion zu diesem Thema immer noch keine
       Meinung hat, für den ist Politik vielleicht nicht ganz das Richtige.“
       
       Nach der achtzig-minütigen Debatte wurde der Gesetzentwurf in die
       Ausschüsse verwiesen.
       
       5 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
       ## TAGS
       
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