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       # taz.de -- Kulturpolitik der neuen Rechten: Braucht es einen Gegenkanon?
       
       > Über neurechte Kulturpolitik und die Rolle der Literatur diskutierte man
       > in Berlin. Die Frage war, was Bücher angesichts der Lage leisten können.
       
   IMG Bild: „Protestiert, protestiert, protestiert!“, fordert die Autorin Iwona Nowacka im Literarischen Colloquium Berlin, am 6.12.2024
       
       Die Rechten zitieren Klassiker, damit fängt es vielleicht an. Sie erhalten
       Verlagsrechte und Intendanzen, Parlamentssitze und schließlich
       Regierungsmandate. Die Kulturförderung wurde schon davor auf einen
       bürgerlichen Anstandsrest zusammengekürzt und die Hürden für freischaffende
       Künstler*innen erhöht, sodass der blanken Macht, die zensiert und
       verfolgt, nur noch ein fragiles Überbleibsel dessen im Wege steht, was
       einmal eine freie Kulturszene war.
       
       So könnten sie vielleicht lauten, die Landmarken des Weges, auf dem die
       kulturelle Infrastruktur eines Landes durch rechte Politik zerstört wird.
       Wie sich der Kulturbetrieb davor schützen kann, darüber diskutierten am
       Freitag im Literarischen Colloquium Berlin sechs Autor*innen zum
       Abschluss eines Projekttages zu neurechter Kulturpolitik und der Rolle der
       Literatur darin.
       
       Dass autoritäre Politiker*innen auch im Kulturbereich bestimmte
       Strategien der schrittweisen inneren Zersetzung verfolgen, das zeigen die
       Erfahrungsberichte des ersten von zwei Podien des Abends. Was der Dramaturg
       Mário Drgoňa [1][in der Slowakei erlebt,] seien Anfänge dessen, was in
       Ungarn den Autor Mátyás Dunajcsik bereits dazu bewogen habe, das Land zu
       verlassen.
       
       Und auch in Polen waren es ähnliche Einschnitte, mit denen die
       PiS-Regierung die Kulturszene unterdrückt habe und die die Autorin Iwona
       Nowacka und ihre Kolleg*innen nun mühsam zu überwinden versuchen. Die
       drei Künstler*innen erzählen etwa von Auflagen für den Verkauf von
       queerer Literatur, von politisch motivierten Programm- und
       Personalentscheidungen an Theatern bis hin zu direkten Eingriffen in die
       Texte vor ihrer Veröffentlichung.
       
       Als wichtigstes Instrument rechter Politik heben die drei Gäste jedoch die
       Einsparungen im Kulturbetrieb hervor. „Es reicht, keine Gelder mehr zu
       vergeben oder auch nur die Sorge vor Kürzungen zu verbreiten. Man wird sich
       schon selbst zensieren“, sagt Nowacka. Und Dunajcsik ergänzt: „Kapitalismus
       gibt dem Faschismus die Hand.“
       
       ## Angesichts aktueller Bedrohungen
       
       Er betont, wie wichtig staatliche Förderprogramme seien, auch deshalb, weil
       Politiker*innen mit Expertise so darüber entscheiden könnten, was
       gefördert werden soll. Eine Aussage, die von einem Punk mit Anarcho-Patch
       auf der Jacke überrascht.
       
       Von den konkreten Szenarien aus geht der zweite Teil des Abends in eine
       Selbstbefragung über. Was kann Literatur angesichts der Bedrohung überhaupt
       leisten? Der Autor und Historiker Per Leo argumentiert, dass es gar nicht
       möglich sei, Literatur so zu schreiben, dass sie nicht von rechten
       Akteur*innen vereinnahmt oder umgedeutet werden kann. Schriftsteller
       [2][Necati Öziri] kontert mit dem Auftrag eines Gegenkanons, also „so zu
       schreiben, dass die Nazis es verboten hätten“. Es gehe darum,
       Zeug*innenschaft abzulegen über das, was passiert.
       
       An Utopien, wie sie Moderatorin Linn Penelope Rieger zu schreiben
       vorschlägt, glaubt die dritte Panelistin, [3][Autorin Paula Fürstenberg,]
       weniger. Sie sehe die Literatur nicht so sehr als den Ort eines
       Gegenentwurfs, sondern als ein Medium, um Menschen zu erreichen, die sich
       dann außerhalb der Kunst engagieren könnten. Wogegen genau, wo und wie
       rechte Kulturpolitik schon jetzt zu erkennen ist, das fällt jedoch hinter
       dem Abstraktionsniveau des Gesprächs zurück.
       
       Dass das Kulturpublikum eine Bedrohung grundsätzlich erkannt hat, ist
       dennoch deutlich zu spüren. So erntete ein Aufruf von Iwona Nowacka
       kräftigen Applaus: „Protestiert, protestiert, protestiert! Besonders dann,
       wenn es alles schon entschieden scheint.“ Er ist auch als Mahnung zu
       verstehen, sich mit dem Gewand des Autoritarismus in der Gegenwart
       auseinanderzusetzen. Dass man darüber überhaupt im Futur II sprechen kann –
       was man einmal getan haben wollen wird -, ist schließlich das Privileg
       einer Zeit, in der doch noch nicht alles entschieden ist.
       
       10 Dec 2024
       
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