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       # taz.de -- Kulturprojekt in Brandenburg: Vertrauensbildung im Bunkerland
       
       > In Strausberg entsteht auf einem einstigen Postareal ein nachhaltiges
       > Kulturquartier. Bald soll eine besondere DDR-Hinterlassenschaft begehbar
       > sein.
       
   IMG Bild: Nachhaltigkeit als bestimmendes Thema: Melanie Seeland (l.) und Antje Borchardt vom Postgelände-Team
       
       Berlin taz | Melanie Seeland sitzt in der „Schmorpost“ ihrer
       Projektpartnerin Antje Borchardt gegenüber. Es ist gemütlich warm in der
       kleinen Gaststätte im Kulturquartier Altes Postgelände im brandenburgischen
       Strausberg. Einige Tische und die Verkleidung des Bartresens sind aus
       naturbelassenem Kiefernholz.
       
       „Alle reden [1][über Holzbau], was man nicht alles ändern müsste. Es wird
       viel Geld in Theorien investiert, wie man klimafreundlicher bauen könnte“,
       sagt Seeland. Und alle reden über Kulturangebote und Begegnungsstätten im
       ländlichen Raum. Seeland und Borchardt haben gemeinsam mit Matthias Merkle
       beschlossen, nicht mehr nur zu reden, sondern einfach mal anzufangen.
       Seeland sagt: „Wir sind das im Kleinen, worüber alle im Großen reden.“
       
       Alles begann mit einem 28 Hektar großen Gelände, gut einen Kilometer vom
       S-Bahnhof Hegermühle entfernt, das zu DDR-Zeiten der Post gehörte und einen
       riesigen Elektrobunker beherbergte. Hier war die Kommunikation des
       Warschauer Pakts für den Ernstfall sichergestellt.
       
       Seeland, Borchardt und Merkle hatten von einem Bekannten erfahren, dass das
       Gelände zum Verkauf stand. Nach Kalkulationen, einigen Bedenken, aber
       gleichzeitig glänzenden Augen, was hier alles möglich sein würde, schlugen
       sie zu – um das alte Postgelände neu zu beleben. Zwölf Jahre ist das nun
       her.
       
       ## In engem Austausch mit den Menschen
       
       Alle drei kommen vom Theater und so stand das erste Projekt im neuen
       Kulturquartier schnell fest. Ein Theater gab es in Strausberg bis dahin
       nicht, auch das Kino war schon lange dicht. Also wurde [2][„Die Andere Welt
       Bühne“] ins Leben gerufen. Die kommt in der Kleinstadt bei Berlin gut an.
       
       „Wir sind immer im engen Austausch mit den Menschen hier. Das Konzept des
       Geländes entsteht im Pingpongspiel mit Strausberg“, sagt Seeland. Aber es
       sei auch „sehr viel Arbeit“, ergänzt Borchardt.
       
       Inzwischen gibt es auf dem Gelände einen Spielplatz, der für alle
       zugänglich ist. Eine kleine Schafherde, die gestreichelt werden darf. Eine
       Genossenschaft, die WG-Zimmer vermietet und eine Schule betreibt. Die
       Gaststätte Schmorpost, in der es von Donnerstag bis Sonntag Wochengerichte
       und Pasta gibt. Und das große Holzbauprojekt: Alte Kiefern werden zu
       nachhaltigem Wohnraum.
       
       „Der Witz liegt darin, dass wir das Holz direkt hier aus dem Wald nehmen,
       dass das alte Kiefern sind, die in den nächsten Jahren sowieso umfallen
       werden“, sagt Borchardt. Das Holz muss also keine weiten Strecken mit dem
       Lkw zurücklegen, sondern wird direkt vor Ort weiterverarbeitet.
       
       In der Holzwerkstatt arbeitet inzwischen ein neunköpfiges Team, alle sind
       an dem Gesamtprozess beteiligt. „Wir haben das Kulturquartier mit einem
       Kunstanspruch gestartet, deshalb ist es uns auch wichtig, dass der eine
       nicht nur die ganze Woche hobelt und die andere nur sägt“, sagt Borchardt.
       
       ## Holzhäuser in Planung
       
       Von der Schmorpost vorbei am Schafgehege und der Werkstatt stapfen
       Borchardt und Seeland einen matschigen Pfad entlang bis zur Baustelle: Zwei
       Stockwerke eines der geplanten Holzdoppelhäuser stehen schon. Insgesamt
       sollen 16 Doppelhäuser gebaut werden, alle ein bisschen anders aufgeteilt,
       alle etwas anders gestaltet. Eine einheitliche Neubausiedlung kommt nicht
       infrage.
       
       Wer hier einziehen möchte, muss allerdings auch Kapital mitbringen. Die
       Einlage kostet 1.000 Euro pro Quadratmeter, nicht gerade niedrigschwellig.
       „Das lässt sich nicht anders machen, wenn man keine Förderung hat“, sagt
       Borchardt. Die Miete selbst soll bei 13 Euro liegen, dafür aber langfristig
       gesichert sein. Eine Handvoll der 32 Wohneinheiten ist schon vergeben.
       Wichtig sei ihnen auch, dass die Leute, die hier einziehen, Lust auf das
       Projekt haben.
       
       „Wir haben erst mal das Theater aufgemacht, dass sich die
       Bewohner:innen nicht plötzlich dagegenstellen“, erklärt Seeland. „Wir
       wollen hier ein urban anmutendes, offenes Gelände schaffen, was einen
       Unterschied für die Leute hier in Strausberg macht“, sagt Borchardt. Divers
       soll es auch werden. Etwas schwierig angesichts der Preise. „Wir sprechen
       gerade mit verschiedenen Stiftungen und sozialen Trägern, ob die Interesse
       haben, hier eine Wohngruppe zu eröffnen“, sagt Seeland.
       
       Das Ganze wird in Kooperation mit [3][der gemeinnützigen Organisation
       Bauhaus Erde] durchgeführt, die diese Baumethode mit der heimischen Kiefer
       hier am Praxisbeispiel erforscht. Der CO2-Ausstoß soll möglichst gering
       sein. Die abgeholzten Kiefern werden durch heimischen Mischwald ersetzt.
       Seeland, Borchardt und ihr Team möchten mit dem alten Postgelände,
       besonders aber mit dem Bauprojekt, zum Modell werden.
       
       ## AfD und andere Krisen
       
       „So wenig und kleine Maschinen wie wir brauchen, kann im Prinzip jede
       Tischlerei und jede Zimmerei an jedem Waldrand bauen“, sagt Borchardt. Auch
       wenn das Thema Nachhaltigkeit „im Moment [4][aufgrund von AfD und anderen
       Krisen] in den Hintergrund gerutscht“ sei, ist Seeland überzeugt: „In den
       nächsten Jahren wird das eines der größten Themen überhaupt sein.“
       
       Statt Angst vor Veränderung, will das Team des Alten Postgeländes Mut für
       neue, nachhaltige Projekte machen. Und damit auch die breite Gesellschaft
       in und um Strausberg abholen. Auf dem Spielplatz, in der Schmorpost oder
       nach Theateraufführungen käme man immer wieder mit Strausberger:innen
       ins Gespräch, wobei auch Bedenken geäußert werden.
       
       Nicht Bedenken gegenüber dem alten Postgelände mit neuem Kulturangebot.
       Sondern mit Blick auf die Politik in Brandenburg, aber auch generell.
       Seeland sagt, sie erwidere dann: „Mit der AfD geht es mit uns
       wahrscheinlich nicht weiter.“ Das würde viele zum Nachdenken anregen. Dass
       das Theater schließt, das würden sie schließlich auch nicht wollen.
       
       „In den aktuellen Zeiten fehlt es uns oft an Vertrauen, aber unseren Ort
       würde ich als vertrauensbildende Maßnahme beschreiben“, sagt Borchardt. Und
       rund um das alte Postgelände bräuchte es viel Vertrauen. Angefangen beim
       Vertrauen der Leute, die mit ihrem Geld in das Bauprojekt einsteigen.
       Vertrauen, in die eigenen Fähigkeiten, so ein Projekt mit einem kleinen
       Team zu stemmen.
       
       Das Kulturquartier sei zudem ein Ort, an dem die Strausberger:innen
       Vertrauen fassen sollen. Ein Ort mit offenen Toren. „Aber gestandene Nazis
       werden vermutlich nicht hierherkommen und das ist uns natürlich sehr
       recht“, fügt Borchardt hinzu.
       
       ## Ohne Förderung kein Theater
       
       Wie es mit dem alten Postgelände weitergehen wird, sollte die AfD früher
       oder später noch größeren politischen Einfluss bekommen, kann niemand genau
       abschätzen. Das nachhaltige Bauprojekt läuft unabhängig von öffentlichen
       Geldern, aber das Theater wird gefördert. Ohne Förderung kein Theater.
       
       Seeland wurde bei einem Besuch im brandenburgischen Landtag bereits von der
       AfD-Fraktion scharf auf die gegenderte Sprache ihrer Webseite angesprochen.
       „Damit zeigen sie: Wir haben euch im Blick“, sagt sie. Also die Projekte
       lieber zügig realisieren, lautet die Devise. Und im diesjährigen
       Weihnachtstheaterstück werden die politischen Entwicklungen auch
       künstlerisch aufgearbeitet.
       
       In „Anschluss im Abseits“, geschrieben vom Teamkollegen Merkle, wird die
       Strausberger Geschichte der Jahre 1938 und 1948 thematisiert. Es ist schon
       der dritte Teil einer komödiantisch-philosophischen Reihe über
       Weltgeschichte in der eigenen Kleinstadt.
       
       Es gehe diesmal um das NS-Regime und die Gründungsgeschichte der DDR, sagt
       Seeland. Die Frage sei: „Warum hat man in diesem Land vielleicht immer mal
       den Hang, plötzlich in autokratischen Systemen zu landen?“ Entmutigen
       lassen wollen sich die Mitstreiter:innen des alten Postgeländes nicht.
       Auch für die Zukunft sind zahlreiche Projekte angedacht.
       
       So soll unter anderem der alte Telekommunikationsbunker wieder begehbar
       gemacht werden. „Wir haben hier [5][ein wichtiges Denkmal der
       deutsch-deutschen Geschichte] auf unserem Gelände und wollen ihn zu einer
       kulturellen Begegnungsstätte umwandeln“, sagt Borchardt.
       
       Insgesamt soll der Bunker 8.000 Quadratmeter groß sein, aufgeteilt in etwa
       200 Räume. Einige der Räume seien noch gut erhalten, „mit ganz viel Technik
       und DDR-Zeug drin“, so Borchardt. „Die würden wir eben gern tatsächlich so
       als historisches Denkmal erlebbar machen.“
       
       20 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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