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       # taz.de -- In Heide auf dem Marktplatz: Ganz viel Weite in der Stadt
       
       > Heide in Dithmarschen ist bekannt für den überdimensioniert wirkenden
       > Marktplatz. Da gibt es allerhand Historie – und viel Platz für parkende
       > Autos.
       
   IMG Bild: Ein Platz mit ganz viel Wind
       
       Die Touristen schlendern brav drumherum, die Heider und Heiderinnen eilen
       einfach quer darüber: über den Marktplatz der Kreisstadt Heide in
       Dithmarschen. Mit 4,7 Hektar Fläche ist er Deutschlands größter unbebauter
       Marktplatz. Jeden Sonnabend ist hier am Kopfende Wochenmarkt mit zwei
       Handvoll Buden, offenen Ständen und Verkaufswagen, der darunter folgende
       große Rest ist ein Autoparkplatz, oft mehr als gut beparkt, dann noch ein
       bisschen Freifläche, zusammen entspricht das sechseinhalb Fußballfeldern.
       
       Ein Platz, asphalthässlich, leicht buckelig, nichts an Gebäuden steht
       schützend herum. Ungehindert weht einem der Wind um den Kopf und um die
       Nase. Heide nennt sich stolz „Marktstadt im Nordseewind“.
       
       ## Wichtig der Heider Marktfrieden
       
       „Heide ist eine Kopfgeburt“, sagt Günter Lenkeit, Heides führender
       Stadtführer. Erstmals erwähnt wird der Ort im Jahr 1404: „Heide war da ein
       trockener Sandfleck mit Heidebewuchs auf einer Geestinsel, davor lag
       angeschwemmtes Marschland“, erzählt Lenkeit. Dann suchen fünf umliegende
       Gemeinden einen gemeinsamen wie neutralen Kirch- und Versammlungsplatz. Man
       klärt seine Streitigkeiten, erlässt Gesetze, man hält Gericht. Heide wird
       bald zusätzlich Markt- und damit Handelsplatz, gestärkt durch den
       „[1][Heider Marktfrieden]“ von 1447: Er garantiert über Jahrhunderte, dass
       die Händler auf ihrer An- wie Abreise nicht ausgeraubt werden, so wie
       generell auf dem Markt das Tragen von Waffen verboten ist. Anfänge einer
       staatlichen Ordnung, an die bis heute alle zwei Jahre mit einem speziellen
       Jahrmarkt erinnert wird.
       
       Zwischendurch ist Heides Marktplatz Versammlungsort der Dithmarscher
       Bauernrepublik (1500–1559), die sich gegen die aus Norden vordrängenden
       Dänen wehrt. Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts siedelt sich um den Platz
       herum Handwerk und Handel in festen Häusern an. „Daher haben wir keine
       mittelalterliche Bebauung, keine Fachwerkhäuser, keinen Ringwall“, sagt
       Lenkeit. Heide hat seinen Marktplatz.
       
       Lenkeits schwere, wattierte, mit Signalstreifen verzierte Regenjacke
       knarrt, wenn er sich beim Erzählen vorbeugt, während er die geschichtlichen
       Daten ausschmückt: dass etwa 1636 der erste Pferde- und Viehmarkt verbrieft
       ist, so wie bis heute der sonnabendliche Heider Markt der einzige in
       Schleswig-Holstein ist, auf dem laut Marktordnung Lebendvieh verkauft
       werden darf. „Macht niemand mehr, könnte man aber“, sagt Lenkeit. „Gemüse
       ist noch viel“, ergänzt er. Es folge Fisch und Fleisch, dann werde das
       Angebot dünner: „Die Marktbeschicker werden langsam weniger.“
       
       Er hatte bis eben noch nebenan Aufsicht auf der Eisbahn, sein Zweitjob als
       Rentner: Auf dem Heider Marktplatz ist Weihnachtsmarkt. Und neben all den
       Buden, in denen der Glühwein köchelt und die Kohlwurst im Grünkohl dampft,
       ist die Eisbahn die Hauptattraktion. Erst tummeln sich dort die Kinder,
       später kommen die kichernden Jugendlichen dazu, bis am Abend würdevoll die
       Erwachsenen auflaufen, oftmals kostümiert: zum traditionellen
       Eisstockschießen.
       
       160 Teams treten seit den ersten Dezembertagen an. An diesem Abend wird
       sich das Team „Malle Club“ gegen „Promille Dithmarschen“ durchsetzen, das
       vierköpfige Team „Die fünf Musketiere“ muss sich den „Die Muttis“
       geschlagen geben. Und jedes Mal ist da ein Johlen weit über den Platz
       hinaus zu hören, wenn der Eisstock zu weit geschleudert gegen die Bande
       knallt oder zu kurz vor dem Zielkreis verreckt.
       
       Früher ging es bis in den Januar hinein, und Eisstock-Teams bis hoch aus
       Neumünster oder von drüben aus Eutin kamen und zusammen spielte man auf dem
       Markt den Landes-Cup aus. „Aber das hat Corona kaputt gemacht“, sagt
       Lenkeit.
       
       ## Umgehungsstraße ist nicht nötig
       
       In den 1970ern ignoriert man alle Vorschläge, bei wachsendem Autoverkehr
       eine Umgehungsstraße zu bauen wie überall sonst. Im Gegenteil: Man schlägt
       eine Schneise in die Stadt, baut die autobahnartige „Stadtbrücke“, die von
       der Bundesstraße her zum Marktplatz führt, wohin sonst.
       
       Eine vernünftige Entscheidung, ist man sich in Heide sicher: Autos gehören
       mitten in die Stadt. „Auch wir haben gelegentlich Leerstand in unseren
       Einkaufsstraßen, aber schauen Sie sich mal in Elmshorn, Pinneberg oder in
       Rendsburg um“, sagt er. Und tatsächlich: Schlendert man um den Marktplatz
       herum, findet man jede Menge nützlicher Fachgeschäfte, auch dem örtlichen
       Kaufhaus geht es offenbar gut, jedenfalls fehlen die Krimskrams-Läden, mit
       denen sonst die kleinstädtischen Fußgängerzonen so verzweifelt aufgefüllt
       werden.
       
       Neueste Errungenschaft: der Stromanschluss beim historischen Kandelaber mit
       seinen Sitzbänken, früher fiel hier das Licht aus Gas, heute aus Strom,
       genau in der Mitte des Platzes. Da säßen nun die jungen Leute und laden
       ihre Handys auf, sagt Lenkeit: „Ein Marktplatz soll ein Treffpunkt sein,
       das ist heute nicht anders als immer schon.“
       
       21 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Heider_Marktfrieden
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Keil
       
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