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       # taz.de -- Maler Amoako Boafo in Wien: Klimt, Schiele, Boafo
       
       > Das Belvedere Wien stellt Amoako Boafos schillernde Porträts Schwarzer
       > Menschen aus. Der ghanaische Kunstmarktstar führt eine Wiener Tradition
       > fort.
       
   IMG Bild: Arbeit mit Zitaten: Amoako Boafo, „Yellow Blanket“, 2018 (Ausschnitt)
       
       Ein leuchtend gelber Hintergrund überhöht das Porträt einer schwarzen Frau
       wie eine Ikone. Wäre da nicht der selbstbewusste Blick, der direkten
       Kontakt sucht und so gar nicht entrückt oder andächtig wirkt. Das Gesicht
       ist gemalt mit pastosem Farbauftrag in breiter Fingermalerei, es wirkt fast
       wie geknetet. Ein voluminöser Schal schlingt sich um den Hals und bedeckt
       halb die Schultern, hier ist die schwarze Farbe glatt aufgetragen, darunter
       ist ein geblümtes Stoffkleid zu sehen, das Muster wirkt flächig, wie aus
       einer Tapete ausgeschnitten und in Collagetechnik aufgeklebt.
       
       „Enyonam’s Black Shawl“ ist das expressive Porträt von Amoako Boafo
       übertitelt, es hängt in dem Raum „Wiener Frauen“ und blickt auf prominente
       Nachbarschaft: Genau gegenüber [1][hängt Gustav Klimts Porträt] der Amalie
       Zuckerkandl, links das Porträt der Johanna Staude. Auch sie trägt einen
       schwarzen Schal, eher einen Fellkragen, und ein floral gemustertes Kleid,
       auch die Klimt-Frauen suchen den direkten Blickkontakt.
       
       Die Klimt-Porträts gehören zur Sammlung des Belvedere-Museums und dienen in
       der Ausstellung „Proper Love“, der bislang größten Einzelausstellung des
       Kunstmarkt-Shootingstars Amoako Boafo, einer Beweisführung, deren es
       eigentlich nicht bedurft hätte. Denn der heute 40-Jährige hat stets betont,
       dass es die Begegnung mit der Wiener Moderne war, die seine künstlerische
       Identität maßgeblich geprägt hat. Sie ließ ihn seinen markanten Stil
       entwickeln, der sich in jüngster Zeit vor allem durch den plastischen
       Einsatz von Fingermalerei auszeichnet und einen starken Kontrast zu den
       plan gestalteten Bildpartien bildet.
       
       Boafo versteckt seine Einflüsse keineswegs, sondern stellt sie
       selbstbewusst aus, was nun in der Schau im Belvedere auf frappierende Weise
       – auch durch die Gegenüberstellungen – sinnlich erfahrbar wird.
       
       Nach einem Kunststudium in Accra hatte Boafo ab 2014 an der Akademie der
       bildenden Künste in Wien studiert und setzte sich intensiv auseinander mit
       Schieles unbarmherzigen Selbstporträts und Klimts Kombination von
       realistischen Frauenporträts und ornamentaler Stofflichkeit sowie dessen
       hoher [2][Aufmerksamkeit für Kleidung].
       
       ## Kleidung als Distinktionsmerkmal
       
       „Ich denke, Kleidung kann manchmal Worte ersetzen …“ sagt Boafo in einem
       der Interviews, die das Belvedere derzeit auf seiner Website geschaltet
       hat. [3][Kleidung ist damals wie heute ein Distinktionsmerkmal], sie
       transportiert gesellschaftliche Codes und verweist auf Zugehörigkeiten.
       Boafos ausnahmslos Schwarze Protagonist*innen demonstrieren das
       offensiv: Sie tragen leuchtende Farben, strahlend weißen Nagellack,
       Neon-Sportdress und dramatische Turm-Frisuren, Base-Caps und
       Sonnenschlapphut. Sie tragen ihre Kleider-Codes lässig, sie wirken stark
       und attraktiv.
       
       Männer tragen Türkis und Pink, spielen sinnfällig mit Erdbeeren und
       konterkarieren mit offensiv gezeigter Verletzlichkeit Klischees Schwarzer
       Macho-Männlichkeit. Gelassen blicken die Porträtierten aus den Bildern
       heraus, sie zeigen Boafos Umfeld und feiern selbstbewusst Freundschaft und
       Solidarität der Black Community. Der Intensität und Treffsicherheit dieser
       Porträts kann man sich nicht entziehen, sie scheinen förmlich zu sprechen
       und wahren doch – wie Klimts Porträts – ein letztes Geheimnis.
       
       Frühere Arbeiten Boakos in der Schau zeigen vor allem Selbstporträts, die
       ihn überwiegend in zerbrechlicher Nacktheit zeigen. Bei den teils
       gespreizten Posen stand diesmal sehr offensichtlich [4][Egon Schiele] Pate.
       Damals nutzt Boafo noch kaum die Fingerfarben, die Bilder wirken
       kompositorisch gewollter, zugleich defensiver, wiewohl auch hier die Blicke
       der Selbstporträts sich mit bohrender Intensität auf die Betrachtenden
       richten.
       
       Zudem sind die Bilder gespickt mit Verweisen auf die Lektüre zentraler
       Veröffentlichungen der postkolonialen Literatur, auf einem seiner frühen
       Selbstporträts liest er [5][Frantz Fanons „Black Skin, White Masks“].
       
       Dergleichen Fingerzeige hat der „späte“ Boafo nicht mehr nötig, denn die
       Porträts der letzten Jahre strotzen nur so vor unmittelbarer Präsenz,
       Emanzipation und körperlich spürbarer Gegenwart. Die sich in dieser
       Klarheit erst im fruchtbaren Dialog mit der Vergangenheit der Wahlheimat
       Wien einstellte. Das ist wohl ein Fall von kultureller Aneignung. Aber sie
       kommt bei dem ghanaischen Maler aus ungewohnter Richtung. Boafo dreht die
       Debatte um – und es sieht gut aus.
       
       11 Dec 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Regine Müller
       
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