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       # taz.de -- Protest in der Krise: Die Kunst des Voranscheiterns
       
       > Angesichts der Krisenkonjunktur brauchen Aktivist:innen einen langen
       > Atem für die Mühen der Ebene. Ein Plädoyer fürs hakenschlagende
       > Durchhalten.
       
   IMG Bild: Inzwischen mit neuer Strategie, aber immer noch am Start: Aktivist:innen der Letzten Generation
       
       Hamburg taz| Durchhalten hat nichts Glamouröses. Jedenfalls nicht, während
       man dabei ist, höchstens im Rückblick. Es ist ein großes Trotzdem, ein
       Dranbleiben trotz Rückschlägen, trotz Unpopularität, trotz Zweifeln. Zur
       Zeit halten einige durch. In der Ukraine, in der Klimabewegung, in der
       Überzeugung, [1][dass Populismus keine Lösung ist].
       
       Das sind die Felder, auf denen anfänglich viele Leute zu finden waren, man
       traf sich auf den Demos, es gehörte dazu, dabei zu sein. Die Halbwertszeit
       des Dazugehörens war überschaubar. Ein Kern von Leuten macht weiter und die
       anderen finden es inzwischen anstrengend, dass die Ukraine noch nicht
       gewonnen hat, das Klima nicht gerettet ist und es nicht gelungen ist, aus
       dem Populismus die Luft herauszulassen.
       
       Die Bretter, die da gebohrt werden, sind dick und es nervt, dass kein Ende
       in Sicht ist. Es scheint auch beim Bretterbohren einen Kipppunkt zu geben.
       Dann steigen einige aus dem Projekt aus oder stehen so unbeteiligt daneben,
       wie sie es davor auch getan haben. Nur dass die Ausgestiegenen es jetzt
       nicht mehr toll, sondern auch einen Hauch störend finden, dass die anderen
       weitermachen mit ihrem Aktivismus. Weil der jetzt nicht mehr ein
       gemeinsamer Weg ist, sondern ein latenter Vorwurf.
       
       Und die auf der anderen Seite? Machen weiter. Sei es als Minderheit, die
       einmal Massenzulauf hatte, sei es als ewige Kleingruppe. Manche tun das,
       was sie schon immer getan haben, weil sie glauben, dass es nur eine Frage
       der Zeit ist, bis sie damit Erfolg haben. Andere überlegen sich neue
       Strategien. Fridays for Future (FFF) suchen den Zusammenschluss mit anderen
       gesellschaftlichen Gruppen und [2][streiken gemeinsam mit den
       Verkehrsbeschäftigten]. Die Letzte Generation benennt sich um und sucht
       nach Aktionsformen, die weniger polarisieren.
       
       ## Fahren auf Sicht
       
       Durchhalten ist Fahren auf Sicht. Man kann nicht wissen, ob man das Ziel je
       erreicht. Kürzlich sprach ich mit einer Aktivistin von FFF, die als
       Schülerin dazu kam. Damals glaubte sie, dass nach fünf Monaten der
       Durchbruch erreicht sein würde. Jetzt ist sie seit Jahren dabei und sagt,
       dass man nicht einfach aufhören könne.
       
       Etwas später sprach ich mit einem Aktivisten der Letzten Generation, der
       aus der Bewegung ausgestiegen ist. Wir haben es nicht geschafft, sagt er.
       Jetzt könne man nur noch Schaden begrenzen und das tut er auf einem
       Gnadenhof für Nutztiere, weil die sich, so sagt er, selbst nicht helfen
       können. Gut möglich, dass das, was wie Aufgeben aussieht, manchmal
       Durchhalten ist, nur eben mit anderen Mitteln.
       
       Es gibt ein Durchhalten, das nach außen sichtbar wird, aber mindestens so
       oft ist es für die anderen unsichtbar. Der Chef eines Messerladens um die
       Ecke, der so lange weiter arbeitete, bis seine Angestellte einen
       ordentlichen Rentenanspruch hatte. Der [3][Vater eines Sohnes mit
       Behinderung, der seit Jahren Geld sammelt um eine Wohngruppe auf die Beine
       zu stellen, in der sein Sohn leben kann], wenn er selbst nicht mehr da ist.
       Ein sehr kranker Ex-Junkie, der nicht rückfällig wird, obwohl die Zeiten
       schlecht sind für ihn.
       
       ## Blut und Tränen
       
       Durchhalten kann nach Blut und Tränen klingen, nach den Parolen, die die
       Putins der Welt rausschreien. Es ist eine Errungenschaft, dass wir selbst
       aussuchen können, wo wir durchhalten wollen. Was es nicht weniger
       anstrengend macht.
       
       Vielleicht ist es in einer Zeit, in der zu oft nur mit ganz oder gar nicht
       gerechnet wird, sinnvoll ein Durchhalte-Konzept zu entwickeln, das ohne
       Stahl auskommt. In dem man dranbleibt, aber Pausen machen kann, um zu Atem
       zu kommen. Und in dem die Schlenker möglich sind, die es nun mal braucht.
       Weil man sich geirrt hat, weil die Gegenseite eine neue Taktik gefunden
       hat. „Voranscheitern“ hat das jemand von Psychologists for Future genannt.
       Ein Begriff, den man sich merken muss.
       
       2 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] /Buendnis-von-Fridays-for-Future-und-Verdi/!5993196
   DIR [3] /Ohne-Lobby-Pflegende/!5639094
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Gräff
       
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