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       # taz.de -- Die Wahrheit: Das Kreuz mit der heiligen Krabbe
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (208): Die auf dem
       > Panzer gezeichnete Kruzifix-Krabbe wird seit 1546 von Christen angebetet.
       
   IMG Bild: Die Kruzifix-Kraabe trägt schwer an ihrer Zeichnung
       
       Während Frauen bisweilen ein edelmetallisches Kreuz auf der Brust tragen
       oder als Tattoo am Oberarm, haben einige Tiere ein Kreuz auf dem Rücken,
       Spinnen und Schmetterlinge zum Beispiel, das sich evolutionär entwickelt
       hat. Es gibt jedoch ein Tier, die Kruzifix-Krabbe, auch Gestreifte
       Schwimmkrabbe genannt, die sich ihr Kreuz auf dem Panzer buchstäblich
       verdient hat – im Jahr 1546.
       
       Damals ereignete sich ein zweifaches „Krebswunder“, nachdem der Jesuit
       Franz Xaver auf dem Weg zu seiner Missionsstation in Südostasien in den
       indonesischen Gewässern in einen schweren Sturm geraten war. „Um seinen
       Gebeten Nachdruck zu verleihen, hielt er ein Kruzifix in die sich
       auftürmenden Wogen, wobei ihm dieses aus der Hand glitt und in der See
       versank“, schreibt der Biologe Heinz-Dieter Franke in seinem Buch „Kleine
       rote Fische, die rückwärts gehen“ (2024). So nannte eine Kommission der
       französischen Akademie der Wissenschaften die Krabben. Der französische
       Naturforscher Georges Cuvier merkte dazu höflich an: „Eine Krabbe ist kein
       Fisch, sie ist nicht rot und geht auch nicht rückwärts. Davon abgesehen ist
       ihre Definition absolut korrekt.“
       
       Krabben laufen seitwärts und zwar sehr schnell – im „Krebsgang“. Der
       Krebsforscher Franke studierte unter anderem Hummer in der Biologischen
       Anstalt auf Helgoland, dem einzigen Vorkommen von Hummern in der Nordsee.
       Die dort stationierten Wissenschaftler erforschen neben diesen
       Speisekrebsen beispielsweise mit Unterwassermikrofonen die Lautäußerungen
       von Fischen, wobei sie ihrerseits von Fischforschungs-Forschern um den
       Schweizer Wissenschaftshistoriker Christoph Hoffmann studiert werden.
       
       Das Schiff mit dem Missionar Franz Xaver erreichte am Tag nach dem Sturm
       das Festland („an der Küste von Malakka“ heißt es auf shalomtidings.org).
       Dort entstieg bald darauf Franke zufolge „ein Krebs dem Meer, der das
       verloren gegangene Kruzifix in den erhobenen Scheren trug und es dem
       Besitzer zurückgab. Unter den Katholiken Indiens und Südostasiens wurde
       dieses Krebswunder um eine weitere Episode ergänzt.“
       
       ## Religiöser Talisman
       
       An den Küsten des indopazifischen Ozeans lebt eine große Schwimmkrabbe. Sie
       war es, die dem Jesuiten das Kruzifix zurückgebracht hatte und für diese
       Tat von ihm gesegnet worden war. Seitdem trägt sie – anscheinend von Gott
       und nicht von der Evolution geschaffen – „das Zeichen des Kreuzes auf ihrem
       Rücken. Die Tiere werden daher bis heute verehrt, und ihr Rückenpanzer wird
       als religiöses Schmuckstück oder Talisman gehandelt.“ Demzufolge lautete
       ihr wissenschaftlicher Name lange Zeit „Charybdis cruciata“, neuerdings
       aber „Charybdis feriata“ (lat. für festlich, feierlich).
       
       Laut Franke nennt die päpstliche Bulle zur Heiligsprechung Franz Xavers
       (1622) unter seinen bewirkten Wundern auch die Krebsepisode. „Ein gewisser
       Francesco Rodriguez hatte als angeblicher Augenzeuge den Vorgang vor seinen
       Ordensoberen bestätigt.“
       
       Als Heiliger wurde der tote Jesuit daraufhin auseinandergenommen: Sein
       rechter Arm („mit dem der Missionar die zahllosen Taufen vorgenommen
       hatte“) wurde in Rom als Reliquie in der Jesuitenkirche Il Gesù
       ausgestellt. 2017 wurde diese von der Catholic Christian Outreach („eine
       Missionsorganisation kanadischer Studierender“) ausgeliehen, um sie auf
       einer Rundreise von Gläubigen in Kanada verehren zu lassen. „Das verlorene
       und auf wundersame Weise von einem Krebs zurückgebrachte Kruzifix soll sich
       in der Kapelle des Königspalastes in Madrid befinden.“
       
       Um den Protestantismus zurückzudrängen, bildeten die Jesuiten gegen Ende
       des 16. Jahrhunderts die „Speerspitze der Gegenreformation“ und dabei
       verbreiteten sie nun auch in Mitteleuropa das Krebswunder ihres heiligen
       Franz Xaver. Es wurde „in Liedern besungen und war Gegenstand unzähliger
       Andachtsbilder, Gebetsdrucke und Erbauungstraktate. In Dutzenden von
       barocken Kirchen und Kapellen des bayerischen Voralpenlandes, Österreichs,
       Sloweniens und Böhmens ist die Krebsepisode als Fresko oder Altargemälde
       präsent. Wenn binnenländische Künstler mit dem Begriff des Meerkrebses
       nichts verbinden konnten, ließen sie schlicht einen ihnen bekannten
       Flusskrebs dem Meer entsteigen …“
       
       Aber dem späten 19. Jahrhundert fiel, im Bemühen „offizieller kirchlicher
       Stellen, die Lebensgeschichte der Heiligen von Vorkommnissen zu säubern,
       die kaum noch zu vermitteln waren, auch das Krebswunder, über das schon
       Voltaire gespottet hatte, zum Opfer“. Franke meint, dass eine Zeichnung des
       Illustrators Richard Ernst Kepler aus dem Jahr 1922 wahrscheinlich die
       letzte war, die das Krebswunder in Szene setzte.
       
       Dafür hat sich die Kruzifix-Krabbe anscheinend selbst aufgemacht, um Xavers
       Missionstätigkeit fortzuführen: Sie hat sich von den indonesischen und
       indischen Gewässern aus bis nach Australien, Kenia und ins Mittelmeer
       verbreitet. Noch ist sie im Mittelmeer selten, aber das wird sich ändern,
       es sei denn, es finden sich genug Fischer in den Anrainerstaaten, die sie
       als schmackhafte Meeresfrucht fangen und vermarkten.
       
       ## Sichtung im Mittelmeer
       
       Die Internetseite von reabic.net/aquaticinvasions berichtet: „Die
       indopazifische Kruzifix-Krabbe Charybdis feriata (Linnaeus, 1758) wurde zum
       ersten Mal aus dem Mittelmeer nachgewiesen. Es handelt sich um ein
       einzelnes erwachsenes Weibchen, das am 13. Dezember 2004 in einem
       Kiemennetz vor Barcelona in einer Tiefe von 60–70 m gefangen wurde. Der
       wahrscheinlichste Einschleppungsvektor war ein Handelsschiff.“ Also noch
       kein Fischerboot.
       
       Zum Glück ist die Kruzifixkrabbe für die Aufzucht in Aquakulturen und die
       Haltung in Aquarien „nicht geeignet“, wie es im meerwasser-lexikon.de
       heißt. Vielleicht wegen ihrer „räuberischen Lebensweise“, die vor
       Kannibalismus nicht zurückschreckt, oder weil man an den Küsten des
       indopazifischen Ozeans, wo man sie wie erwähnt verehrt, noch nicht getestet
       hat. Ob bei ihrem Verzehr „Vergiftungsgefahr“ besteht?
       
       Auf fish-commercial-names.ec.europa.eu wird allerdings erwähnt, dass die
       Schwimmkrabbe von französischen und italienischen Trawlern mit
       Schleppnetzen gefangen wird, wobei die Hauptfanggründe sich vor West- und
       Südafrika und rund um Australien bis nach Korea und Japan befinden.
       Tiefseekrabben gelten als Delikatesse, die Kruzifix-Krabbe schwimmt jedoch
       nur bis zu einer Tiefe von 200 Metern, wo die „Tiefsee“ erst beginnt.
       
       Die Internetseite der EU beschreibt die Kruzifix-Krabbe ganz sachlich
       folgendermaßen: „Panzer eiförmig; 5 deutliche Zähne am vorderen und
       seitlichen Rand. Farbe: ausgeprägtes Muster aus kastanienbraunen und weißen
       Längsstreifen, in der Regel mit deutlichem weißem Kreuz im mittleren Teil
       der Magengegend.“
       
       30 Dec 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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