URI: 
       # taz.de -- Neues Soloalbum von Fritzi Ernst: Die Welt steht kopf
       
       > Trennung, Theater, Tears For Fears: Fritzi Ernst entkommt in den Songs
       > ihres zweiten Soloalbums „Jo-Jo“ den Niederungen des Alltags mit Eleganz.
       
   IMG Bild: Wann wird es wieder Sommer? Fritzi Ernst, ehemalige Hälfte des Pop-Duos „Schnipo Schranke“
       
       „Uupsiupsiupsiups“, „Ich bin so dumm“, oder „Es macht klopfklopf in meiner
       Brust.“ Das neue Album von Fritzi Ernst heißt „Jo-Jo“ und bewegt sich
       textlich zwischen Selbstgespräch und Tagebucheintrag. [1][Genau deswegen
       wirkt die Musik der 35-jährigen Hamburger Künstlerin auch so nahbar].
       
       „Ich hatte auf jeden Fall auch das Bedürfnis, die Musik nicht nur für mich
       zu machen, sondern ich mache das ja auch für das Außen und will auch
       Kontakt und kommunizieren“, erklärt Fritzi Ernst der taz ihre
       Befindlichkeiten beim Zusammenstellen ihrer neuen Songs.
       
       Über ihr neues Album und dessen Entstehung sprechen wir bei einem
       Cappuccino in einem kleinen Café in Hamburg-Altona. Kommunizieren, das
       macht Fritzi Ernst sehr bedacht. Eher grübelnd, als aus Angst davor, das
       vermeintlich „Falsche“ zu sagen. Mehr hat es den Anschein, als hätte sie
       die richtige Antwort schon parat und müsste sich nur kurz auf die Suche
       nach dieser begeben. Eine Person, mit der man gerne einen Kaffee trinken
       geht.
       
       ## Schreien oder Schweigen
       
       „Schreien oder Schweigen“ heißt einer der zehn Songs auf ihrem neuen,
       zweiten Soloalbum. Danach gefragt, wovon es denn abhängig ist, ob sie
       schreit oder schweigt, sagt Fritzi Ernst: „Gerade dieses Schweigen und
       Schüchternsein ist irgendwie ein Thema in meinem Alltag.
       
       Früher war ich einfach nur wahnsinnig schüchtern. Mittlerweile bin ich
       erwachsen und kann mit Schüchternheit besser umgehen.“ Und trotzdem käme es
       immer wieder zu Situationen, in der sie auf die Welt blickt und erkennt,
       was alles Schlimmes passiert. „Dann denke ich, Scheiße, eigentlich muss ich
       halt einfach den Mund aufmachen!“
       
       Den Mund aufmachen? Das tut sie dann auch. In der Entstehung des Albums
       aber erst später, denn diesmal waren zuerst die Sounds da, und nicht die
       Songtexte. [2][Kurze 30-sekündige Skizzen, die die Musikerin, die mal
       Klavier und Blockflöte studierte, anschließend loopt. Damit hat sie eine
       verspielte Einfachheit kreiert. Mit wenigen Zutaten: Drumcomputer und
       Klavier.]
       
       ## Auf dem Rummelplatz
       
       Sich Fritzi Ernst schreiend vorzustellen, wie der Songtitel „Schreien oder
       schweigen“ suggiert, fällt allerdings schwer. Das letzte Mal, als sie das
       getan hat? Auf dem Rummelplatz am Hamburger Dom – dem gefühlt immer, aber
       eigentlich nur dreimal im Jahr stattfindenden Volksfest auf dem
       Heiligengeistfeld in St. Pauli. Dort hat sie sich überreden lassen in eines
       der Fahrgeschäfte, den „Rotor“ einzusteigen.
       
       Apropos Rummel: Auch damit lässt sich die Musik von „Jo-Jo“ gut
       vergleichen. Allerdings wird auf dem „Jo-Jo“-Rummel nicht geschrien, aber
       alles ist angenehm farbenfroh, und statt schnell sich bewegender und
       penetrant blinkender Attraktionen gibt es dort auch Holzkarusselle und
       einen Streichelzoo.
       
       ## Morphende Traum-Atmosphäre
       
       In etwa so ist auch die vorherrschende Stimmung in den Musikvideos zu den
       vorab als Singles ausgekoppelten Songs „Märchen“ und „Ich steh im Bett“.
       Zur Umsetzung von Letzterem nutzte Fritzi Ernst teilweise KI-Animationen,
       um eine morphende Traum-Atmosphäre zu erschaffen. Dass sie KI nie für ihre
       Musik nutzen würde, das scheint klar. Die Verwendung fürs Video sei aber
       kein Problem, sondern ein Gewinn für sie.
       
       „Vorgeschlagen hat das Gloria Gammer, Regisseurin des Videos, die unbedingt
       mal damit experimentieren wollte, und ich fand ihre visuelle Idee zur Musik
       sehr passend. Außerdem ist auch sofort klar und offensichtlich, dass es
       sich um KI-Animationen handelt.“ Klarheit, die wollte Fritzi Ernst auch bei
       der einzigen Coverversion, die sich auf dem Album findet. Klarheit für die
       Hörerinnen, dass es sich um eine Anverwandlung handelt.
       
       Entschieden hat sie sich für den Track „Mad World“ [3][der britischen
       Synthiepopband Tears for Fears] aus dem Jahr 1982. Warum gerade dieser?
       „Weil es einfach ein super Song ist.“ So weit, so klar, so nachvollziehbar.
       „The dreams in which I’m dying / Are the best ones I’ve ever had“ ist
       vielleicht eine der schönsten Songzeilen überhaupt und passt, obwohl auf
       Englisch gesungen, ganz großartig zu den ebenfalls sehr glaubwürdigen und
       direkten eigenen Songtextzeilen, die aus der Feder von Fritzi Ernst kommen.
       
       Die Idee, auch mal ein Cover auf das Album zu packen, die stammt von Ted
       Gaier. Das Goldene-Zitronen-Mitglied, dessen WG-Mitbewohnerin Fritzi Ernst
       einst für eine Weile war, ist wie bei ihrem Debütalbum „Keine Termine“
       erneut für die Produktion verantwortlich. Schon lange sind die beiden
       miteinander bekannt. Kennengelernt haben sie sich, [4][als Fritzi Ernst
       noch eine Hälfte des Popduos Schnipo Schranke war, mit dem sie insgesamt
       zwei Alben veröffentlicht hat.]
       
       ## Auflösung betrauern wie gescheiterte Beziehung
       
       „Nie drüber gelacht“ heißt der fünfte Song auf „Jo-Jo“, in dem sich Fritzi
       Ernst mit dem Aus der Band auseinandersetzt. Wer den Song hört, ohne über
       Schnipo Schranke Bescheid zu wissen, glaubt wahrscheinlich, einen
       Trennungssong zu hören. Wer um die plötzliche Auflösung der Band im Jahr
       2019 weiß, stellt dann fest, dass man das Ende einer Band ebenso betrauern
       kann wie das einer Beziehung.
       
       Auch wenn die Gründe für das Aus von Schnipo Schranke bis heute
       hauptsächlich den beiden Musikerinnen selbst bekannt sind. „Ja, ich wollte
       noch mal was dazu sagen. Das war durchaus schwierig, die passenden Worte
       dafür zu finden.“
       
       Die künstlerische Trennung von ihrer Partnerin Daniela Reis hat sie ohne
       Vorwurf thematisiert und mit dem Song ausgedrückt, „wie es mir heute damit
       geht, was ich darüber denke. Es beschäftigt mich nach wie vor und wird es
       wahrscheinlich auch weiterhin tun,“ beschreibt Fritzi Ernst dieses leidige
       Thema, auf das sie vielleicht beim nächsten Album in Interviews nicht mehr
       angesprochen wird.
       
       ## Auftragsmusik fürs Theater
       
       Tears for Fears, Trennung und: Theater. Auch aus diesem Themenfeld hat es
       ein Song auf ihr neues Werk geschafft. „Alarm Alarm“ heißt er und entstammt
       der Zusammenarbeit von Fritzi Ernst mit der Regisseurin Leonie Böhm. Sowohl
       bei der Inszenierung von „Die Räuberinnen“ an den Münchner Kammerspielen
       als auch beim Theaterstück „Johanna“ aufgeführt in Hamburg und Zürich, ist
       es Fritzi Ernst, die die Schiller-Stücke musikalisch untermalt.
       
       Und so hat sich Ernst hinsichtlich Sprache und Formulierungen von Friedrich
       Schiller inspirieren lassen, Sätze wie „In menschenreicher Öde stehe ich /
       Das gemeine Glück berührt mich nicht“, könnten aber auch ohne Zweifel von
       ihr stammen. Ihre Gedanken zum Sturm und Drang dieser Zeilen? „Also ich
       muss da auf jeden Fall immer an Menschenmengen denken.
       
       Wo auch immer, beim Konzert, auf einer Demo, irgendwie lenken sich alle
       ab,und bei sich denkt man so, boah, aber eigentlich ist doch alles scheiße.
       Wenn man zum Beispiel auf dem Dom ist und man denkt, oh Gott, warum habe
       ich eigentlich keinen Spaß?“
       
       Dass sie nicht gemacht ist für große Menschenmengen, glaubt man Fritzi
       Ernst sofort. Mehr scheint die Hamburger Künstlerin geschaffen zu sein für
       die Introspektion, von der dann viele etwas haben, wenn sie diese in Musik
       packt. Und dann ist man eben auf dem Ernst’schen Rummel. Dass dort nicht
       alles in Harmonie schwelgt, wissen ihre Fans, manchmal braucht es eben
       genau Musik wie die von Fritzi Ernst, die die Hörer:Innen mit ihrer
       Glaubwürdigkeit davor bewahrt, sich zu sehr der Resignation hinzugeben.
       
       13 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Soloalbum-von-MPC-Lafote/!5966468
   DIR [2] /Solodebuet-von-Fritzi-Ernst/!5783573
   DIR [3] /Neue-Popmusik-aus-Meck-Pomm/!5610676
   DIR [4] /Die-Zehnerjahre-in-der-Kultur/!5651772
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johanna Schmidt
       
       ## TAGS
       
   DIR Hamburg
   DIR Chanson
   DIR Pop
   DIR Neues Album
   DIR Debütalbum
   DIR Debütalbum
   DIR Popkultur
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Solodebüt von Fritzi Ernst: Klavier-Burlesken über Depression
       
       Das Projekt Schnipo Schranke mit Daniela Reis hat Fritzi Ernst hinter sich
       gelassen. Ihr Debütsoloalbum „Keine Termine“ wagt sich an Kabarettpop.
       
   DIR Debüt von Hamburger Ducks On Drugs: Zwei Fremdkörper, eine Liebe
       
       Ducks on Drugs nennt sich das Hamburger Popduo aus Ente Schulz und Daniela
       Reis. Sein Album „Stabil Labil“ vertont die Geschichte einer Amour Fou.
       
   DIR Die Zehnerjahre in der Kultur: Allesfresser und Furzwitze
       
       Diese Popkünstler:innen haben das Jahrzehnt gerockt. Eine radikal
       subjektive Auswahl von sechs taz-Autor:innen.