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       # taz.de -- Gewalt gegen Frauen in den Medien: Nicht viel gelernt
       
       > Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung untersucht Artikel über
       > geschlechtsspezifische Gewalt. Das Ergebnis: Es geht immer noch zu oft um
       > Einzelfälle.
       
   IMG Bild: Einer Demonstration am Internationalen Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, am 8.12.2024 in Berlin
       
       Gewalt gegen Frauen sind keine Einzelfälle. Gewalt gegen Queers sind keine
       Einzelfälle. Gewalt gegen Mädchen sind keine Einzelfälle. Leider muss das
       oft wiederholt werden. Fast jeden Tag wird eine Frau oder ein Mädchen
       getötet – Femizide sind aber nur die Spitze der Gewalt. [1][Andere Formen
       von Gewalt wie häusliche Gewalt sind noch viel weiter verbreitet]. Die
       polizeiliche Kriminalstatistik zeigt das auf: Im Jahr 2023 wurden täglich
       mehr als 140 Frauen und Mädchen Opfer sexualisierter Gewalt, alle drei
       Minuten erlebte eine Frau oder ein Mädchen häusliche Gewalt.
       
       Auch in Medien sind – spätestens seit der 2017 gestarteten
       #MeToo-Bewegungen, diese Themen allgegenwärtig. Aber wie berichten Medien
       über geschlechtsspezifische Gewalt? Eine neue Studie der
       Otto-Brenner-Stiftung, veröffentlicht am 12. Dezember 2024, beleuchtet die
       Berichterstattung über Gewalt an Frauen. Sie zeigt, dass sich trotz
       jahrelanger Debatten und [2][Bewegungen wie #MeToo] in der journalistischen
       Praxis wenig verbessert hat. In der Studie wurden Berichte von
       Boulevardmedien wie der Bild-Zeitung, Regionalzeitungen wie dem Münchner
       Merkur sowie der dpa und Spiegel Online aus den Jahren 2020 bis 2022
       analysiert. Die Ergebnisse sind leider ernüchternd.
       
       Gewalt in Partner*innenschaften wird zwar etwas häufiger thematisiert
       als in früheren Untersuchungen, jedoch bleiben wichtige Gewaltformen wie
       psychische und finanzielle Kontrolle fast vollständig unbeachtet. Insgesamt
       ist Partnerschaftsgewalt im Verhältnis zu ihrem realen Ausmaß in den Medien
       deutlich unterrepräsentiert. Besonders kritisch ist, dass sich immer mehr
       Artikel auf die Motive der Täter konzentrieren, während die Perspektive der
       Opfer medial kaum Platz findet. Nur 16 Prozent der untersuchten Artikel
       ordnen Gewalt gegen Frauen thematisch ein, lediglich vier Prozent fordern
       politische oder gesellschaftliche Maßnahmen. Noch gravierender: In nur zwei
       Prozent der Berichte werden Hilfsangebote für Betroffene erwähnt, obwohl
       diese Informationen essenziell sind, um Gewaltopfern konkrete Unterstützung
       zu bieten.
       
       Ein weiteres Problem zeigt sich laut dem OBS-Papier bei der Darstellung von
       Taten, die von nichtdeutschen Tatverdächtigen begangen wurden. Diese werden
       etwas häufiger als strukturelles und wiederkehrendes Problem dargestellt,
       was stereotype Vorstellungen über Gewaltursachen und Tätergruppen
       verstärkt. Auch hier bleibt die Berichterstattung oft oberflächlich und
       schürt Vorurteile, statt differenziert auf die tatsächlichen Strukturen
       hinter der Gewalt einzugehen.
       
       ## Kein Randthema
       
       Der Deutsche Journalisten-Verband DJV betont die Verantwortung der Medien
       in diesem Bereich. Gewalt gegen Frauen sei kein Randthema, sondern müsse
       viel stärker in den Fokus rücken. „Wir Journalistinnen und Journalisten
       haben eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, vielschichtig über
       Gewalt gegen Frauen zu berichten“, erklärte DJV-Bundesvorsitzender Mika
       Beuster anlässlich der Veröffentlichung der Studie in einer
       Pressemitteilung. Medien prägen entscheidend mit, wie die Gesellschaft
       solche Themen wahrnimmt und welche Bedeutung ihnen beigemessen wird.
       
       Für eine bessere Berichterstattung braucht es strukturelle Veränderungen in
       der journalistischen Praxis. Redaktionen sollten verbindliche Normen
       schaffen, um sensibler mit dem Thema umzugehen. Die Sprache in den
       Berichten muss präzise und respektvoll sein, um Gewalt weder zu
       verharmlosen noch zu dramatisieren. Es ist wichtig, dass Artikel
       systematisch auf Hilfsangebote hinweisen, damit Betroffene wissen, wo sie
       Unterstützung finden können. Gleichzeitig muss die Perspektive der Opfer
       stärker in den Mittelpunkt gerückt werden, statt lediglich die Täter und
       deren Motive zu beleuchten.
       
       Die Empörung über Gewalt gegen Frauen ist in etablierten wie sozialen
       Medien oft groß, flacht aber nach wenigen Wochen wieder ab, ohne dass sich
       etwas ändert. Doch das kann und darf nicht der Normalzustand bleiben. Wenn
       das Leben von Frauen, Mädchen und queeren Menschen wirklich etwas zählt,
       muss die Gesellschaft diesen Moment der Aufmerksamkeit nutzen, um
       dauerhafte Veränderungen einzuleiten. Journalist*innen spielen dabei
       eine Schlüsselrolle – sie können die nötigen Debatten anstoßen, die
       strukturelle Gewalt sichtbar machen und den Opfern eine Stimme geben.
       
       12 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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