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       # taz.de -- Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen: Vorwürfe gegen Parlamentarier
       
       > Die Grünen wählen erneut Lisa Paus an die Spitze ihrer Landesliste.
       > Pankows Bundestagsabgeordneter Gelbhaar zieht seine Bewerbung
       > überraschend zurück.
       
   IMG Bild: Die Berliner Grünen haben am Samstag ihre Kandidat:innenliste für den Bundestag beschlossen
       
       Berlin taz | Gleicher Ort, gleiches Thema, nur die Parteifarbe ist eine
       andere am Samstagmorgen in einem Moabiter Tagungshotel. Wo am
       Donnerstagabend das Hellblau der Berliner CDU dominierte, stellen am
       Samstag auch die Grünen ihre Kandidatenliste für die Bundestagswahl am 23.
       Februar auf. Wie bei der CDU dominieren West-Kandidaten die Liste, die wie
       2021 und 2017 Lisa Paus anführt, inzwischen Bundesministerin. Dahinter
       folgen der Neuköllner Andreas Audretsch, [1][der auch Bundeswahlkampfleiter
       ist], und Landeschefin Nina Stahr aus Steglitz-Zehlendorf. Gegen Stefan
       Gelbhaar aber, der wieder prominent den Osten vertreten wollte, gibt es
       Vorwürfe – er zieht seine Listenbewerbung zurück.
       
       Ursprünglich war eine Kampfabstimmung zwischen ihm und Audretsch erwartet
       worden, die Kollegen in der Grünen-Bundestagsfraktion sind. Denn auch
       Gelbhaar hatte eine Bewerbung für Listenplatz 2 eingereicht, auf dem er
       bereits 2021 antrat. [2][Damals gewann er in Pankow als bundesweit einziger
       Grüner einen Ost-Wahlkreis]. Bei der Teil-Wiederholungswahl im Februar
       dieses Jahres hatte er gegen den Trend [3][sein Ergebnis noch verbessert].
       
       Ein erneuter Sieg im Wahlkreis Pankow galt daher und angesichts aktueller
       Umfragen als sehr wahrscheinlich, so dass Gelbhaar keinen sicheren
       Listenplatz benötigte, um wieder in den Bundestag zu kommen. Doch für
       Gelbhaar war Platz 2, der erste auf der Grünen-Liste für Männer mögliche
       Platz, auch ein Zeichen der Wertschätzung Richtung Osten der Stadt
       
       „Mich treibt es um, eine Berliner, eine Ostberliner Perspektive
       einzubringen“, sagte Gelbhaar der taz wenige Tage vor dem Parteitreffen.
       Als [4][politisches Vorbild] nennt er auf der Internetseite der
       Bundestagsfraktion keinen Grünen, sondern die verstorbene Brandenburger
       SPD-Politikerin Regine Hildbrandt, Exministerin und als „Mutter Courage des
       Ostens“ bekannt geworden.
       
       ## Überraschender Rückzug von Listenkandidatur
       
       Doch um 10:53 Uhr, sieben Minuten vor dem offiziellen Beginn im Moabiter
       Tagungshotel, landet eine Nachricht von Gelbhaar im E-Mail-Posteingang der
       taz und weiterer Journalisten: Er werde nicht für Listenplatz 2
       kandidieren, „denn in den letzten Tagen sind Vorwürfe gegen mich erhoben
       worden.“ Konkreter beschreibt er die Vorwürfe nicht. Das müsse parteiintern
       geklärt werden und das wolle er jetzt erst klären. „Ich werde aktiv daran
       mitarbeiten, hier für Klärung zu sorgen.“ Gelbhaar verweist dazu auf
       „geordnete Strukturen bei der Ombudsstelle in der Bundesgeschäftsstelle“.
       Diese Stelle sei eine Ombudsstelle gegen sexualisierte Gewalt“, erklärt es
       der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Werner Graf, gegenüber der taz.
       
       Als einziger Kandidat für Platz 2 verbleibt so Audretsch, der 2021 auf
       Listenplatz 4 antrat. Der wäre bei der kommenden Wahl für ihn wacklig
       gewesen. Die Grünen kamen zwar bei der jüngsten Umfrage im November genau
       auf ihr Rekord-Wahlergebnis von 2021, als es knapp für sieben
       Bundestagssitze reichte. Durch [5][die Verkleinerung des Bundestagstag] von
       jetzt 738 auf künftig 630 Sitze blieben davon, wenn es auch am 23. Februar
       so gut für die Grünen läuft, nur noch höchstens sechs. Der letzte davon
       wäre alles andere als sicher.
       
       Nach jetzigem Stand könnten die Berliner Grünen wieder drei der zwölf
       Wahlkreise gewinnen, die weitgehend identisch mit den Stadtbezirken sind:
       Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und eben Pankow. Damit wären drei weitere
       Parlamentssitze über die Liste zu besetzen, mit Spitzenkandidatin Paus und
       zwei weiteren.
       
       Die Frage vor diesem Parteitag war daher: Wer würde auf dem wackligen
       letzten dieser drei Plätze sitzen? Audretsch, der von Platz 4 auf 2
       aufrücken wollte? Oder Nina Stahr, die Ende 2023 auf Bitten der Partei
       wieder Landesvorsitzende wurde, wie schon von 2016 bis 2021? Sie hatte eine
       Bewerbung für den für Frauen reservierten Listenplatz 3 eingereicht.
       
       ## Kampfabstimmung bleibt durch Rückzug aus
       
       Durch Gelbhaars Rückzug von der Listenkandidatur kommt der Landesverband um
       eine Kampfabstimmung herum, die in mehrfacher Form Fronten in der Partei
       hätten verhärten können: West gegen Ost, linker Parteiflügel, zu dessen
       führenden Köpfen Audretsch gehört, gegen Realos.
       
       Hintergründe zu seinem Rückzug von der Kandidatur mag Gelbhaar in seiner
       E-Mail nicht nennen, weil Vertraulichkeit zentral für das weitere Vorgehen
       sei. „Daher bitte ich von weiteren Anfragen abzusehen, aus Respekt vor dem
       Verfahren wie vor mir als Person und meiner Familie“, schreibt er.
       
       Dass es Vorwürfe gegen Gelbhaar gibt, kursiert laut Fraktionschef Graf, dem
       linken Parteiflügel zuzuordnen, seit Wochenbeginn. Gelbhaars
       Bewerbungsschreiben für Platz 2 [6][auf der Grünen-Plattform „Antragsgrün]“
       datiert von Montagmittag um 13:29 Uhr. Üblicherweise gut informierte
       Vertreter des Realo-Flügels wollen hingegen am Freitag erstmals davon
       gehört haben.
       
       Als Direktkandidat im Wahlkreis hatten die Pankower Grünen Gelbhaar am 12.
       November gewählt. Der dortige Kreisvorsitzende sagte [7][damals über die
       Nominierung]: „Stefan Gelbhaar steht für einen aktiven Austausch mit den
       Menschen vor Ort und für eine klare Haltung zu sozialem Klimaschutz und für
       zukunftsweisende Investitionen in Mobilität – er ist ein starker Vertreter
       für Pankow im Bundestag.“
       
       ## Keine Aufklärung durch Tagungsleitung
       
       Die Grünen-Tagungsleitung am Samstag in Moabit erwähnt den Rückzug nicht,
       als es um die Besetzung von Listenplatz 2 geht, obwohl die Bewerbung zur
       selben Zeit noch unter „Antragsgrün“ zu finden ist. Auch Audretsch geht in
       seiner Bewerbungsrede nicht darauf ein. Er erhält bei einem Meinungsbild,
       das im Grünen-Landesverband der offiziellen Abstimmung über die Liste
       voraus geht, ein besseres Ergebnis als die Spitzenkandidatin Paus: Für ihn
       stimmen knapp 89 Prozent, für Paus nur 76 Prozent. Die Bewerbung der
       Landesvorsitzenden Stahr unterstützen 83 Prozent.
       
       Ob Gelbhaar seine Bewerbung als Direktkandidat aufrecht hält, bleibt bis
       Samstagnachmittag offen. Abgabeschluss für Kandidatenlisten und
       Wahlkreisvorschläge [8][ist erst am 20. Januar]. Auch zu hören ist, dass
       Gelbhaar Freitag geäußert haben soll, er wissen weder, von wem die Vorwürfe
       stammen noch den konkreten Inhalt. Der RBB [9][zitiert mittags die
       Grüne-Jugend-Chefin] Leonie Wingerath mit der Forderung, Gelbhaar solle
       auch seine Direktkandidatur zurückziehen. Es sei wichtig, den Betroffenen
       erstmal Glauben zu schenken und sich darum professionell zu kümmern, gibt
       sie der Sender wieder.
       
       Der Landesparlamentarier Andreas Otto, wie Gelbhaar aus Pankow und mit ihm
       von 2011 bis 2017 zusammen in der Abgeordnetenhausfraktion, sieht die Lage
       anders. „Für mich gilt erstmal die Unschuldsvermutung“, sagt er der taz.
       „Gut wäre es gewesen, wenn die Ombudsstelle bis 10:59 Uhr (also vor
       Parteitagsbeginn und folgendem Listenbeschluss, d. taz) schon Ergebnisse
       hätte vorlegen können.“
       
       14 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bewerbung-um-den-Gruenen-Parteivorsitz/!6036780
   DIR [2] https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/bundestagswahl-2021-karte-historische-ergebnisse-wahlkreise-gemeinden/
   DIR [3] /Berlin-wiederholt-Bundestagswahl/!5991532
   DIR [4] https://www.gruene-bundestag.de/abgeordnete/details/stefan-gelbhaar/
   DIR [5] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw11-de-bundeswahlgesetz-937896
   DIR [6] https://berlin.antragsgruen.de/
   DIR [7] https://gruene-pankow.de/2024/11/12/buendnis-90-die-gruenen-pankow-nominieren-stefan-gelbhaar-erneut-fuer-den-bundestag-noch-viel-zu-tun-fuer-sozialen-klimaschutz-und-gerechte-saubere-mobilitaet/
   DIR [8] https://www.bundeswahlleiterin.de/dam/jcr/8cc2623a-8b7b-455c-af2d-bb512a04c3b9/btw_info-wtn_2025.pdf
   DIR [9] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2024/12/berlin-landesparteitag-gruene-vorwurf-gelbhaar-sexuell-belaestigung-listenplatz-gewaehlt-lisa-paus.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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