# taz.de -- taz-adventskalender „24 stunden“ (17): 17 Uhr auf dem Weihnachtsrummel
> Rummelplatz im Niemandsland: Mit besinnlichem Weihnachts-Brimborium hält
> sich der „Berliner Wintertraum“ in Niederschöneweide gar nicht lange auf.
IMG Bild: Ein echter Weggucker: „Mr. Frosti“ beim „Berliner Wintertraum“ in Niederschöneweide
Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend:
Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns
durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60
Minuten Berlin hinter unserem [1][taz-berlin-Kalendertürchen]. Heute: ab 17
Uhr auf einem Rummelplatz in Niederschöneweide.
Der „Berliner Wintertraum“ ist weder winterlich noch verträumt, sondern in
erster Linie ein Rummel und an diesem Nachmittag ein wenig trostlos. Was
mit am schauderhaften Dauernieselregen liegt. Um 17 Uhr ist die neueste
„große Weihnachtsattraktion“ des Bezirks Treptow-Köpenick dann auch nur
mittelmäßig besucht.
„Hier sieht man, wie schön die dunkle Jahreszeit ist, es leuchtet, es
duftet“, hatte Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) vor gut einem Monat
bei der Eröffnung des Jahrmarkts an der unwirtlichen Schnellerstraße im
Ortsteil Niederschöneweide gesagt. Womit Igel immerhin recht hat: Es blinkt
und leuchtet überall, wie es sich für einen Jahrmarkt gehört.
Und weil Weihnachten ist, gibt es dazu noch die unvermeidliche
Weihnachtsschlager-Beschallung, den ebenso unvermeidlichen Glühwein (zu
[2][nahezu bodenständigen 4 Euro] das Glas) und alle paar Meter eher
lustlos neben die Buden geklatschte Weihnachtsbäume.
## Gut gelauntes Publikum
Zwar stehen sich aufgrund des überschaubaren Andrangs nicht wenige
Mitarbeiter:innen der rund 50 Geschäfte und Stände die Beine in den Bauch
und in etlichen Kassenhäuschen herrscht gepflegte Langeweile.
Doch auch hier gibt es Ausnahmen – mit unübersehbar gut gelaunten Familien
mit kleinen Kindern und lauten Jugendlichengruppen. Die sorgen etwa dafür,
dass es beim Autoscooter knallvoll ist.
Auch die Gewinnspielbuden erfreuen sich – sofern überdacht – größerer
Beliebtheit. Bei den Achterbahnen „Crazy Worm“ und „Crazy Mine“ wird
fleißig gekreischt. Wie überhaupt bei allem, was sich schnell dreht, fährt,
hoch- und runtergeht, geschrien wird. Ansonsten wird vor allem viel
geschlendert.
Da die Gesamtfläche nicht sonderlich groß ist, hat es sich schnell
ausgeschlendert. In weniger als zehn Minuten sediertesten Trödelschritts
steht man wieder am Eingang bei „Mr. Frosti“, dem, so die
„Wintertraum“-Werbung, „größten Weihnachtswichtel Berlins, der mit seinen
zehn Metern alle Blicke auf sich zieht“. Die meisten Besucher:innen
laufen achtlos an der unförmigen Riesenfigur mit den vielen kleinen
Lichtern vorbei.
## Fahrgeschäfte statt Schrottautos
Der Rummelplatz im Niemandsland zwischen Schnellerstraße und Spree gehörte
zu DDR-Zeiten zum Betriebsgelände des VEB Kali-Chemie und war [3][fast
flächendeckend mit Cyaniden und Arsen verseucht]. Aus unerfindlichen
Gründen musste die Lacke- und Farben-Fabrik Ende 1990 schließen.
Später war das Areal dann ein Zuhause für Schrottautos. Angeblich sollen
die Händler:innen beim Ausfüllen ihrer Steuererklärungen eine gewisse
Lässigkeit an den Tag gelegt haben. BKA, Zoll und Einsatzhundertschaften
schauten regelmäßig vorbei. Nach der letzten Razzia 2022 war Schicht im
Handelsschacht.
Nun hofft der Bezirk Treptow-Köpenick, dass dank des Weihnachtsrummels „aus
dem Schandfleck ein neues Wahrzeichen geworden“ ist, wie Bürgermeister
Oliver Igel in etwas überambitionierter Glühweinlaune bei der Eröffnung
erklärte.
Als besonders wahrzeichenhaft bewarb Igel bei der Gelegenheit den „Mission
Impossible Tower“: einen 85 Meter hohen Turm mit einer ringförmig
angeordneten Sitzgruppe, die bis zur Spitze hochgezogen wird und dann in
freiem Fall heruntersaust.
Und tatsächlich ist der Turm schon von weitem zu sehen. Zumal die
„Hauptattraktion“ gefühlt noch mal heller leuchtet und nervöser blinkt als
alle anderen Fahrgeschäfte und „Mr. Frosti“ zusammen. Bedauerlicherweise
saust hier an diesem Nachmittag gar nichts. Der Tower ist dicht. „Wegen
Wind, ist windig da oben“, sagt der kundige Gebrannte-Mandeln-Verkäufer
gegenüber. Treptow-Köpenicks neues Wahrzeichen scheint wetterfühlig zu
sein.
17 Dec 2024
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## AUTOREN
DIR Rainer Rutz
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