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       # taz.de -- Migrationsdebatten: Fachkräfte rein
       
       > Der rechte Diskurs in Europa und den USA prägt die Migrationspolitik –
       > aber anders als viele denken. Er lehnt Migration eben nicht pauschal ab.
       
   IMG Bild: Wir sind die Guten! Tech-Geschäftsmann Sriram Krishnan mit Ehefrau Aarthi Ramamurthy 2021 in San Francisco
       
       Rechtspopulisten sind Ausländerfeinde – das ist eine Grundüberzeugung
       linker Feindbildpflege. Von den „Remigrations“-Phantasien in der AfD bis zu
       Trumps Beschuldigung illegaler Einwanderung für den Terroranschlag von New
       Orleans gibt es dafür auch reichlich Belege. Umso irritierender ist es,
       wenn Elon Musk und Donald Trump als Verteidiger der Zuwanderung auftreten.
       
       Kur vor Weihnachten ernannte Trump den indischstämmigen Tech-Geschäftsmann
       [1][Sriram Krishnan] zu seinem zukünftigen KI-Berater. Als die rechte
       Publizistin Laura Loomer, angeblich Erfinderin von Trumps Märchen über
       haustieressende Haitianer, daraufhin gegen [2][„Invasoren aus der Dritten
       Welt“] holzte, regte sich Elon Musk fürchterlich auf und die Sache
       eskalierte, bis Musk seinen Kritikern riet, [3][sie sollten sich ficken
       gehen und er stehe bereit, Krieg zu führen.]
       
       Musk ist in Südafrika geboren, Krishnan in Indien, ebenso Musks zukünftiger
       Kollege [4][Vivek Ramaswamy] in der zukünftigen US-Regierungsbehörde
       „Department for Government Efficiency“. Sie alle sind globalisierte
       Tech-Überflieger, die entweder per Fachkräftevisum in die USA kamen oder
       sich mit damit eingereisten Migranten umgeben. MAGA-Patrioten muss es wie
       Verrat vorkommen, dass Trump sich nun auf die Seite dieser „Globalisten“
       stellt: Das Fachkräftevisum H1-B sei eine sehr gute Sache, [5][sagte der
       zukünftige US-Präsident der rechten New York Post;] er nutze es in seinen
       eigenen Unternehmen natürlich auch.
       
       Bricht damit das rechte Projekt unter seinen Widersprüchen zusammen, bevor
       Trump überhaupt ins Weiße Haus einzieht? Das wäre Wunschdenken. In Wahrheit
       gibt es keinen Widerspruch. Wer das nicht versteht, hat die „neue Rechte“
       des 21. Jahrhunderts nicht begriffen.
       
       ## Öffnung für Fachkräfte
       
       Die Frage ist nicht: Zuwanderung, ja oder nein? Die Frage ist:
       kontrollierte oder unkontrollierte Zuwanderung? Die Rechte wirft der Linken
       vor, letztere zu betreiben – mit Flüchtlingsrettung und großzügigem
       Bleiberecht. Die Linke wirft der Rechten vor, gar keine Zuwanderung zu
       wollen. In Wahrheit wollen natürlich auch Rechte Zuwanderung – nur eben
       kontrolliert und selektiv: Die Aufnahmeländer suchen sich aus, wer kommen
       darf.
       
       Beim Brexit-Referendum in Großbritannien stritten die Brexit-Befürworter
       nicht, wie oft irreführend dargestellt, für ein Ende der Zuwanderung. Sie
       stritten für ein Ende der unkontrollierten Zuwanderung. Daher wollten sie
       raus aus der EU, in der die Personenfreizügigkeit gilt.
       
       „Take Back Control“ lautete Boris Johnsons Parole: Die Kontrolle
       zurückholen. Ein Punktesystem nach australischem Vorbild war sein
       Versprechen. Als er 2019 Premierminister wurde und 2020 der Brexit in Kraft
       trat, lockerte Johnson, ehemals Bürgermeister der Weltstadt London, die
       Zuwanderungsregeln: Hürden für Arbeitsvisa wurden gesenkt, neue Kategorien
       wurden eingeführt. Die [6][Nettozuwanderung nach Großbritannien] hat sich
       seit dem Brexit verdreifacht.
       
       Die Öffnung für Fachkräfte aus aller Welt ist zentrales Projekt der rechten
       Techies von Silicon Valley bis London. Johnsons Nachfolger Rishi Sunak,
       ebenfalls indischstämmig, lud 2023 Elon Musk zum globalen KI-Gipfel nach
       London. Der neue Trump-Berater Krishnan brachte jetzt Musk mit Boris
       Johnson zusammen. Die anglo-amerikanische Achse der rechten Globalisierer
       steht.
       
       Grenzschließer wie Nigel Farage und die MAGA-Patrioten mit ihrem Gefasel
       vom „Bevölkerungsaustausch“ fokussieren sich derweil auf illegal
       einreisende Flüchtlinge, die nur wenige Prozent der Gesamtzahl der
       Migranten ausmachen. Denn kontrollierte Zuwanderung funktioniert nur, wenn
       unkontrollierte Zuwanderung rigoros unterbunden wird. Brutale
       Flüchtlingsabwehr steht nicht im Widerspruch zu hoher kontrollierter
       Zuwanderung, sie ist deren notwendige Kehrseite.
       
       Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. In Großbritannien zeigt sich
       bereits: Kontrollierte Zuwanderung verträgt sich nicht mit Deregulierung.
       Wenn niemand prüft, ob die Studierenden wirklich studieren, ob die
       Pflegekräfte wirklich pflegen, ob Eingereiste nach Auslaufen ihrer Visa
       wieder ausreisen – dann ist nichts unter Kontrolle. Darauf macht mit
       steigendem Erfolg Nigel Farage aufmerksam, und auch die neue
       Labour-Regierung kritisiert die konservative Migrationspolitik als zu
       großzügig. Der Musk-Streit in den USA ist ein Vorzeichen ähnlicher Debatten
       dort.
       
       Die angelsächsische Rechte steht für kontrollierte legale Migration
       [7][gekoppelt mit rigoroser Abschottung] gegen Illegale. In der EU
       betreiben Orbán, Meloni und Macron das ebenfalls, und [8][im deutschen
       Wahlkampf] sind sich auch schon fast alle einig: Ausländer, die nützlich
       und brav und fleißig sind, sind willkommen, die anderen nicht.
       
       Als Elon Musk vor einer Woche in der Welt am Sonntag zur Wahl der AfD
       [9][aufrief,] behauptete er, „die AfD setzt sich für eine kontrollierte
       Einwanderungspolitik ein, die der Integration und dem Erhalt der deutschen
       Kultur und der Sicherheit Vorrang einräumt“. Er hätte besser „die CDU“ oder
       „die SPD“ schreiben sollen. Das hätte dem deutschen Winterwahlkampf richtig
       Feuer gegeben. Und es wäre sachlich korrekt.
       
       4 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-USA-unter-Donald-Trump/!6059344
   DIR [2] https://x.com/LauraLoomer/status/1871639183900787083
   DIR [3] https://x.com/elonmusk/status/1872860577057448306
   DIR [4] /Kuenftige-US-Regierung/!6053999
   DIR [5] https://nypost.com/2024/12/28/us-news/donald-trump-backs-h-1b-visa-program-supported-by-elon-musk/
   DIR [6] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/zuwanderung-grossbritannien-100.html
   DIR [7] https://www.upday.com/de/so-viele-tote-migranten-im-aermelkanal-2024-wie-noch-nie
   DIR [8] https://www.deutschlandfunk.de/berliner-gespraech-csu-mit-neuen-forderungen-zur-migrationspolitik-dlf-70b5486f-100.html
   DIR [9] /Musks-AfD-Wahlempfehlung-in-der-Welt/!6056513
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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       Truger.