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       # taz.de -- Deutschsprachige Fotografen im US-Exil: Bis heute auf den Titelseiten
       
       > Deutschsprachige Emigranten machten in 1930er Jahren New York zum Zentrum
       > der Fotografie. In „Urban Eyes“ erzählt die Kunsthistorikerin Helene Roth
       > davon.
       
   IMG Bild: Der Central Park in New York im Jahr 1946
       
       „5th Avenue“ war die 1947 erschienene Fotoreportage mit 100
       Schwarzweißaufnahmen betitelt. Der Mann, der mit einer Rolleiflex-Kamera
       kontrastreich die sieben Meilen lange Straße durch Manhattan entlang des
       Empire State Building oder des Rockefeller Center abbildete, war der aus
       Dresden stammende [1][Fred Stein].
       
       Stein war Emigrant. 1933 wegen seiner politischen Überzeugung und seiner
       jüdischen Herkunft aus seiner Heimatstadt vor den Nazis geflohen, wurde der
       Jurist erst im Exil zum Fotografen. Zunächst in Frankreich, ab 1941 in New
       York, wo er in die legendäre Fotoagentur Black Star eintrat. Die war 1935
       von deutschen Emigranten wie ihm gegründet worden, von Ern(e)st Mayer, Kurt
       Safranski und Kurt Kornfeld, alles erfahrene Profis aus dem Berliner
       Verlags- und Pressewesen der Weimarer Republik. Sie sollten mit Black Star
       den US-amerikanischen Fotojournalismus verändern.
       
       Netzwerken wie dem um die Agentur Black Star geht die Kunsthistorikerin
       Helene Roth in ihrem Buch „Urban Eyes“ nach. Das stellt die Lebenswege,
       Berufsbiografien und künstlerischen Strategien von deutschsprachigen
       Fotograf*innen im New Yorker Exil in den 1930er und 1940er Jahren vor.
       Bekannte Namen sind dabei: Ruth Bernhard, Josef Breitenbach, Andreas und T.
       Lux Feininger, die beiden Söhne des [2][Malers Lyonel Feininger], Tim
       Gidal, Lotte und Ruth Jacobi. Oder Camilla Koffler, eher geläufig als Ylla,
       die sich mit ihrem Studio am Central Park als Tierfotografin etablieren
       konnte.
       
       Fred Stein wurde zum Pionier der Straßenfotografie. Durch den Sucher
       seiner Kamera erkundete er die amerikanische Metropole, vergewisserte sich
       fotografierend seines neuen Zuhauses, nahm das Alltagsleben in den Blick.
       Sein Foto, das aus Untersicht die geschwungene Linienführung der stählernen
       Hochbahnkonstruktion an der Ecke Pearl und Water Street ablichtete,
       erschien 1948 mit der Bildunterschrift „Coiling steel“ in seinem Kalender
       „Picturesque New York“, bis heute findet man es auf Titelblättern und
       Buchcovern. Auch auf dem von Helene Roths „Urban Eyes“.
       
       Die 1991 geborene Roth, Wissenschaftlerin am kunsthistorischen Institut der
       Ludwig-Maximilians-Universität in München, sichtete Archive und Nachlässe,
       führte Interviews mit Angehörigen der mittlerweile allesamt verstorbenen
       Fotograf*innen ihres Buches. Es zeigt sich: New York war für viele, die
       NS-Deutschland verlassen mussten, nicht unbedingt das Emigrationsziel
       erster Wahl. Aber es war Ankunftsstadt, Zufluchtsort und neue Heimat.
       
       ## Keine geradlinigen Biografien
       
       [3][Die fotografierenden Emigranten wiederum veränderten New York] durch
       ihre Kunst, ihre Netzwerke und Veröffentlichungen. Sie trugen dazu bei,
       dass die Stadt am Hudson River zur „Capital of Photography“ wurde, wie eine
       Ausstellung des Jewish Museum New York 2002 pointiert betitelt war.
       
       „Urban Eyes“ begann als Dissertationsprojekt, Roths Sprache ist
       wissenschaftlich. Jedoch wird ihr Ton fließender und wärmer, sobald sie
       Einblicke in die keineswegs geradlinigen Biografien ihrer Protagonisten
       gibt, in ihre unterschiedlichen Wege ins Exil, besonders berührend sind
       Beschreibungen der [4][geglückten Flucht per Schiff].
       
       Dass Roth in ihre Liste von 35 deutschsprachigen Fotograf*innen im New
       Yorker Exil nicht Erich Kastan oder [5][Clemens Kalischer] aufnahm, könnte
       beklagt werden. Beide schufen eindrucksvolle Bilder von Emigrant*innen
       und „Displaced Persons“, von einem Dasein im Transit, das die Autorin sonst
       gut in ihrem Buch durchleuchtet. Aber diese Leerstelle tut ihrer
       umfangreichen Studie keinen Abbruch.
       
       8 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Weinke
       
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