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       # taz.de -- Covid und seine Folgen: Wenn das Virus bleibt
       
       > Die bisher größte Langzeitstudie zu Long Covid bei Kindern und
       > Jugendlichen ist erschienen. Sie beantwortet drängende Fragen zu den
       > Folgen des Virus.
       
   IMG Bild: „Cure ME/CFS“: Long-Covid-Betroffene demonstrieren vor dem Ministerium für Bildung und Forschung
       
       In Supermärkten oder öffentlichen Verkehrsmitteln tragen wenige Menschen
       noch gelegentlich FFP2-Masken, und die Aussage „Bei uns geht grad wieder
       Corona rum“ hat ihren bedrohlichen Unterton verloren. Nach wie vor
       bedrohlich dagegen klingen die Begriffe Long- beziehungsweise Post-Covid.
       
       Es gehört praktisch zum Allgemeinwissen, dass auch Menschen mit einer
       milden Corona-Infektion später noch an Nachwirkungen leiden können.
       Bemerkenswert dabei ist aber, wie wenig handfestes Wissen es über diese
       Erkrankung gibt. Eine große Frage ist die Prävalenz: Wie häufig kommen
       solche Beschwerden wirklich vor? Und vor allem: Wie oft sind Kinder und
       Jugendliche betroffen? Allmählich liefern neue Untersuchungen Antworten
       darauf, doch die Wissenschaft hat es dabei nicht einfach.
       
       ## Long-Covid und Post-Covid sind nicht identisch
       
       Zunächst einmal werden Long- und Post-Covid häufig als Synonym verwendet –
       bedeuten aber technisch gesehen unterschiedliche Dinge: Unter Long Covid
       versteht etwa die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
       Fachgesellschaften (AWMF) Symptome, die während oder direkt nach der
       Infektion auftreten und dann mehr als vier Wochen weiterbestehen.
       Überdauern die Beschwerden auch nach zwölf Wochen, greift die Bezeichnung
       Post-Covid. Selbst in wissenschaftlichen Publikationen ist das allerdings
       nicht immer so klar getrennt oder definiert. Im Folgenden sprechen wir von
       Long Covid und meinen damit länger andauernde Symptome, da der Begriff
       umgangssprachlich weiter verbreitet ist.
       
       Um die Frage nach dem Auftreten bei Kindern und Jugendlichen zu klären,
       untersuchte eine [1][kürzlich veröffentlichte Analyse] aus England die
       Symptome von 11- bis 17-Jährigen zu vier Zeitpunkten: drei, sechs, zwölf
       und 24 Monate nach einer nachgewiesenen Infektion. Mit Daten von 12.632
       Teilnehmenden ist das die bisher größte Langzeitstudie zu diesem Thema. Das
       Ergebnis: Rund sieben Prozent der Befragten litten zu allen Zeitpunkten an
       mindestens fünf Symptomen. Bei etwa 70 Prozent mit ursprünglicher
       Long-Covid-Erkrankung fanden sich hingegen nach 24 Monaten keine
       Beschwerden mehr.
       
       „Unsere Befunde zeigen, dass sich bei Teenagern, die drei Monate nach einem
       positiven Test auf das Covidvirus unsere wissenschaftliche Definition für
       Long Covid erfüllten, die Mehrzahl nach zwei Jahren erholt hatte“, sagt Sir
       Terence Stephenson vom University College London, Erstautor der Studie.
       „Das sind gute Neuigkeiten, aber wir wollen weitere Forschung betreiben, um
       besser zu verstehen, warum 68 Teenager sich nicht erholt haben.“
       
       Besonders betroffen waren in der Untersuchung ältere Kinder zwischen 15 und
       17 Jahren, wenn sie mit denen zwischen 11 und 14 Jahren verglichen wurden.
       Zudem erkrankten Mädchen fast doppelt so oft an Long Covid als Jungen. Wer
       mehrfach mit SARS-CoV2 infiziert war, zeigte mehr Symptome. Eine
       wiederholte Ansteckung mit dem Virus kann also offenbar Long Covid
       begünstigen. Auffällig dabei: Ob die Kinder und Jugendlichen geimpft waren,
       spielte offenbar keine Rolle für die langfristigen Symptome. Impfungen
       können somit zwar vor einer Corona-Erkrankung schützen oder zumindest die
       Symptome abschwächen, gegen Long Covid wappnen sie jedoch anscheinend
       nicht.
       
       ## Diffuse Symptome erschweren die Diagnose
       
       Vor allem im Alltag ist die Diagnose keine einfache Sache. Für Erkrankungen
       gibt es in der Regel definierte Kriterien, anhand derer eine Krankheit und
       ihr Schweregrad eingeordnet werden können. Hier ist das anders, es hat sich
       noch kein einheitlicher Diagnosestandard etabliert.
       
       Das liegt unter anderem an den diversen Beschwerden. Christa Scheidt-Nave,
       die das Projekt Postakute gesundheitliche Folgen von Covid-19
       (Post-Covid-19) am Robert Koch-Institut leitet, erklärt das so:
       „Einschätzungen zur Häufigkeit von Long Covid vermitteln häufig den
       Eindruck, es handele sich um ein einheitliches, gut definiertes
       Krankheitsbild, was nicht der Fall ist. Vielmehr ist das klinische
       Erscheinungsbild variabel und wird nach derzeitigen Erkenntnissen sehr
       stark von Geschlecht, Alter, Verlauf der akuten Infektion und
       vorbestehenden Krankheiten beziehungsweise Krankheitsrisiken geprägt.“
       
       Die [2][häufigsten Symptome] bei Kindern und Jugendlichen sind Müdigkeit,
       Schlafstörungen, Kurzatmigkeit und Kopfschmerzen. Auch kognitive Probleme
       wie Konzentrationsschwierigkeiten kommen oft vor. Welche Beschwerden
       auftreten und in welcher Intensität, ist aber sehr unterschiedlich. Zudem
       sind die Symptome unspezifisch. Sie könnten verschiedenste Ursachen haben
       und es ist schwer, sie eindeutig der Corona-Erkrankung zuzuordnen. Dennoch
       kann Long Covid die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen –
       und es erhöht die Gefahr einer erneuten Corona-Infektion.
       
       Immerhin: Menschen, die nach einer ersten Ansteckung kein Long Covid
       bekommen hatten, zeigten auch bei weiteren Kontakten mit dem Virus ein
       [3][geringeres Risiko für die Langzeitfolgen]. Zudem hängt das
       Erkrankungsrisiko offenbar von der SARS-CoV-2-Variante ab. Bei Omicron
       etwa kommen andauernde Symptome seltener vor als bei früheren Varianten.
       
       Eine weitere wichtige Forschungsfrage bleibt, wodurch Long Covid überhaupt
       entsteht. Würde der Mechanismus entschlüsselt, könnte das bei der
       Prävention und der Behandlung helfen. Bisher gibt es keine endgültigen
       Fakten dazu, aber immerhin verschiedene Theorien.
       
       Möglich ist etwa, dass sich auch nach der Infektion noch [4][Viren im
       Körper verstecken] und das Immunsystem andauernd wieder aktivieren –
       allerdings nicht so stark wie bei der ursprünglichen Erkrankung. So könnten
       chronische Entzündungsreaktionen entstehen, die den Körper schwächen und
       beispielsweise Nervenzellen dauerhaft schädigen. Denkbar ist auch eine
       [5][Autoimmunreaktion], bei der das Immunsystem eigene Körperzellen
       angreift und so verschiedene Organsysteme schädigt.
       
       Eine weitere Überlegung ist, dass die Entzündungsreaktionen für kleine
       Blutgerinnsel sorgen, [6][sogenannte Microclots]. Oder vielleicht bringt
       das Virus die Zusammensetzung im Darm durcheinander. Mittlerweile ist
       bekannt, dass diese [7][„Darmflora“] einen großen Einfluss auf die
       körperliche und psychische Gesundheit hat. Auch auf diese Weise könnten die
       Symptome entstehen.
       
       Forschende gehen derzeit davon aus, dass Kombinationen dieser Mechanismen
       für die Erkrankung sorgen und es nicht den einen Weg zu Long Covid gibt.
       Das wiederum erschwert sowohl die Forschung als auch die Behandlung.
       
       ## Viele Faktoren können Long Covid auslösen
       
       Aussichtslos ist die Lage für betroffene Familien freilich nicht. Wie die
       Studien zeigen, erholen sich viele Kinder und Jugendliche nach einiger Zeit
       wieder. Bei Patienten und Patientinnen mit schweren und anhaltenden
       Symptomen gibt es Möglichkeiten, mit der Erkrankung umzugehen. Das
       Gesundheitsministerium rät Eltern oder Sorgeberechtigten, zunächst einen
       Kinder- oder Hausarzt aufzusuchen, wenn sie bei ihren Kindern Long Covid
       vermuten. Bei Bedarf können diese die Familien an eine spezielle
       Schwerpunktpraxis oder eine Long-Covid-Sprechstunde verweisen.
       
       Wichtig ist es, auch auf die psychische Gesundheit der Kinder zu achten.
       Das bedeutet, ihnen Trost und Unterstützung zu bieten und vor allem den
       Kontakt zu Gleichaltrigen zu ermöglichen, damit sie nicht vereinsamen. In
       manchen Fällen kann eine psychologische Betreuung sinnvoll sein.
       
       10 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.nature.com/articles/s43856-024-00657-x
   DIR [2] https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2822770
   DIR [3] https://www.ijidonline.com/article/S1201-9712(23)00702-6/fulltext
   DIR [4] https://link.springer.com/article/10.1007/s10787-024-01483-2
   DIR [5] https://www.cell.com/neuron/fulltext/S0896-6273(22)00910-2
   DIR [6] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1043276023000553
   DIR [7] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38793604/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefanie Uhrig
       
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