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       # taz.de -- Analyse zu AfD-Wahlprogramm: Auf dem Rücken der Ärmsten
       
       > Die AfD verkauft sich gern als Partei des kleinen Mannes. Tatsächlich
       > würden fast ausnahmslos Reiche profitieren, sagt Wirtschaftsweise Achim
       > Truger.
       
   IMG Bild: Wahlgeschenke der AfD an einem Messestand auf der AFA-Messe in Augsburg im Februar 2024
       
       Berlin taz | Das AfD-Wahlprogramm für die Bundestagswahl begünstigt vor
       allem Reiche, während mittlere und untere Einkommen stärker belastet
       werden. Zu diesem Ergebnis kommt der Wirtschaftsweise Achim Truger in einer
       Analyse für die taz. „Bei der Steuerpolitik ist die AfD im Club von
       CDU-Wirtschaftsflügel und FDP voll dabei.“ Dies zeige sich etwa in der
       geplanten Abschaffung des Solidaritätszuschlags und der Senkung der
       Unternehmenssteuern.
       
       Der Professor für Sozioökonomie hat den Entwurf des AfD-Wahlprogramms
       gelesen und eingeordnet: „Die AfD will die oberen Einkommensschichten und
       die Wirtschaft entlasten“, fasst er zusammen. Allerdings würde der
       geforderte EU-Austritt und das Fehlen eines Konzepts gegen den
       Fachkräftemangel Deutschland in eine tiefe Rezession stürzen. Truger
       urteilt: „Das AfD-Programm ist harter Neoliberalismus, garniert mit
       nationalistischer EU-Feindlichkeit und Anti-Klimapolitik.“
       
       Aus Trugers Sicht wäre vor allem der von der AfD geforderte Dexit
       verheerend: „Der Austritt aus dem Euroraum sowie die Wiedereinführung der
       D-Mark wären wirtschaftspolitisch vollkommen irre.“ Ebenso fehle der Partei
       ein Rezept gegen den Fachkräftemangel – „wenn die AfD weiterhin
       ausländerfeindlich ist und auf Migration verzichten will, wird sie das
       Arbeitskräftepotential nicht erhöhen können.
       
       Die AfD plant, ihr Wahlprogramm auf dem Parteitag am 11. und 12. Januar in
       Riesa zu verabschieden. Der Leitantrag sieht neben dem EU-Austritt und der
       Wiedereinführung der D-Mark die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland für
       billiges Gas vor. Ebenso leugnet die AfD die menschengemachte Klimakrise
       und setzt auf Kohle und Atomstrom. Die Partei fordert zudem Zurückweisungen
       und Festnahmen an der Grenze und will Leistungen für
       Asylbewerber*innen und Bürgergeld-Empfänger*innen stark einschränken.
       Erbschafts- und Vermögenssteuer sollen abgeschafft, Unternehmenssteuern
       gesenkt werden.
       
       ## Völkische Familienpolitik
       
       Die Lösung des Fachkräfteproblems sieht die AfD in ihrer Familienpolitik,
       die auf den Erhalt des deutschen Volkes abzielt und Staatsangehörige mit
       Migrationshintergrund ausschließt – auch wenn die Partei letzteres hinter
       gewissen Formulierungen kaschieren will: „Durch eine aktivierende
       Familienpolitik strebt die AfD eine Geburtensteigerung und damit die
       demografische Wende in Deutschland an, die … auch unsere Kulturweitergabe
       sicherstellt…“
       
       Aktivierende Familienpolitik bedeutet Herdprämien und Steuergeschenke für
       jedes zusätzliche Kind: Betreuungsgehalt statt Kita, Rückzahlung von 20.000
       Euro an Rentenbeiträgen pro Kind und Ehe-Start-Kredite, die mit jedem
       weiteren Kind teilweise erlassen werden. „Familien sollten idealerweise von
       einem Gehalt leben können und nicht auf eine Doppelberufstätigkeit
       angewiesen sein“, heißt es.
       
       Welcher Elternteil zu Hause bleibt, lässt die AfD offen – angesichts
       sozialisierter Rollenbilder und der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen
       ist jedoch klar, wen es betrifft. Ähnlich antifeministisch ist die
       Forderung, Gleichstellungsbeauftragte zu Familienbeauftragten zu machen.
       
       Beim Thema Abtreibungen zeigt sich, dass Frauenkörper für die AfD
       hauptsächlich Verfügungsmasse für den Fortbestand des Volkes sind:
       Abtreibungen sollen erheblich erschwert werden und müssten die „absolute
       Ausnahme bleiben, z.B. bei kriminologischer und medizinischer Indikation“.
       Schwangerschaftskonfliktberatungen sollen „dem Schutz des ungeborenen
       Lebens dienen“, indem Schwangeren verpflichtend Ultraschallbilder gezeigt
       werden und Informationen über Abtreibungen verboten werden.
       
       ## Belastungen bei Rente müsste Mitte tragen
       
       Die von der AfD versprochene Kinderprämie hilft nicht gegen den
       Fachkräftemangel, meint der Wirtschaftsweise Truger. „Mal abgesehen davon,
       wie man deutschnationalen Kinderreichtum bewerten will, hilft das die
       nächsten 20 Jahre nicht, zumal die AfD Deutschland erst einmal in eine
       tiefe Rezession führen würde durch den Euro-Austritt.“ Die
       wirtschaftspolitischen Forderungen seien „neoliberale Steuersenkungspolitik
       mit einer Durchbrechung bei der Rente, wo es auch soziale Momente gibt.“
       
       So will die AfD die gesetzliche Rente stärken und ein Rentenniveau von 70
       Prozent erreichen. Doch Truger sieht große Fragezeichen bei der
       Finanzierung: Höhere Kosten erfordern höhere Beiträge, die die AfD durch
       Steuersenkungen ausgleichen will. Von Entlastungen bei der Einkommensteuer
       profitieren vor allem obere Einkommensschichten: „Die zusätzlichen
       Belastungen müssten die untere Mitte und die Mitte tragen“, sagt Truger.
       
       Ein Preisschild fehlt auch bei der Erhöhung des einkommensteuerlichen
       Grundfreibetrags auf 15.000 Euro, die untere Einkommen entlasten soll.
       Truger dazu: „Da ist die Finanzierungsfrage völlig offen“. Allein die
       Anhebung des Grundfreibetrags dürfte mehr als 15 Milliarden Euro kosten.
       Ebenso führe die Senkung der Unternehmensteuern zu Haushaltslöchern. Auch
       die geforderte Abschaffung des Solidaritätszuschlags wäre mit weiteren 12
       Milliarden Euro teuer und würde vor allem hohe Einkommen entlasten.
       Gleichzeitig wolle die AfD die Schuldenbremse einhalten: „Das bewegt sich
       alles im finanzpolitischen Nirwana“, sagt Truger.
       
       ## Sparen bei den Ärmsten
       
       Die AfD will bei den Ärmsten den Rotstift ansetzen: beim Bürgergeld und bei
       Asylbewerber*innen. Auch beim Klimaschutz will die Partei sparen, ebenso
       die Entwicklungshilfe kürzen und die Förderung bestimmter NGOs einstellen.
       
       Das reicht laut Truger nicht: Nach Abschaffung von Solidaritätszuschlag,
       Erbschaftssteuer, CO₂-Abgaben und Grundsteuer fehlen „sicher 100, eher 200
       Milliarden Euro Plus“. Bei Kürzungen zu Lasten Geflüchteter und
       Bürgergeld-Empfänger*innen gebe es zudem verfassungsrechtliche Schranken.
       Einsparungen bei Klimaausgaben stehen großen Senkungen von CO₂-Abgaben und
       Energiesteuern entgegen – „die Rechnung möchte ich mal sehen“, sagte
       Truger.
       
       Fraglich ist auch, auf welche Weise die AfD Wahlgeschenke wie die Erhöhung
       der Renten oder die 20.000 Euro-Prämie für Kinder finanzieren will: „In dem
       Programm wurde überhaupt nichts durchgerechnet – es fehlt ein umfassendes
       Gesamtkonzept zur Finanzierung.“ Wie die Forderungen der Partei
       funktionieren sollen, bleibt offen.
       
       Hinzu kommen mögliche gesellschaftliche und volkswirtschaftliche
       Folgeschäden einer unterlassenen Klimapolitik, der Abschaffung der
       CO₂-Abgabe und der Fokussierung auf fossile Brennstoffe. Truger bilanziert:
       „Würde das in die Realität umgesetzt, wird einem angst und bange.“
       
       19 Dec 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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