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       # taz.de -- Neues Album von Halsey: Unbedingt weiterleben
       
       > Die Sängerin Halsey ist in den USA ein Star. Auf Ihrem neuen Konzeptalbum
       > singt sie über seelische Befindlichkeiten und eigene Krankheiten.
       
   IMG Bild: Die Sängerin Halsey bei der Premiere des Films „Babygirl“ in Los Angeles am 11. Dezember
       
       Für alle, die mit dem Namen Halsey nichts anfangen können: In den USA ist
       die Sängerin, geboren 1994 als Ashley Nicolette Frangipane, ein Star.
       Halsey spielt in einer Liga mit Pink. Eines ihrer fünf Alben stand an der
       Spitze der US-Charts, die übrigen kamen jeweils bis auf Platz zwei. Bleibt
       die Frage, [1][warum die in einem Kaff in New Jersey geborene
       US-Amerikanerin in Deutschland noch keine Heldin geworden ist?]
       
       Von Beginn an hatte Halsey in den zehner Jahren ein Händchen für Dance-Pop,
       konnte aber genauso als Singer-Songwriterin mit klugen Texten überzeugen,
       nur war sie halt immer eine Spur zu eigenwillig, im Vergleich zu den
       konfektionierten Mainstream-Konkurrentinnen. Möglicherweise hat das im
       gewohnheitsliebenden Deutschland nicht so gut funktioniert.
       
       Mit ihrem jüngst erschienenen Konzeptalbum „The Great Impersonator“ stellt
       sich Halsey nun einer ganz neuen Herausforderung. Sie überlegt sich als
       Konzept, wie ihre Songs wohl in der Zeit zwischen den 1970er Jahren und der
       Jahrtausendwende geklungen hätten. Statt zu versuchen, viel Geld mit einem
       Trend zu machen, schlägt sie also wieder mal einen anderen Kurs ein.
       
       Ihre neuen Stücke handeln von seelischen Befindlichkeiten, aber auch von
       Krankheiten. Halsey leidet an einer bipolaren Störung und Endometriose,
       während des Schreibprozesses wurden bei ihr zudem Leukämie und die
       Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes diagnostiziert.
       
       ## Gelungener Spagat
       
       Die Künstlerin sagte kürzlich, sie habe Glück, noch am Leben zu sein.
       Spannend ist, wie Halsey trotzdem nicht auf die Tränendrüse drückt, sondern
       mit „The End“ sogar einen gelungenen Spagat zwischen einem Liebeslied auf
       der einen und dem Ausloten ihres gesundheitlichen Zustands auf der anderen
       Seite hinbekommt.
       
       „So, I ran into the clinic to see the man with his white coat / And his
       stethoscope like a snake around his hand“ singt sie. Später fragt sie den
       Mann, den sie liebt: „If you knew it was the end of the world / Could you
       love me like a child?“ Musikalisch springt sie mit der akustischen Gitarre
       in dieser melancholischen Ballade zurück in die 1970er Jahre. [2][Joni
       Mitchell lässt grüßen.]
       
       „[3][Lucky“ fischt beim gleichnamigen Britney-Spears-Hit.] Das heißt,
       Halsey eignet sich den Refrain an, wechselt dabei aber von der dritten
       Person zur Ich-Perspektive: „I’m so lucky / I’m a star“. Auch wenn dieser
       Satz etwas anderes vermuten lässt: Sowohl das Original als auch diese
       Coverversion greifen die Schattenseiten des Ruhms auf.
       
       „Did it all to be included / My self-loathing so deep rooted“, erklärt
       Halsey. „Inner child that’s unrecruited/ Truth is I’m not suited for it.“
       Halseys Dancepop groovt sich unterdessen an den Signaturesound der nuller
       Jahre heran.
       
       ## Drei Briefe an Gott
       
       Gleich drei Lieder tragen denselben Titel „Letter to God“. Allerdings
       beziehen sie sich auf ganz unterschiedliche Jahre. „Letter to God (1974)“
       lehnt sich klanglich an die frühe Cher an, das Stück fängt Halseys Kindheit
       ein. Damals hat sie sich gewünscht, krank zu sein. Damit sie mehr
       Aufmerksamkeit bekommt. Womöglich eine sich-selbst-erfüllende Prophezeiung?
       Oha.
       
       Ein paar Jahre später hat das Mädchen nämlich auf einmal mit gleich
       mehreren Krankheiten zu kämpfen. Deshalb wünscht sie sich in „Letter to God
       (1983)“ nichts sehnlicher, als wieder gesund zu werden: „Please, God, I
       don’t want be sick“.
       
       Im Intro verbandelt sich der Song mit Bruce Springsteens „I’m on Fire“, an
       dessen Rhythmus er durchgehend ziemlich nah dranbleibt. Für „Letter to God
       (1998) hat die R&B-Sängerin Aaliyah musikalisch Patin gestanden. Halsey
       möchte nur eins: weiterleben. Sie will unbedingt bleiben – für ihren
       kleinen Sohn: „And I don’t ever wanna leave him / But I don’t think it’s my
       choice“.
       
       Bei „Lonely is the Muse“ hat die Gitarre Wumms, auch „Ego“ zieht es hin zum
       Rock. Die Cranberries-Sängerin Dolores O’Riordan mag hier als Referenz
       herhalten. Bei Zeilen wie „And I wake up tired, think I’m better off dead“
       spricht Halsey im Song „Ego“ offen über Depressionen.
       
       Wirklich großartig ist das von Fiona Apple inspirierte Lied „Arsonist“.
       Wenn der experimentelle Sound, angetrieben von HipHop-Beats, auf den mit
       Effekten überlagerten Gesang trifft, schlägt einen das Düstere völlig in
       seinen Bann. Hochklassiger Pop, der nie langweilig wird.
       
       2 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dagmar Leischow
       
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