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       # taz.de -- Anschlag in Magdeburg: „Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
       
       > Der Magdeburger Linken-Politiker Robert Fietzke war bis kurz vor dem
       > Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt. Es sei „unfassbar“, dass nun Nazis
       > aufmarschieren.
       
   IMG Bild: Menschen trauern vor der Johanniskirche um die Opfer von dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg
       
       taz: Sie waren bis kurz vor dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in
       Magdeburg. Wie geht es Ihnen? 
       
       Robert Fietzke: Ich lebe in Magdeburg und war bis etwa 17 Uhr auf dem
       Weihnachtsmarkt und dann bis 18.15 Uhr in der Innenstadt unterwegs. Um etwa
       19.15 Uhr habe ich auf einer Geburtstagsfeier in Magdeburg von dem Anschlag
       erfahren. Man ist dann in eine Schockstarre gefallen, die hält bis jetzt
       an. Es ist absolut unvorstellbar, dass das wirklich passiert ist. Alle hier
       eint dieses schreckliche Gefühl. Manche, mit denen ich noch Freitag sprach,
       haben nur ganz knapp überlebt, das Auto ist etwa einen Meter an ihnen
       vorbeigefahren.
       
       taz: Wie haben Sie den Abend erlebt? 
       
       Robert Fietzke: Die Innenstadt war gerammelt voll mit Menschen, die
       Weihnachtseinkäufe gemacht haben und es ist in den Abendstunden noch voller
       geworden. Auch das Einkaufszentrum „Allee Center“. Da hatte es ja geheißen,
       dass dort Schüsse gefallen seien, das hatte sich aber als Hoax
       herausgestellt. Man hat dann überall Sirenen gehört, es war ein absolut
       skurriles Gefühl, kurz zuvor den Weg gegangen zu sein, den der Täter mit
       seinem Fahrzeug gefahren ist. Sobald man – zuerst über die Geräuschkulisse
       – von dem Anschlag mitbekommen hat, ging es los damit, Menschen
       abzutelefonieren, ob es denen gut geht. Ich hatte vorher dort sehr viele
       bekannte Gesichter gesehen. Ich habe auch selbst viele Anrufe bekommen.
       Jetzt bin ich total fertig und kann das alles nicht fassen. Ich bin
       bestürzt und gleichzeitig froh, dass wir selber Freitagabend früher nach
       Hause wollten.
       
       taz: Rechtsextreme mobilisieren nach Magdeburg. Womit wird gerechnet? 
       
       Robert Fietzke: Es gibt schon eine bundesweite Mobilisierung der extremen
       Rechten, es wird dazu aufgerufen, heute nach Magdeburg zu kommen. Schon am
       Vormittag sind die ersten Neonazi-Gruppen in der Stadt gesichtet worden.
       Und schon Freitagabend gab es Meldungen über willkürliche Übergriffe auf
       people of color. Das geschieht noch während um das Leben der Verletzten in
       den Krankenhäusern gerungen wird. Freitag gingen sofort die üblichen Social
       Media-Dynamiken los, die in diesen aufgeheizten Zeiten üblich sind.
       Politische Akteure versuchen, daraus Kapital zu schlagen. Es gab Videos,
       die herumgingen, die geteilt wurden, auf denen Verletzte und vielleicht
       Gestorbene zu sehen sind, die von rechtsextremen Accounts geteilt wurden.
       Das verdrängt so schnell den Raum, den Schock und Trauer brauchen. Es ist
       unfassbar, dass wir hier heute, einen Tag danach, einen rechtsextremen
       Aufmarsch haben könnten, während der Weihnachtsmarkt noch als Tatort
       untersucht wird. Das ist total ätzend. Das ist die Gemengelage und die
       Gefühlslage, die ganz viele hier teilen.
       
       taz: Welche anderen Reaktionen gibt es in der Stadt auf den Anschlag? 
       
       Robert Fietzke: Hunderte Menschen haben Blumen an das Domportal gebracht.
       Da ist ein Gedenkort entstanden. Später gibt es einen Gedenkgottesdienst,
       es laufen Mahnwachen. Es gibt ein riesengroßes Bedürfnis, mit der Trauer
       umzugehen und die eigene Sprach- und Fassungslosigkeit zu überwinden.
       Gleichzeitig muss man sich damit beschäftigen, was die Nazis tun. Ich bin
       in Bündnissen wie „Solidarisches Magdeburg“ aktiv. Unsere Leute, die selber
       Freitag auf dem Weihnachtsmarkt waren oder deren Angehörigen da waren,
       haben schon angefangen, Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen.
       
       taz: Über den Täter ist nun einiges bekannt. Um einen islamistischen
       Anschlag, wie zuerst vermutet, handelt es sich offenbar nicht. Ändert das
       etwas an dem Gefühl in der Stadt? 
       
       Robert Fietzke: Die, mit denen ich gesprochen habe, sind politische
       denkende Menschen. Wir haben natürlich darüber diskutiert, was die
       Folgeerscheinungen sein können, etwa mit Blick auf die Bundestagswahl und
       inwiefern Rechtsextreme von diesem Terroranschlag profitieren. Die
       Information, dass [1][der Täter AfD- und Elon Musk-Anhänger] war, hat
       nichts daran geändert. Aber all diese Gedanken und Erwägungen spielten
       angesichts des Schocks und der Sorge um die Betroffenen eine untergeordnete
       Rolle. Es braucht vor allem Zeit für eine Analyse, auch für die
       Beantwortung von Fragen nach möglichen Sicherheitsmängeln. Wie kann es
       sein, dass er da überhaupt drauf fahren konnte?
       
       taz: Sachsen-Anhalt gilt seit Jahren als eines der Bundesländer, in denen
       die Abgrenzung der Union zur AfD am schwächsten ist. Glauben Sie, dass der
       Anschlag Folgen für das politische Gefüge in Sachsen-Anhalt haben wird? 
       
       Robert Fietzke: Die CDU ist hier tatsächlich ein Wackelkandidat, sie ist
       regional total unterschiedlich aufgestellt. Das hat natürlich mit den
       Kommunalwahlen zu tun, bei denen die AfD zugelegt hat. Der
       Ex-CDU-Innenminister Holger Stahlknecht wurde vor der letzten Landtagswahl
       vom CDU-Ministerpräsidenten Rainer Haseloff abgesägt, weil er der AfD die
       Hand reichen wollte. Gleichzeitig gibt es etwa im Harz einige
       CDU-Politiker, die das „Soziale mit dem Nationalen versöhnen“ wollen, wie
       sie selber schrieben. Und es gibt zunehmend partielle lokale Kooperationen
       zwischen Union und AfD, etwa in Quedlinburg. Aber das Bild ist sehr
       unterschiedlich. Ich selber leite das Kulturzentrum Zora in Halberstadt,
       das seit Monaten Bedrohungen durch Rechtsextreme ausgesetzt ist. In der
       Stadt beobachte ich ein großes Zusammenrücken, ein großes
       Problembewusstsein. Den Leuten hat gedämmert, welche Stunde geschlagen hat.
       Und da sind auch Christdemokraten dabei, die verstehen, dass die AfD sie
       zuerst zerstören will.
       
       21 Dec 2024
       
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