URI: 
       # taz.de -- Mockumentary „Gerry Star“: Ein Mann zum Hassen
       
       > „Gerry Star“ ist eine gut gemeinte, aber unangenehme Mockumentary-Serie.
       > Ihr Antiheld ist fast zu toxisch, um lustig zu sein.
       
   IMG Bild: Ein Arschloch, wie er im (Dreh-) Buche steht: Sascha Nathan als „Gerry Star“
       
       Stella will zum DSC, zum Deggendorfer [1][Song Contest]. Verschämt steht
       sie in der Tür, die die Welt von „Becky’s Bowlingcenter“ abgrenzt von dem
       kleinen, muffigen Büro, das sich Gerry Star darin ergattert hat. Star ist
       Stellas Produzent und verachtet Stella. Nur der Preis lässt ihn aufhorchen:
       ein Song mit dem Sänger Ingo Rose.
       
       1999 haben die beiden noch gemeinsam auf der Bühne gestanden. Von
       Champagner aus der Vergangenheit träumt Star (Sascha Nathan), von Goldenen
       Schallplatten und Groupies. Dabei stand er als Keyboarder in der hintersten
       Reihe. Jetzt steht er zwischen der Schuhausgabe und der Aufgabe, die
       zukünftige Bowlingbahn-Erbin Stella groß herauszubringen.
       
       Deren Mutter (Andrea Sawatzki) glaubt ganz fest daran, dass ihre Tochter
       eine zweite Britney Spears werden kann. Deswegen darf Star auch ein Büro im
       Bowlingcenter haben. Und Stella (Franziska Winkler) resümiert im direkten
       Gespräch mit der Kamera in [2][dieser Mockumentary]. „Ja, so viel ist da
       jetzt noch nicht rumgekommen.“
       
       Jetzt aber hat Star zwei Gründe, beim DSC zu gewinnen: Sein
       Büro/Schlafzimmer behalten und Kontakt zu Rose! Dafür stellt er eine Band
       zusammen: Stella singt. Micha (Lars Rudolph), früher mal Hausmeister, jetzt
       im Burn-out, sitzt am Schlagzeug. Benjamin (Noah Tinwa), der gerade seinen
       ersten Arbeitstag als Koch hat, spielt die Gitarre.
       
       Es ist ein Plot, den wir schon Hunderte Male in Football- und Musikfilmen
       gesehen haben, weil er so verdammt gut funktioniert: Ein Loser sucht sich
       Menschen, die er als Team zusammenführen will, um einen Wettbewerb zu
       gewinnen, damit er sich selbst besser fühlt und der Welt, die ihn – seiner
       Meinung nach – schlecht behandelt, zu beweisen, dass er etwas drauf hat.
       
       Wer sich etwas Wohlfühliges erhofft wie [3][die „Discounter“], das
       Glanzstück von der Produzentin Pyjama Pictures und ebenfalls eine
       Mockumentary, muss sich etwas anderes suchen. Bei „Discounter“ lieben und
       verarschen sich Supermarktmitarbeiter*innen, sie hängen ab und rauchen
       hinterm Laden.
       
       ## Sexuelle Spannungen und Neid
       
       Auch hinter Beckys Bowlingcenter wird geraucht. Auch hier gibt es sexuelle
       Spannungen und Neid. Auch „Gerry Star“ zeigt Menschen unterschiedlichen
       Alters – ein Glücksfall, verharren doch viele Serien sonst mit ihrem Blick
       bei einer einzigen Altersgruppe. Aber: Über allem droht als Wolke des
       Verachtenswerten: Gerry Star.
       
       Der reißt Witze über Stellas Übergewicht. Bedrängt Frauen. Ist konstant
       rassistisch. Bezeichnet es als „Zwergenaufstand“, als ein kleinwüchsiger
       Rocker sich darüber beschwert, dass er auf dem Behindertenparkplatz steht.
       Prügelt einen Mann im Rollstuhl ins Krankenhaus.
       
       Gerry verachtet jeden, außer sich selbst. Er ist ein Mann um die 50, der
       nicht zu seinen Fehlern steht, sich aufplustert und versucht, sich selbst
       glauben zu machen, dass er irgendwann mal etwas erreicht hat und auch noch
       etwas erreichen wird. Gerry Star ist ein Charakter, als hätten die
       Schauspieler Max Wolter und Tom Gronau, für ihre erste Regie- und
       Drehbucharbeit alle negativen Bilder von Männern abgepaust und
       übereinandergelegt.
       
       Er ist die Zeichnung eines Mannes, wie er nicht sein sollte und trotzdem so
       häufig ist. Dafür wird das Publikum immer wieder und viel zu oft mit
       Menschenverachtung konfrontiert. „Gerry Star“ könnte eine lustige Serie
       sein, eine die uns gelegentlich auch zum Weinen bringt.
       
       Stattdessen hat sie sich entschieden, uns keinerlei Sympathie für den
       Protagonisten zu erlauben, uns nur beschämt oder wütend zurückzulassen.
       Wäre Star ein bisschen weniger Arsch, die Serie über ihn wäre gut geworden.
       
       13 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Eurovision-Song-Contest/!6009681
   DIR [2] /Mockumentary-ueber-Dating-Show/!6006397
   DIR [3] /Die-Discounter-Serie/!5973654
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Drosdowski
       
       ## TAGS
       
   DIR TV-Serien
   DIR Mockumentary
   DIR Toxische Männlichkeit 
   DIR Amazon Prime
   DIR GNS
   DIR Serien-Guide
   DIR TV-Serien
   DIR Vietnamkrieg
   DIR Mockumentary
   DIR Techno
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR ARD-Serie „The Next Level“: Ein Level zu weit
       
       Eine US-amerikanische Touristin stirbt im Berliner Club Berghain an einer
       Überdosis. Eine wahre Geschichte, die jetzt fiktionalisiert wurde.
       
   DIR Protagonistin der Serie „Silo“: Eine stoische Protofeministin
       
       Juliette Nicols, die Protagonistin von „Silo“, ist das Lovechild von
       MacGyver und Rosa Parks. Sie überzeugt im Kosmus weiblicher
       (Action-)Figuren.
       
   DIR Vietnamkrieg-Serie „The Sympathizer“: Drama, Kriegsfilm, Satire
       
       Die gelungene Serienadaption des preisgekrönten Romans „The Sympathizer“
       erzählt die Geschichte des Vietnamkriegs aus vietnamesischer Sicht.
       
   DIR „Die Discounter“ Serie: Alles ein bisschen abgefuckt
       
       In der dritten Staffel der Amazon-Mockumentary „Discounter“ bröckelt nicht
       nur die Kulisse. Doch Momente der Zärtlichkeit wirken dann umso intensiver.
       
   DIR Neues Album von Fraktus: „Das Internet ist sehr angesagt“
       
       Fraktus ist seit den 80ern ganz vorn dabei. Das neue Album heißt „Welcome
       to the Internet“. Doch die Spannungen in der Gruppe sind groß.