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       # taz.de -- Streit in Jüdischer Gemeinde Berlin: Religionsgemeinschaften dürfen diskriminieren
       
       > Im Streit um eine diskriminierende Wahlordnung in der Jüdischen Gemeinde
       > hat das Landgericht eine Klage abgewiesen. Grundrechte seien nicht
       > anwendbar.
       
   IMG Bild: Irdische Grundrechte gelten offenbar nicht für Religionsgemeinschaften
       
       Berlin taz | „Wir sind bitter enttäuscht“, sagt Lala Süsskind, nachdem das
       Landgericht Berlin ihre Klage am Dienstag abgewiesen hat. „Herr Joffe kann
       jetzt schalten und walten, wie er will.“ Das Ehepaar Lala und Artur
       Süsskind hatte gehofft, dass ihr Einsatz zur Wahrung von Grundrechten in
       der etwas mehr als 8.000 Mitglieder zählenden Jüdischen Gemeinde zu Berlin
       vor einem staatlichen Gericht Gehör findet – vergebens.
       
       Lala und Artur Süsskind sind Urgesteine der Berliner jüdischen Gemeinde.
       Die heute 78-jährige Lala Süsskind [1][führte von 2008 bis 2012 den
       Gemeindevorsitz]. Zur letzten Gemeindewahl im September 2023 wollte sie
       dann erneut antreten. Denn schon seit Jahren [2][rumort es unter dem
       Vorstand Gideon Joffe]. Von einem „Klima der Angst“ ist die Rede und von
       undemokratischen Zuständen.
       
       Das Fass zum Überlaufen brachte eine kurz vor der letzten Gemeindewahl im
       Mai 2023 erlassene neue Wahlordnung. Die sah einschneidende Änderungen vor:
       So durften Personen über 70 Jahren nicht mehr kandidieren – also auch Lala
       Süsskind. Und ehemalige Mitarbeiter der Gemeinde erst nach zwei
       Wahlperioden, also nach zwölf Jahren. Verwehrt wurde eine Kandidatur
       überdies Amts- und Mandatsträgern anderer jüdischer Organisationen, etwa
       des Zentralrats, der Jewish Claims Conference oder des Sportvereins TuS
       Makkabi.
       
       Das unabhängige Gericht beim Zentralrat der Juden in Deutschland forderte
       die Berliner Gemeinde im Sommer 2023 auf, die Wahlordnung zurückzunehmen.
       Als das nicht geschah, verbot das Gericht die Wahl. Was die Gemeinde
       [3][jedoch nicht davon abhielt, sie trotzdem durchzuführen] – gegen den
       scharfen Protest etlicher Mitglieder.
       
       ## Der Zentralrat erkannte die Wahl nicht an
       
       Joffes Partei wurde zum unangefochtenen Wahlsieger. Der Zentralrat erkannte
       diese Wahl jedoch nicht an. Als Konsequenz wurde der Berliner Gemeinde
       zunächst für ein Jahr das Stimmrecht in den Gremien des Zentralrats
       entzogen.
       
       Lala Süsskind klagte daraufhin gegen die Wahl. Weil gesetzliche
       Diskriminierungsverbote hier nicht anwendbar seien, wies der vorsitzende
       Richter Gerhard Pfannkuche die Klage am Dienstag zurück: „Die
       Religionsgemeinschaften sind nicht an das Grundrecht gebunden“, so
       Pfannkuche. In die interne Organisation von Religionsgemeinschaften greife
       man nicht ein.
       
       ## „Kleines Pjöngjang in Berlin-Mitte“
       
       Die im Staatskirchenrecht verankerten weitreichenden Autonomierechte
       religiöser Gemeinschaften findet Nathan Gelbart, Anwalt der Süsskinds, im
       Prinzip richtig. Problematisch sei jedoch, wenn Gemeinden daraus einen
       Freibrief ableiten und gegen Grundrechte verstoßen. „Herr Joffe kann jetzt
       sein kleines Pjöngjang in Berlin-Mitte aufrechterhalten und weiter
       demokratische Grundrechte mit Füßen treten“, so Gelbart.
       
       Einen kleinen Teilerfolg konnte er dennoch erzielen: Die Jüdische Gemeinde
       hatte argumentiert, dass in Fragen der Wahlordnung ausschließlich das
       gemeindeeigene Schiedsgericht zuständig ist. Alles andere wäre ein schwerer
       Eingriff in die religiöse Autonomie der Jüdischen Gemeinschaft. Das
       Landgericht Berlin hält den Gang vor ein staatliches Gericht jedoch
       grundsätzlich für zulässig. Nur in diesem Fall sehe man keine Grundlage, in
       die internen Gemeindebelange einzugreifen.
       
       ## Das Urteil kann den Konflikt nicht beenden
       
       In der Jüdischen Gemeinde ist die Freude über das Urteil groß. „Sollten
       noch Zweifel zur Rechtmäßigkeit der Gemeindewahlen oder der Wahlordnung
       bestanden haben, dann dürften diese nun vollkommen ausgeräumt sein“, hieß
       es am Dienstag. „Wir reichen der Opposition unsere Hand zur konstruktiven
       Zusammenarbeit.“ Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland solle nun
       sein Verhältnis zur Jüdischen Gemeinde zu Berlin „neu überdenken“.
       
       Beendet ist der Konflikt mit dem Urteil nicht. Ohne eine Wiederholung der
       Wahl droht nach wie vor der vorübergehende Ausschluss aus den Gremien des
       Zentralrates. Es wäre ein einmaliger Vorgang. Die mit 14,7 Millionen Euro
       per Staatsvertrag finanzierte Berliner Gemeinde ficht all die – nicht
       zuletzt aus dem Senat – wiederholt vorgebrachte Kritik indes nicht an. Sie
       kann sich durch das heutige Urteil bestärkt sehen.
       
       Lala und Artur Süsskind, die auch stellvertretend für andere
       gemeindeinterne Kritiker vor Gericht zogen, überlegen nun, die Gemeinde,
       der sie seit Jahrzehnten angehören, die sie mitgestaltet und mitgetragen
       haben, zu verlassen.
       
       Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Beitrag nachträglich geändert. In
       einer früheren Version berichteten wir, dass die Mitgliederzahlen der
       Jüdische Gemeinde Berlin seit 2012 von knapp 12.000 auf etwas mehr als
       8.000 sanken. Das ist so nicht korrekt. Laut Statistik der
       Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland e.V. waren zum 31. Dezember
       2006 in Berlin 11.022 Mitglieder registriert. Zum Ende des Jahres 2012
       waren es noch 10.237. Zum 31. Dezember 2023 waren nach Auskunft der
       Jüdischen Gemeinde zu Berlin 8.258 Mitglieder registriert.
       
       14 Jan 2025
       
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   DIR Carsten Dippel
       
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       sie so ihre Probleme - mit Berlin, wo sie aufwuchs, gar keine.