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       # taz.de -- Selenskyjs Staatsbesuch in Polen: Annäherung im Wolhynien-Streit
       
       > Die fehlende Aufarbeitung der Morde der ukrainischen Aufstandsarmee an
       > Polen stehen zwischen Kyjiw und Warschau. Selenskyj signalisiert
       > Kooperationsbereitschaft.
       
   IMG Bild: Während der Enthüllung eines Denkmals für die Toten in Wolhynien in Polen im Juli 2024 kam es zu Protesten
       
       Luzk taz | Zum dritten Mal seit Beginn des russischen Großangriffs vor drei
       Jahren war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu einem
       offiziellen Besuch in Warschau. Im Zentrum der Gespräche mit Premier Donald
       Tusk und seinem Amtskollegen, Staatspräsident Andrzej Duda, stand – die
       Geschichte.
       
       Und es zeichnete sich eine Sensation ab: Der ukrainische Präsident verließ
       Warschau mit der Versicherung, dass historische Fragen die europäische
       Integration der Ukraine nicht behindern würden. Für Kyjiw war es wichtig,
       dies aus Warschau zu hören, [1][das seit dem 1. Januar die
       EU-Ratspräsidentschaft innehat].
       
       Polnische Politiker haben „Wolhynien 1943“ zu einem Thema im
       Präsidentschaftswahlkampf gemacht. Während Historiker in der Ukraine die
       Ereignisse als „wolhynische Tragödie“ bezeichnen, [2][sprechen einige ihrer
       polnischen Kollegen vom „Wolhynien-Massaker“] und führten 2018 die
       strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Leugnung der „Verbrechen
       ukrainischer Nationalisten“ ein.
       
       Im Jahr 1943 war es in Galizien, Wolhynien und den Gebieten westlich der
       Flüsse Bug und San zu ethnischen Konflikten gekommen, in deren Folge
       Zehntausende Polen und Ukrainer ums Leben kamen. Historiker beider Länder
       streiten seitdem über die Anzahl der Toten, sprechen von 35.000 bis 100.000
       polnischen und 15.000 bis 25.000 ukrainischen Opfern.
       
       In den vergangenen Jahren sind der Vandalismus an ukrainischen Denkmälern
       in Polen und das Verbot von Exhumierungsarbeiten in der Ukraine zum Problem
       geworden. Genau das nutzen rechtsextreme Politiker in Polen.
       
       ## Wolhynien als Thema im polnischen Wahlkampf
       
       Anfang 2025 sprach sich der PiS-nahe polnische Präsidentschaftskandidat und
       [3][Direktor des Instituts für Nationales Gedenken, Karol Nawrocki],
       aufgrund des ukrainischen Konflikts mit Warschau um die
       Wolhynien-Tragödie gegen einen ukrainischen EU- und Nato-Beitritt aus.
       
       „Ich sehe die Ukraine weder in der EU noch in der Nato. Ein Staat, der
       nicht die Verantwortung für ein brutales Verbrechen an 120.000 seiner
       Nachbarn übernehmen kann, kann kein Mitglied internationaler Bündnisse
       sein“, sagte der konservative Nawrocki gegenüber dem TV-Sender Polsat. Die
       Opferzahl von 1943 ist nicht nachgewiesen. Für die PiS sind diese
       historischen Fragen in den Beziehungen zur Ukraine ein wichtiges
       Wahlkampfthema.
       
       Doch dann setzten sich die Politiker an den Verhandlungstisch. Mit Erfolg:
       Wenige Tage vor Selenskyjs Warschau-Besuch gestattete die Ukraine erstmals,
       die Leichen der 1943/44 getöteten Polen zu exhumieren. Tusk begrüßte dies
       als Durchbruch in den bilateralen Beziehungen.
       
       Warschau und Kyjiw tauschen Listen mit Orten aus, an denen ab April im
       Gebiet Ternopil nach den sterblichen Überresten der Opfer gesucht werden
       soll. Danach sollen die Opfer umgebettet werden. „Ich werde nicht zulassen,
       dass diese dramatische Geschichte für politische Machtspiele in Polen
       missbraucht wird“, betont Tusk.
       
       ## Ukraines EU-Beitritt im Interesse der polnischen Sicherheit
       
       Der polnische Premier sicherte der Ukraine Unterstützung auf ihrem Weg in
       die EU zu und rügte die PiS dafür, dass sie „Bedingungen für die politische
       Unterstützung der Ukraine“ stellten.
       
       „Eine ukrainische EU-Mitgliedschaft liegt im Sicherheitsinteresse Polen.
       Wer das nicht versteht, ist entweder ein Dummkopf oder ein Verräter“, sagte
       Tusk.
       
       In der Ukraine wurden die Vereinbarungen zur Geschichte mit Optimismus
       aufgenommen. „Die Krise in den zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der
       Ukraine und Polen ist gelöst“, sagte der Oppositionsabgeordnete Mykola
       Kniazhytskyij.
       
       [4][Er und Außenminister Andrij Sybiha] raten gleichzeitig, auf
       Entscheidungen und Maßnahmen der polnischen Seite zu warten, um unter
       anderem ukrainische Denkmäler für die Kämpfer der ukrainischen
       Aufstandsarmee UPA im Nachbarland Polen zu restaurieren. „Auch wir fordern
       eine würdige Ehrung des ukrainischen Gedenkens auf dem Territorium Polens“,
       sagte Außenminister Sybiha
       
       Aus dem Russischen [5][Gaby Coldewey]
       
       16 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Polens-EU-Ratspraesidentschaft/!6060302
   DIR [2] /Genozid-Resolution-in-Polens-Parlament/!5321550
   DIR [3] /Praesidentschaftswahl-in-Polen/!6057177
   DIR [4] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!6034770
   DIR [5] /!s=Coldewey/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Juri Konkewitsch
       
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