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       # taz.de -- Starke Sonnenaktivität: Wenn die Sonne ausbricht
       
       > Alle elf Jahre erreicht die Sonnenaktivität ihren Höhepunkt. Das sorgt
       > für schöne Schauspiele am Himmel – aber auch für Probleme auf der Erde.
       
   IMG Bild: Bad Doberan, 12. September: warten auf das Polarlicht an der Ostsee
       
       Grüne, türkisfarbene, rot-gelbe oder blau-lila Lichter, die über den Himmel
       ziehen wie dicke leuchtende Nebelschwaden – im vergangenen Jahr waren
       Polarlichter in vielen Regionen der Welt ein beliebtes Fotomotiv. Und es
       ist davon auszugehen, dass die spektakulären Lichter auch in diesem Jahr
       noch einmal in Gegenden auftreten werden, die so gar nicht nah an den Polen
       liegen und in denen das Himmelsphänomen normalerweise nicht zu sehen ist.
       
       Um zu verstehen, warum die Polarlichter gerade so weithin sichtbar sind,
       hilft ein Blick auf ihren Ursprung. Polarlichter entstehen, wenn
       energiegeladene Teilchen der Sonne auf das Magnetfeld der Erde prallen und
       in tiefere Schichten der Erdatmosphäre eindringen.
       
       Dort befinden sich unter anderem Stickstoff und Sauerstoffatome. Treffen
       die geladenen Teilchen auf diese Bestandteile, bringen sie diese zum
       Leuchten. Die Farbe des Lichts hängt davon ab, wie tief die Teilchen in die
       Atmosphäre eindringen. Gelangen die Teilchen nur in die oberen Schichten,
       also mehr als 300 Kilometer von der Erdoberfläche entfernt, erscheinen die
       Polarlichter rötlich. Bei etwa 100 Kilometern ist das typische Grün zu
       sehen.
       
       Doch warum erscheinen gerade Polarlichter in Regionen, in denen das
       Phänomen normalerweise nicht auftritt? Die Erklärung liegt bei dem Stern im
       Zentrum unseres Sonnensystems. Denn die Häufigkeit und die weite Sichtung
       von Polarlichtern zeigt: Es ist gerade ordentlich etwas los auf der Sonne.
       
       Die Sonne sendet ständig Strahlung und geladene Teilchen in den Weltraum.
       Sonnenwind heißt dieser Teilchenstrom. Ist er an einer Stelle ungewöhnlich
       stark, spricht man von einer Sonneneruption. Die dabei entstehenden
       Teilchen und die Strahlung bewegen sich durchs All und können die
       Erdatmosphäre treffen – ein Sonnensturm.
       
       ## Im Aktivitätsmaximum
       
       „Die Sonne ist derzeit außergewöhnlich aktiv, verglichen mit den letzten 20
       Jahren“, sagt Sami K. Solanki. Er ist Professor für Astronomie und Direktor
       am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. „2024 und auch 2025
       befindet sich die Sonne in einer Phase ihres Aktivitätsmaximums.“ Das
       heißt: Zahlreiche Sonnenflecken sind zu sehen – das sind dunkle Flecken,
       die auf Gebiete mit starken Magnetfeldern hinweisen –, aber vor allem gibt
       es viele und starke [1][Sonneneruptionen].
       
       Ein Film des Max-Planck-Instituts zeigte vor drei Jahren erstmals, wie so
       eine Eruption aussieht: Aus der Entfernung ist die Sonne zu sehen, um sie
       herum das Schimmern der Korona. Das ist die aus Gas bestehende Umgebung der
       Sonne. Und dann, an einer Stelle, plötzlich, sieht es aus, als würde sich
       eine kleine Lichtblase aus der Korona lösen und ins Weltall ploppen. Als
       hätte der Stern eine Erkältung – nur dass statt Nasensekret hier Plasma
       ausgestoßen wird, das vor allem aus elektrisch geladenen Teilchen besteht.
       
       ## Alle elf Jahre besonders hohe Aktivität
       
       Alle elf Jahre ist die Aktivität besonders hoch. Warum? „Das ist eine
       Frage, die noch nicht restlos geklärt ist“, sagt Solanki. Nach aktuellem
       Wissensstand ist die Ursache folgende: Im Innern der Sonne gibt es eine Art
       Dynamo, der das Magnetfeld des Sterns beeinflusst – ähnlich wie der
       Geodynamo als Teil des Erdkerns das Magnetfeld der Erde bedingt. Doch der
       Dynamo der Sonne sei deutlich aktiver – daher die schnellen Zyklen von
       relativer Ruhe und starker Aktivität des Sonnenmagnetfelds. Die Hypothese
       sei auch daher plausibel, weil auch andere Sterne solche Zyklen zeigten.
       
       Doch die elektrischen Teilchen gelangen nicht nur in die Erdatmosphäre und
       sorgen für spektakuläre Lichteffekte – sie beeinflussen auch technische
       Geräte. Besonders betroffen sind hier Satelliten. In ihnen steckt viel
       Elektronik. Die geladenen Teilchen von der Sonne können bei Satelliten
       Schaltkreise stören, im schlimmsten Fall für einen Kurzschluss sorgen.
       
       Solanki nennt noch einen zweiten Faktor, der hier zum Tragen kommt: Die
       energiereiche Strahlung der Sonne heize die oberen Schichten der
       Erdatmosphäre deutlich auf. Diese dehne sich dadurch aus – und die dort
       befindlichen Satelliten würden abgebremst. So musste die
       [2][US-Weltraumfirma SpaceX] vor drei Jahren den Absturz von 40 der 49
       Starlink-Satelliten, die sie an einem Februartag ins All geschossen hatte,
       vermelden. Die Satelliten stürzten ab und verglühten in der Erdatmosphäre.
       Dies geschah zwar drei Jahre vor dem Höhepunkt der Sonnenaktivität, aber
       der Zyklus funktioniert auch nicht wie ein Lichtschalter, der mal an und
       mal aus ist, sondern wie eine Welle.
       
       ## Einfluss auf die Stromversorgung
       
       Auch auf die Stromversorgung kann die Sonnenaktivität laut Solanki Einfluss
       haben. Gelangten die geladenen Teilchen ins Stromnetz, könnten sie
       Transformatoren lahmlegen. Das sei aber extrem selten. Polnähere Regionen
       sind von starker Sonnenaktivität besonders betroffen, da hier die
       Erdatmosphäre durchlässiger ist für die Teilchen.
       
       Der letzte größere Störfall, an den sich der Wissenschaftler erinnert,
       begab sich im kanadischen Quebec Ende der 80er Jahre. Dort legten die
       Folgen eines Sonnensturms das komplette Stromnetz lahm, sechs Millionen
       Menschen waren von dem Ausfall betroffen, Krankenhäuser mussten sich mit
       Notstromaggregaten behelfen. In Großbritannien habe das Netz im vergangenen
       Mai einen starken Stromstoß abbekommen – es habe nicht viel gefehlt, das
       Netz dort lahmzulegen.
       
       Das Problem dabei: „Die Vorhersage ist praktisch nicht existent“, sagt
       Solanki. Wann die nächste große Eruption auf der Sonne bevorsteht, das
       lasse sich nicht prognostizieren. Zwar seien Sonnenflecken ein erstes
       Warnzeichen – mehr aber auch nicht.
       
       Die Vorhersage ist nicht die einzige Unwägbarkeit. Im Dezember hat ein
       internationales Team von Forscher:innen unter Leitung des
       Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung ein Paper in der
       Fachzeitschrift Science veröffentlicht, dessen Inhalt gerade im Kontext der
       aktuellen Welle an Ausbrüchen der Sonne von besonderer Bedeutung erscheint.
       
       ## Superflares sorgen für extreme Energiefreisetzung
       
       Die Forscher:innen haben 56.450 sonnenähnliche Sterne untersucht. Das
       Ergebnis: Im Durchschnitt kommt es pro Stern etwa einmal alle hundert Jahre
       zu einem extremen Ausbruch – einem sogenannten Superflare. Der setze mehr
       Energie frei als Billionen Wasserstoffbomben. Im Vergleich zu einem solchen
       Superflare verblasse selbst die aktuelle Ausbruchswelle.
       
       Könnte diese Beobachtung auch auf die Sonne zutreffen? „Ja“, sagt Solanki.
       „Das wäre für einige wichtige technische Systeme ein massiver Effekt.“
       Nicht nur Satelliten, auch Strom- und Mobilfunknetze könnten dann merkbar
       von Störungen betroffen sein. Einer der heftigsten Sonnenstürme der
       vergangenen 200 Jahre geschah 1859. In der Folge brach in weiten Teilen
       Nordeuropas und Nordamerikas das Telegrafennetzwerk zusammen.
       
       Vermeiden lassen sich Sonnenstürme nicht – aber besser vorhersagen und die
       Folgen damit abmildern. Schon aktuell schalten Satellitenbetreiber im
       besten Fall ihre Satelliten ab, wenn ein starker Sonnensturm bevorsteht.
       Die europäische Weltraumagentur ESA plant unter anderem eine neue
       Raumsonde, die von einem anderen Blickwinkel die Sonne beobachten und so
       entsprechende Prozesse früher registrieren soll als erdnahe Sonden. Die
       Sonde soll aber erst ab 2031 einsetzbar sein.
       
       Für 2025 müssen sich also auch Polarlichtsuchende mit den aktuell eher
       vagen Prognosen behelfen – und mit dem Blick in den Himmel. Zur
       Herausforderung gehört dabei auch, Orte zu finden, die so dunkel sind, dass
       die Lichter richtig gut am Himmel leuchten. Wer optimale Bedingungen haben
       will, orientiert sich an der International Dark Sky Association. Die
       engagiert sich gegen Lichtverschmutzung und zertifiziert besonders dunkle
       Orte, die sich gut für die Beobachtung von Himmelsphänomenen eignen. In
       Deutschland sind unter anderem die Nordseeinseln Pellworm und Spiekeroog
       dabei sowie das brandenburgische Westhavelland.
       
       22 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.science.org/doi/10.1126/science.adl5441
   DIR [2] /Kapitalismus-und-Raumfahrt/!5854163
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Svenja Bergt
       
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