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       # taz.de -- Hilfe für Gaza: Eine Waffenruhe ist kein Friedensplan
       
       > Für die Menschen in Gaza geht es vor allem um schnelle Hilfe. Diskutiert
       > wird über den Einfluss des designierten US-Präsidenten Trump.
       
   IMG Bild: Auch in der Nacht zu Donnerstag ging das Bomben in Gaza weiter: Gaza-Stadt am 16. Januar
       
       Guten Willen zu zeigen, sieht anders aus. Am Mittwochabend feiern Menschen
       auf den Straßen des Gazastreifens zunächst einen
       Geisel-Waffenstillstands-Deal. Doch schnell haben sie es wieder eilig, nach
       Hause zu kommen. Denn die Nachricht verbreitet sich, dass die israelischen
       Angriffe noch in derselben Nacht weitergehen. Bis zu den Morgenstunden sind
       mehrere Dutzend Palästinenser, darunter auch Kinder, tot.
       
       Der israelische Premier Benjamin Netanjahu möchte anscheinend noch einmal
       Stärke zeigen, bevor ein Waffenstillstand am Sonntag in Kraft treten
       könnte, wohl auch um seiner eigenen rechten Koalition zu beweisen, wer
       immer noch der vermeintliche Herr im Hause Gaza ist. Die Angehörigen der
       israelischen Geiseln sorgen sich deshalb, dass der Deal vor seiner
       Implementierung noch platzen könnte – während die Familien in Gaza, die nun
       15 Monate Hölle überlebt haben, zusammensitzen und hoffen, dass sie auch
       noch die nächsten Stunden und Tage unbeschadet bleiben, bevor es dann
       vorbei sein soll. Für die Menschen im Gazastreifen geht es vor allem um
       eines: dass endlich die Waffen schweigen, dass sie [1][nicht mehr Tag und
       Nacht Angst haben müssen, bombardiert] zu werden.
       
       Aber selbst wenn dieser Wunsch am Sonntag dann tatsächlich in Erfüllung
       geht, wird es für sie auch ganz schnell um andere Dinge gehen, denn die
       verzweifelte Wunschliste ist lang. Neun von zehn palästinensischen Familien
       im Gazastreifen wurden laut UN-Angaben seit Beginn der israelischen
       Offensive aus ihren Häusern vertrieben. Sie leben meist in Zelten oder
       selbst gezimmerten Verschlägen. Für sie geht es jetzt konkret darum, wie
       schnell sich die israelische Armee zurückziehen könnte, um ihren Weg nach
       Hause freizumachen.
       
       Und über all dem steht natürlich [2][die Versorgungsfrage], an der die
       Menschen in Gaza einen Deal messen werden. Die 2,3 Millionen Einwohner des
       Streifens sind 15 Monate lang ausgehungert worden. Ihre Behausungen sind
       nicht winterfest. In den letzten Wochen sind acht Babys in den Zelten und
       Verschlägen erfroren.
       
       Wer dort lebt, dem kann es nun gar nicht schnell genug gehen, dass Lkws mit
       Nahrungsmitteln und Winterkleidung kommen – die dann auch erst mal verteilt
       werden müssen. Und das bleibt eine große logistische Herausforderung,
       selbst wenn die Hilfslieferungen in großem Stil, wie vereinbart, von
       israelischer Seite zugelassen werden. Das gilt umso mehr, da das
       Palästinenser-Hilfswerk UNWRA, die UN-Organisation, die als Einzige das
       Personal hat, diese Logistik durchzuführen, von Israel als angeblicher
       Terrorbeihelfer delegitimiert wurde.
       
       ## Zwei Forderungen der Hamas
       
       Die Hamas wiederum hatte zwei Forderungen für den Deal: den vollständigen
       Rückzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen und, dass ein
       permanentes Ende des Kriegs festgeschrieben wird. Das Erste haben sie
       erreicht, sollte der Deal zustande kommen: den vollständigen Rückzug in
       mehreren Phasen.
       
       Wenn der Deal eingehalten wird, wird es am Ende keine israelische
       Pufferzone im Norden des Gazastreifens mehr geben und keine israelische
       Truppenpräsenz zwischen dem Gazastreifen und der ägyptischen Grenze. Und so
       mancher Traum der rechten israelischen Siedlerbewegung, im Gazastreifen
       wieder einzuziehen, würde enttäuscht.
       
       Bei der zweiten Forderung, dem Festschreiben eines permanenten
       Waffenstillstands und einem Ende des Krieges, ist die Hamas gescheitert.
       Netanjahu hat sich dem verweigert, aus Angst, dass ihm das als Niederlage
       angerechnet wird. Schließlich hatte er sich die Zerstörung der Hamas auf
       die Fahnen geschrieben. Netanjahu möchte sich die Tür offenhalten, diesen
       Krieg nach der Freilassung der Geiseln weiterzuführen.
       
       ## Kann es eine politische Lösung geben?
       
       Diese Tür geschlossen zu lassen, wird aber am Ende entscheiden, ob man zu
       einer größeren politischen Lösung kommen kann. Denn eins ist klar: Ein
       Waffenstillstand bedeutet noch lange nicht, dass die darunterliegenden
       Probleme gelöst sind. Im Moment gibt es noch nicht einmal einen Plan, wer
       den Gazastreifen verwalten und regieren soll.
       
       Vonseiten Washingtons hieß es bisher, dass eine reformierte
       palästinensische Selbstverwaltungsbehörde diese Aufgabe übernehmen könnte.
       Die residiert im Moment nur in Ramallah im Westjordanland. Vonseiten
       Israels gibt es dazu bisher keinen ernstzunehmenden Plan.
       
       Und da haben Palästinenser, Israelis und die internationale Gemeinschaft
       noch nicht einmal begonnen, über einen möglichen [3][palästinensischen
       Staat und eine Zweistaatenlösung] zu sprechen, also einer langfristigen und
       nachhaltigen Lösung des Problems. Das scheint mit der gegenwärtigen rechten
       Regierung in Israel auch unmöglich zu sein. Im Gegenteil, dort spricht man
       darüber, dass man, um den Rechten den Gaza-Deal schmackhaft zu machen, sich
       nun mehr auf eine weitere israelische Besiedlung des Westjordanlandes
       konzentrieren möchte. Da das israelisch besetzte Westjordanland ein Teil
       eines palästinensischen Staatsgebiets im Rahmen einer Zweistaatenlösung
       wäre, würden damit weiter Fakten gegen eine große politische Lösung
       geschaffen. Von einer wirklichen Lösung der Palästinenserfrage ist man
       damit nicht meilenweit, sondern mehrere Universen entfernt.
       
       ## Hier kommt Trump ins Spiel
       
       Und hier kommt der designierte US-Präsident Donald Trump ins Spiel, dessen
       Intervention der Geisel-Waffenstillstands-Deal geschuldet ist. Aber auch da
       bleibt eine palästinensische Skepsis. In den arabischen Medien wird
       spekuliert, was Trump Netanjahu im Gegenzug für die Unterzeichnung dieses
       Deals versprochen hat, der für ihn und sein Kabinett so schwer zu schlucken
       ist.
       
       Zwei Dinge werden dabei immer wieder genannt: Freie Hand für Netanjahu und
       seine rechte Siedlerkoalition im Westjordanland. Oder dass Netanjahu den
       Krieg in Gaza nach der Freilassung der Geiseln wieder aufnehmen kann, und
       er dafür grünes Licht aus Washington bekommen wird.
       
       All das würde einem anderen erklärten Ziel Trumps widersprechen: Er würde
       gerne in die Geschichte eingehen als der US-Friedenspräsident, der eine
       Normalisierung der Beziehungen zwischen der arabischen Welt und Israel,
       allem voran zwischen Israel und Saudi-Arabien erreicht hat. Und
       Saudi-Arabien besteht auf einer langfristigen Lösung des Nahostkonfliktes.
       Trump bleibt im Nahen Osten also das, was er schon immer war: eine nicht
       lenkbare Rakete, von der niemand weiß, wo sie nach einem Waffenstillstand
       in Gaza genau einschlagen wird.
       
       16 Jan 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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