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       # taz.de -- Kommunistische Architektur Bulgariens: Das Ufo mit dem rubinroten Stern
       
       > Die kommunistische Zeit Bulgariens spiegelt sich in ihren Bauten. Deren
       > Architektur steht zwischen Kunst und Totalitarismus. Ein Reisebericht.
       
   IMG Bild: Wenn das Gedenken verrottet: Denkmal der BKP auf dem Busludscha von Architekt Georgi Stoilow, eingeweiht 1981
       
       Strahlende Sonne aus blauem Himmel, doch der Wind pfeift unangenehm kalt
       über die Bergspitze. Der Busludscha genannte Berg ist mit jetzt 1.432
       Metern die höchste Erhebung im bulgarischen Mittelgebirge, dabei hat ihn
       das frühere Regime um neun Meter abtragen lassen. Es wurde ein Plateau
       benötigt, auf dem das Denkmal für die Bulgarische Kommunistische Partei
       (BKP) Platz findet.
       
       Wie ein Ufo, das an die Welt der Irdischen angedockt hat, liegt das
       wulstige Rund des Denkmals samt kantigem Unterbau auf dem kahlen Berg,
       neben sich ein 70 Meter hoher Pylon, geziert von beleuchteten Roten Sternen
       aus Rubinglas. Er war als Ausguck konzipiert, von oben sollte man das Meer
       erblicken können. Allein, „der Aufzug hat nie funktioniert“, wie Plamen
       Petrov trocken bemerkt, der Direktor der Kunstgalerie im Städtchen Kazanlak
       zu Füßen des Denkmalsgebirges, der hier Führungen besorgt.
       
       Die Galerie wurde gleich miterbaut vom Geld, das in den 1970er Jahren vom
       bulgarischen Volk gespendet wurde und durch Sonderbriefmarken zusammenkam.
       Eine 500 Mann starke Baubrigade der Armee planierte ab 1974 den Gipfel,
       tausende Arbeiter bahnten die Straße bergan und schütteten den Beton zum
       Bauwerk auf, das der in Moskau geschulte, bulgarische Architekt Georgi
       Stoilow als landesweit größtes Denkmal seiner Art entworfen hatte. Zahllose
       Kunsthandwerker schufen die Mosaiken, die die ruhmreiche Geschichte der BKP
       erzählten, samt Bildnis von Partei- und Staatschef Todor Schiwkow.
       
       ## Von Denkmalstürmern geplündert
       
       Das ist Vergangenheit; denn nachdem erste Diebe die kupferne Dacheindeckung
       entwendet hatten und Wind und Wetter eindrangen, hielt nichts mehr die
       Denkmalstürmer ab, sie zerschlugen die Mosaike und montierten die
       vorwiegend in der Ukraine gefertigten Dekore ab.
       
       Das Ufo ist heute unzugänglich; auch der Kongressaal in seiner Mitte, in
       dem jährlich am 23. August, als dem Gründungstag der Sozialdemokratischen
       Arbeiterpartei im Jahre 1891, der Parteikongress der BKP stattfinden
       sollte. Nur einmal, im Einweihungsjahr des Denkmals 1981, ist das wirklich
       geschehen, als landesweit die 1.300-Jahr-Feier Bulgariens zelebriert wurde.
       Womöglich war den Funktionären die Anreise auf Dauer zu beschwerlich.
       
       [1][Wie mit dem Bau heute umgegangen werden soll], ist ungeklärt. Er steht
       mittlerweile unter Denkmalschutz, Architekt Georgi Stoilow hatte sich
       selbst noch kurz vor seinem Tod 2022 für die Unterschutzstellung seines
       Gebäudes eingesetzt. Doch es gibt keine Mittel zur Erhaltung. Demnächst
       solle die örtliche Bevölkerung darüber abstimmen; aber ist das nationale
       Denkmal nicht eine Sache des ganzen Landes?
       
       Es wird auch mit erheblichem Einsatz kaum möglich sein, das im Volksmund
       nach dem Ort des (gescheiterten) anti-osmanischen Aufstands von 1868
       Busludscha benannte Denkmal dauerhaft zu erhalten. Aus dem Beton treten
       bereits die eisernen Armierungen zutage.
       
       ## Bauliche Zeugnisse der Urbanisierung
       
       Beton hält nicht ewig, anders als die Erbauer dachten. Das gilt ebenso für
       die weiträumigen Plattenbausiedlungen, die an den Rändern Sofias
       entstanden, bauliche Zeugnisse der Urbanisierung, die mit der forcierten
       Umwandlung Bulgariens vom Agrar- zum Industriestaat unter der Herrschaft
       der BKP einherging, vor allem unter dem 35-jährigen Regime des als gütiger
       Landesvater inszenierten Todor Schiwkow.
       
       In der Hauptstadt lebt mittlerweile ein Sechstel der bulgarischen
       Bevölkerung von sechseinhalb Millionen. Nach der Wende von 1990/91 sind die
       Wohnungen zumeist in den Besitz ihrer Bewohner übergegangen, heute haben
       viele die Balkone mit Fenstern geschlossen und in einen zusätzlichen
       Wohnraum verwandelt. Das buntscheckige Erscheinungsbild der von der Zeit
       angenagten Acht- bis Zwölfgeschosser überdeckt die prächtigen Bäume an
       breiten Straßenzügen.
       
       In Sofia spiegelt sich die Geschichte der kommunistischen Epoche in ihren
       Bauten. Sie sind durchweg gut erhalten, werden um- und weitergenutzt.
       Verwaltungen haben Raumbedarf, gleich unter welchem Regime. Das
       [2][Herzstück der stalinistischen Bau-Ära] ist der 1947 nach den Moskauer
       Grundsätzen des Städtebaus geplante Largo-Platz in der Stadtmitte. Zwei
       gleichdimensionierte, aber nicht gleichgestaltete Blöcke stehen einander
       gegenüber, jeweils einen gewaltigen Innenhof umschließend, doch
       stadtfreundlich von Passanten zu durchqueren.
       
       Das eine Gebäude nutzt ein Ministerium, im anderen residieren die
       Präsidialkanzlei mit bunt gewandeter Ehrengarde vor der Tür und nebendran
       ein Luxushotel. Das war von Anfang an so vorgesehen, schließlich gibt es
       Staatsgäste, und Funktionäre aus der Provinz sollten ebenfalls erhebend
       beherbergt werden.
       
       ## Verschwunden ist das Mausoleum für Dimitroff
       
       Die überbreite Straße zwischen den beiden Blöcken läuft auf die mit sechs
       monumentalen Säulen geschmückte einstige Parteizentrale zu. Deren Turm
       zierte einst ein rubinroter Stern, der wurde 1990 mit Hilfe eines
       Hubschraubers abmontiert; seither weht eine optisch zu klein geratene
       Landesfahne vom Turmmast.
       
       Gänzlich verschwunden ist in Sofia nur ein bedeutendes Gebäude der Frühzeit
       des Regimes: das Mausoleum für den KP-Chef Georgi Dimitroff. Dimitroff, der
       in vielen sozialistischen Staaten verehrte Protagonist des europäischen
       Kommunismus, der 1933 im Reichstagsbrandprozess von den Nazis erfolglos
       angeklagt wurde, während des Zweiten Weltkriegs als Generalsekretär der
       Komintern in Moskau operierte und einer der führenden Köpfe der
       Machtergreifung der KP in Bulgarien wurde, nachdem die Rote Armee das Land
       im September 1944 besetzt hatte.
       
       Binnen Tagen herrschte der „Rote Terror“. Tausende Angehörige der
       vormaligen Eliten von Politik, Wissenschaft und Geistlichkeit wurden sofort
       hingerichtet, tausende mehr nach alsbald veranstalteten Schauprozessen, und
       geschätzte 28.000 Menschen verschwanden spurlos.
       
       Dimitroff wurde Ministerpräsident in Bulgarien. Er verstarb aber bereits
       1949. Für den einbalsamierten Leichnam wurde ein Mausoleum nach dem
       Moskauer Vorbild des Lenin-Mausoleums errichtet, im Stadtgarten am
       Nationaltheater in Sofia. Der neoklassische, äußerlich schmucklose
       Pfeilerbau wurde 1989 noch vor dem offiziellen Abdanken der kommunistischen
       Regierung geschlossen und nach langjährigem Leerstand abgerissen,
       Dimitroffs konservierten Leichnam hatte man eingeäschert.
       
       Wo einst das Mausoleum stand, ist heute ein Mahnmal für den kommunistischen
       Terror. Das Ensemble am Largo-Platz blieb unvollendet, belanglose
       Bürobauten bilden heute den Abschluss, und die dort aufragende Lenin-Statue
       wurde durch eine Personifikation der Freiheit ersetzt.
       
       ## Vokabular des Klassizismus
       
       Der Hang zu Säulen und Kapitellen, zu breiten Treppen und schweren Gesimsen
       einer Architektur der Stalinzeit, ist keine Erfindung dieser Periode. In
       Bulgarien wie in so vielen Staaten der Zwischenkriegszeit knüpft diese
       Vorliebe an die vorangehende Epoche an. (Neo-)Klassizismus ist die
       architektonische Währung der dreißiger Jahre.
       
       Das „Haus der Justiz“ mit seiner überbreiten Säulenfront stammt aus dieser
       Zeit während des unabhängigen Königreichs Bulgarien, es wurde 1940
       fertiggestellt. Zu Beginn der kommunistischen Herrschaft im September 1944
       war es zeitgenössisch. Die Staatsbauten in Sofia variieren das Vokabular
       des Klassizismus, den kein Regime für sich allein beanspruchen kann.
       
       Parallel zur sowjetischen Hinwendung zum industrialisierten Bauen
       entstanden auch vornehmlich in Sofia mehrere Großsiedlungen für bis zu
       100.000 Bewohner. Der Hauptbahnhof, der auf zwei Wettbewerbe 1962 und 1963
       mit Beteiligung von DDR-Architekten zurückgeht, aber erst ein Jahrzehnt
       später fertiggestellt war, stellt seine Stahlbetonkonstruktion ostensiv
       heraus.
       
       ## Synthese von Architektur und künstlerischer Gestaltung
       
       In den siebziger Jahren hatte sich die bulgarische Architektur vom
       klassizistischen Kanon gänzlich befreit, ohne doch auf Monumentalität zu
       verzichten; breite Treppenaufgänge zu symmetrisch gestalteten Bauten
       blieben bevorzugt. Ein schönes Beispiel ist der 1981 eröffnete Nationale
       Kulturpalast in Sofias Süden.
       
       Vor dem annähernd viereckigen Bauwerk tut sich ein weiträumiges
       Untergeschoss auf, das die Besucher aus der angrenzenden Metrostation
       aufnimmt und eine reiche Gestaltung an Wasserspielen und Wandreliefs zeigt,
       Beispiel für die Synthese von Architektur und künstlerischer Gestaltung,
       die für die Spätzeit des Sozialismus kennzeichnend ist. Die Foyers mit
       ihren Kaskaden [3][an Deckenlampen rufen den DDR-Palast der Republik in
       Erinnerung]; gleiche Zeit, gleiche Haltung – und tadellos erhalten und
       genutzt.
       
       Es sind unscheinbare Bauten oder vielmehr deren Reste, die ungeschönt von
       der kommunistischen Herrschaft sprechen. Im ehemaligen Straflager Belene,
       gelegen auf einer schwer zugänglichen Donauinsel, stehen nur noch die
       steinernen Bauten der Verwaltung; die elf hölzernen Baracken für jeweils
       drei- bis vierhundert Häftlinge sind verschwunden.
       
       Das Eingangstor zum Lager ist wiederaufgerichtet. Mindestens 15.000
       Häftlinge gingen hindurch, manche sprechen von bis zu 23.000; die meisten
       kamen ohne Gerichtsurteil. Wer nach Jahren der Tortur entlassen wurde,
       blieb für sein Leben gezeichnet. Den Prachtbau und das Lager muss
       zusammendenken, wer die sozialistischen Jahrzehnte Bulgariens in einem
       architektonischen Bild fassen will.
       
       1 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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