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       # taz.de -- Ende der Ampel-Koalition: Steinmeier löst den Bundestag auf
       
       > Die Ampel-Koalition ist zerbrochen und es ist keine neue, stabile
       > Mehrheit in Sicht. Der Bundespräsident macht den Weg für Neuwahlen frei.
       
   IMG Bild: Verkündet die Entscheidung, den Deutschen Bundestag aufzulösen: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, 27. Dezember 2024
       
       Berlin dpa | Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den Bundestag
       aufgelöst und so den Weg zu seiner Neuwahl freigemacht. Diese soll am 23.
       Februar kommenden Jahres stattfinden, wie Steinmeier in Berlin bekanntgab.
       Er reagierte damit auf das Auseinanderbrechen der Ampel-Koalition im
       November und die [1][verlorene Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf
       Scholz] (SPD) im Bundestag kurz vor Weihnachten.
       
       Politische Stabilität sei in Deutschland ein hohes Gut, die Auflösung des
       Bundestages vor dem Ende der Legislaturperiode und vorgezogene Neuwahlen
       seien der Ausnahmefall, sagte Steinmeier im Schloss Bellevue. „Aber gerade
       in schwierigen Zeiten wie jetzt braucht es für Stabilität eine
       handlungsfähige Regierung und verlässliche Mehrheiten im Parlament.“
       
       „Die jetzige Regierung verfügt ausweislich der Abstimmung über die
       Vertrauensfrage über keine Mehrheit mehr, aber auch für eine anders
       zusammengesetzte Regierung habe ich in den Gesprächen keine Mehrheiten
       erkennen können. Deshalb bin ich überzeugt, dass zum Wohle unseres Landes
       Neuwahlen jetzt der richtige Weg sind“, sagte Steinmeier. Das Grundgesetz
       habe für diese Situation Vorkehrungen getroffen. Der Bundestag arbeite
       weiter, bis sich ein neuer Bundestag konstituiert habe. „Unsere Demokratie
       funktioniert, auch in Zeiten des Übergangs.“
       
       ## „Problemlösen muss wieder Kerngeschäft der Politik werden“
       
       Steinmeier wies auf die lange Auseinandersetzung über das Ob und Wie einer
       Neuwahl und auf den nun bevorstehenden Wahlkampf hin. Anschließend werde es
       an der Zeit sein, „dass das Problemlösen wieder zum Kerngeschäft von
       Politik wird“. Dies erwarteten die Menschen. Sie erwarteten tragfähige
       Vorschläge für eine gute Zukunft und für ein Land, das sich in schwieriger
       Zeit behaupten könne. Steinmeier sagte, er glaube, die Menschen verstünden,
       dass auch schmerzhafte Wahrheiten dazugehörten.
       
       Die nächste Bundesregierung habe große Aufgaben vor sich, sagte Steinmeier.
       „Deshalb muss es in den kommenden Wochen um die besten Lösungen gehen für
       Herausforderungen unserer Zeit.“ Er nannte die wirtschaftlich unsichere
       Lage, die Unternehmen in Schwierigkeiten bringe und Arbeitsplätze gefährde,
       die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine mit ihren Auswirkungen auch in
       Deutschland, die drängenden Fragen der Steuerung von Zuwanderung und
       Integration, den Klimawandel sowie das friedliche und sichere Zusammenleben
       in unserem Land.
       
       ## „Respekt und Anstand im Wahlkampf“
       
       Die Debatte über die besten Lösungen könne natürlich auch mit Zuspitzungen
       und Schärfe geführt werden, gerade im Wahlkampf. „Das verträgt unsere
       freiheitliche Demokratie oder mehr noch, sie braucht den Wettstreit der
       Ideen“, sagte Steinmeier. „Aber ich erwarte, dass dieser [2][Wettstreit mit
       Respekt und mit Anstand] geführt wird – schon allein deshalb, weil nach der
       Wahl die Kunst des Kompromisses gefragt sein wird, um eine stabile
       Regierung zu bilden.“
       
       Er wandte sich gegen Einflussversuche von außen. Auch dürfe im Wahlkampf
       Gewalt und nichts, was sie vorbereite, keinen Platz haben. „Verunglimpfung,
       Einschüchterung, Gewalt – all das ist Gift für die Demokratie. All das
       beschädigt unsere Demokratie. Wir müssen Gewalt ächten! Das erwarte ich von
       allen, die sich um Verantwortung bewerben.“
       
       Bundeskanzler Scholz hatte am 16. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage
       gestellt, nachdem im November die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP
       nach nur rund drei Jahren zerbrochen war. Scholz erhielt für seinen Antrag
       – wie von ihm beabsichtigt – keine Mehrheit. Er bat daraufhin Steinmeier,
       den Bundestag aufzulösen, um den Weg für eine Neuwahl freizumachen.
       
       ## Bundespräsident ist Herr des Verfahrens
       
       Nach Artikel 68 Grundgesetz kann der Bundespräsident auf Vorschlag des
       Bundeskanzlers innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen, wenn dieser
       die Vertrauensfrage verliert. Artikel 39 schreibt vor, dass die Neuwahl
       dann innerhalb von 60 Tagen stattfinden muss.
       
       Steinmeier ließ sich mit seiner Entscheidung nur 11 Tage Zeit. Er führte
       aber nach der Entscheidung des Bundestages über die Vertrauensfrage
       zunächst Gespräche mit den Vorsitzenden der Fraktionen und Gruppen. So
       wollte er herausfinden, ob es nicht doch noch einen Weg für eine stabile
       politische Mehrheit im Bundestag gibt.
       
       Dass der Bundestag vorzeitig aufgelöst wird, ist der absolute Ausnahmefall
       in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Vertrauensfrage von Scholz war
       erst die sechste seit 1949. In drei Fällen endete anschließend die
       Wahlperiode vorzeitig. Dies betraf die Kanzler Willy Brandt (SPD) 1972,
       Helmut Kohl (CDU) 1982 und Gerhard Schröder (SPD) 2005.
       
       Schröder hatte auch schon 2001 die Vertrauensfrage gestellt, aber nicht, um
       sie zu verlieren. Vielmehr wollte er so seine in Teilen widerspenstige
       rot-grüne Koalition für die Beteiligung der Bundeswehr am Anti-Terror-Kampf
       in Afghanistan hinter sich bringen.
       
       Ähnlich disziplinierend war die Vertrauensfrage von Helmut Schmidt (SPD)
       1982 angelegt, der damit die Zustimmung der SPD/FDP-Koalition zu seiner
       Sicherheits- sowie Arbeitsmarktpolitik erzwingen wollte. [3][Beide
       SPD-Kanzler gewannen die Vertrauensfrage], der Bundestag wurde nicht
       aufgelöst.
       
       ## Parteien vor intensivem Winterwahlkampf
       
       Die Parteien bereiten sich bereits intensiv [4][auf die Neuwahl] vor. Freie
       Wochenenden wird es für die Wahlkämpfer bis zum Wahltag kaum noch geben. So
       wollen etwa SPD und AfD am Wochenende 11./12. Januar endgültig ihre
       Kanzlerkandidaten bestimmen und die Wahlprogramme verabschieden. Am 26.
       Januar halten die Grünen ihren Parteitag ab, am 3. Februar die CDU, am 8.
       Februar die CSU und am 9. Februar die FDP.
       
       An diesem 9. Februar wird es abends in ARD und ZDF auch das erste
       Fernsehduell von SPD-Kanzler Scholz und seinem CDU-Herausforderer Friedrich
       Merz geben. Eine Woche später hat RTL die beiden Kontrahenten ins
       Fernsehstudio eingeladen. Zur Wahlkampfschlacht dürfte auch die
       voraussichtlich letzte Sitzung des Bundestags vor der Wahl werden – am 11.
       Februar trifft man sich zur Generaldebatte.
       
       Bislang deutet nichts darauf hin, dass Abgeordnete gegen die Auflösung des
       Bundestags vor das Bundesverfassungsgericht ziehen werden. Nach der
       Parlamentsauflösung 1982 und 2005 machten dies einzelne Politiker, die sich
       in ihren Abgeordnetenrechten verletzt sahen. Sie blieben allerdings
       erfolglos. Kohl und Schröder hatten jeweils eine Mehrheit im Bundestag und
       wollten mit ihrer fingierten und daher hochumstrittenen Vertrauensfrage nur
       Neuwahlen erzwingen. Das wollte zwar auch Scholz – ihm war jedoch mit dem
       Ampel-Crash die Mehrheit abhandengekommen.
       
       ## Neuer Bundestag wird erheblich kleiner
       
       Unabhängig davon, wie die Wahl ausgehen wird, steht fest: Der neue
       Bundestag wird ganz anders zusammengesetzt sein als der bisherige. Vor
       allem wird er viel kleiner. Denn nach der nun greifenden Wahlrechtsreform
       der Ampel-Koalition wird die Zahl der Mandate auf 630 begrenzt. Erreicht
       wird dies vor allem durch das Wegfallen von Überhang- und
       Ausgleichsmandaten. Zum Vergleich: 2021 waren noch 735 Abgeordnete in den
       Bundestag gewählt worden.
       
       Und zahlreiche prominente Gesichter werden künftig nicht mehr im
       Reichstagsgebäude zu sehen sein. Der zurückgetretene SPD-Generalsekretär
       Kevin Kühnert, die Bundestagsvizepräsidentinnen Yvonne Magwas (CDU) und
       Petra Pau (Linke) sowie die einstige Bundeslandwirtschaftsministerin Renate
       Künast (Grüne) sind nur vier von zahlreichen Abgeordneten, die nicht wieder
       kandidieren.
       
       27 Dec 2024
       
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