# taz.de -- Straflagerhaft für Nawalny-Anwälte: Urteile der russischen Behördenwillkür
> Das Urteil gegen Nawalnys ehemalige Anwälte macht einmal mehr deutlich,
> dass der Kreml nur eine Sicht der Dinge akzeptiert – seine eigene.
IMG Bild: Wadim Kobzew am 17 Januar im gerichtssaal in Petuschki, Russland
Da steht ein Ermittler in einem russischen Gericht und sagt im vollen Ernst
diesen Satz: „Der Gedanke an sich verteuernde Preise ist ein
verbrecherischer, ein extremistischer.“ So erzählt es Wadim Kobsew,
ehemaliger Anwalt des einstigen russischen Oppositionspolitikers Alexei
Nawalny, als er selbst im Käfig eines russischen Gerichts steht und sein
letztes Wort spricht. Es ist die einzige Möglichkeit, sich zu einem
Verfahren vor der Urteilsverkündung zu äußern.
Das Verfahren gegen Kobsew und seine Kollegen Igor Sergunin und Alexei
Lipzer ist eine weitere Farce von Russlands willfähriger Justiz. Die
Richterin verurteilte die drei ehemaligen Verteidiger Nawalnys ausgerechnet
am gestrigen Freitag, dem Jahrestag von Nawalnys Rückkehr nach Russland, zu
[1][Straflagerhaft zwischen dreieinhalb und fünfeinhalb Jahren].
Warum? Weil sie Nawalnys Gedanken weitergetragen hätten. Gedanken von sich
verteuernden Preisen im Land zum Beispiel. Der Satz des Ermittlers im
Gerichtssaal der Kleinstadt Petuschki, ungefähr 120 Kilometer östlich von
Moskau, ist bezeichnend für das Justizsystem im Land: Das, was nicht sein
darf, darf nicht einmal gedacht werden. Geschweige denn weitergereicht
werden. Sonst drohen drakonische Strafen.
## Haft für die Wahrheit
Das Urteil gegen die drei Anwälte, die teilweise Familienväter mit
Kleinkindern sind, ist ein weiterer Versuch, die Menschen im Land
einzuschüchtern. Es ist ebenfalls ein Signal an die Anwaltsgemeinschaft,
die Finger von politischen Fällen zu lassen. Es zeigt, dass der Staat
Verteidiger*innen zu Mittäter*innen macht. Es nimmt auch
Kritiker*innen die Hoffnung, juristischen Beistand zu finden, wenn sie
ihn denn brauchen. Und den brauchen die Menschen im Russland von heute
schon, wenn sie Blumen für politisch Verfolgte an Denkmälern niederlegen.
Oder wenn sie in sozialen Netzwerken nur einen Funken Kritik an Russlands
Krieg gegen die Ukraine äußern. Ja, sie brauchen ihn auch, wenn sie
Tatsachen formulieren, wenn sie über immer teurere Preise schreiben, über
fehlende Arbeitskräfte, über fehlende Männer für die vom Staat so stark
propagierte Großfamilie.
Der Rahmen, seine Gedanken zu äußern, wird immer enger im Land. Die
Menschen sind, wie bereits Jahrzehnte zuvor, von unfassbarer Angst
befallen. Sie sagen lieber gar nichts oder sprechen in Metaphern. Sie
nennen es die [2][„neue Realität“.] Es ist eine, die stark an vergangene
Zeiten erinnert. Zeiten, die der Staat nie überwunden hat, der auf den
nicht verarbeiteten [3][Gewalterfahrungen] der 1930er und 1940er Jahre
längst eine neue Gewaltherrschaft aufgebaut hat.
Wenn auch Anwält*innen nicht mehr geschützt sind, sind Häftlinge ihrem
Schicksal überlassen – und damit der Behördenwillkür, die kaum mehr nach
draußen gelangen dürfte, weil nicht einmal Verteidiger*innen über
mögliche Vergehen der Justiz berichten könnten. Das Land wird mehr und mehr
zu einer Blackbox, aus der bald kaum ein Ton der Wirklichkeit zu vernehmen
sein wird.
17 Jan 2025
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## AUTOREN
DIR Inna Hartwich
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