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       # taz.de -- Neue Leitung für die Berliner Volksbühne: Bewerbung für eine Revolution
       
       > Bald soll die Volksbühne eine neue Intendanz bekommen. Die einstigen
       > Besetzer von „Staub zu Glitzer“ haben sich beworben und wollen
       > Veränderung.
       
   IMG Bild: 2017 war die Volksbühne schon einmal ein kollektivierter Ort
       
       Berlin taz | Noch ist die Volksbühne führungslos. Doch fast ein Jahr nach
       dem [1][plötzlichen Tod des ehemaligen Intendanten René Pollesch] könnte
       sich das für das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz bald ändern. Nach
       Informationen der taz steht die Ernennung einer neuen Leitung kurz bevor –
       auch wenn die Kulturverwaltung auf Anfrage mitteilt, eine Entscheidung sei
       für das „1. oder 2. Quartal“ zu erwarten.
       
       Namen von möglichen Pollesch-Nachfolgern werden bereits gehandelt: Etwa der
       Choreografin [2][Florentina Holzinger] oder des Theatermachers [3][Ersan
       Mondtag]. Letzterer sorgt in der Volksbühne bereits für Unruhe. Eine
       anonymisierte Mitarbeiterin äußerte sich kürzlich in Radio 3, dass Mondtag
       für „Machtmissbrauch und den schwierigen Umgang mit Mitarbeitenden“ bekannt
       sei.
       
       Die Entscheidung über die Intendanz trifft Kultursenator Joe Chialo (CDU)
       zusammen mit einem Expertengremium. Wer dazugehört, beantwortet die
       Kulturverwaltung auf Anfrage nicht.
       
       Gesucht wird in der im August vergangenen Jahres veröffentlichten
       Ausschreibung eine „Persönlichkeit oder ein Team mit Visionen für die
       Leitung eines der größten Ensembletheater im Berlin des 21. Jahrhunderts“,
       die die „künstlerische Exzellenz des Hauses genauso steigern kann wie seine
       gesellschaftliche Relevanz“. Eine zunächst angedachte Interimslösung für
       die Spielzeiten 2025 und 2026 [4][mit dem norwegischen Theaterregisseur
       Vegard Vinge und der Bühnenbildnerin Ida Müller hatte sich im Dezember
       zerschlagen]. Grund ihrer Absage sollen auch die [5][massiven
       Haushaltskürzungen im Kulturbereich] gewesen sein.
       
       ## Kein transparentes Verfahren
       
       Einer transparenten Besetzung, wie sie etwa die Genossenschaft Deutscher
       Bühnen-Angehöriger oder das [6][Berliner Projekt Fairstage] fordern,
       entspricht das Verfahren nicht. Dass ein konservativer Senator in einem
       nicht öffentlichen Prozess über die Führung des einstigen
       Arbeitertheaters entscheidet, ruft daher erneut die linke
       Künstler:innen- und Aktivist:innengruppe [7][Staub zu Glitzer auf den
       Plan. Die hatte das Haus im Jahr 2017 öffentlichkeitswirksam besetzt].
       Gerahmt als transmediale Theaterinszenierung gab es eine Woche lang
       Performances, Partys und politische Diskussionen, dann räumte die Polizei.
       
       Staub zu Glitzer arbeitet seitdem weiter an ihrer Vision, die
       Top-down-Struktur zu überwinden und die Volksbühne zu einem kollektiv
       geführten Theater zu machen. Nach dem Motto: Die Volksbühne soll
       führungslos bleiben.
       
       Diesem Ziel folgend hat sich das Kollektiv selbst beworben – und [8][macht
       dies nun auch öffentlich]. Staub zu Glitzer fordert zudem alle anderen
       Bewerber:innen auf, es ihnen gleichzutun und ihre Bewerbungen zu
       veröffentlichen, sagt Sprecherin Sarah Waterfeld der taz.
       
       In ihrem Bewerbungsschreiben heißt es, man strebe nach einem „Modellprojekt
       zur Überwindung des Intendanzsystems“. Das Kollektiv bewerbe sich nicht für
       die Intendanz, vielmehr gehe es ihnen darum, „Enabler*innen eines völlig
       neuen Staatstheater-Modells“ zu sein: Menschen aus der
       Volksbühnen-Community, darunter etwa die 230 Angestellten, Nachbar:innen,
       Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen, sollen „eingeladen sein,
       ihr Theater der Commons zu gestalten“. Das Theater als
       radikaldemokratisches Gemeingut der Stadtgesellschaft.
       
       ## Kollektive statt Leitung
       
       Laut Waterfeld bedeutet das etwa die Etablierung einer „öffentlichen
       Spielzeitplanungsphase“. Statt dass nur Intendanz und Dramaturg:innen
       planen, was im Theater läuft, sollen Produktionskollektive das Ruder für
       einzelne Programmpunkte übernehmen. Dabei geht es auch darum, die
       Angestellten der technischen Gewerke, vom Kostüm bis zum Bühnenbau,
       gleichberechtigt zu beteiligen. Zudem sollen Außenstehende motiviert
       werden, sich einzubringen.
       
       In der Bewerbung schreibt Staub zu Glitzer: „Ein Theater der Commons
       erscheint vielen als etwas Undenkbares, Ungeheuerliches.“
       
       Gleichwohl sei die Kollektivierung des Hauses die „einzige progressive
       kulturinstitutionelle Strukturreform“ in einer „gefährdeten Demokratie“.
       Waterfeld sieht das Modell als Antwort auf die Krisen der Theater, sie
       spricht von „Publikumsschwund, Begrenzung auf bürgerliche Kreise und
       Angriffe von Rechts“.
       
       Wieso Kultursenator Joe Chialo auf ihre Idee eingehen sollte? „Er hat
       nichts zu verlieren“, sagt Waterfeld. „Er könnte sagen: 'Wenn die Linken
       glauben, sie könnten an diesem traditionell linken Haus einen auf
       Demokratie machen, dann sollen sie es mal versuchen.“ Im September habe es
       ein Treffen von Staub und Glitzer mit der Kulturverwaltung gegeben, bei dem
       das Modell vorgestellt wurde. Dabei geht es auch um eine institutionelle
       Neuaufstellung des Theaters, um die bislang in die Struktur
       eingeschriebenen Entscheidungshierachien zu überwinden. Waterfelds Eindruck
       von dem Gespräch: „Die haben das schon verstanden.“
       
       ## Vorstellungskraft nötig
       
       Einer, der der Vision von Staub zu Glitzer grundsätzlich positiv
       gegenüberstand, war René Pollesch. Die Besetzung, die unter dem als
       neoliberal verschrienen Intendanten Chris Dercon stattfand, der als
       Nachfolger von Frank Castorf ans Haus geholt worden war, unterstützte er
       ideologisch und auch finanziell.
       
       Nach dem Amtsantritt von Pollesch 2021 hatte das Kollektiv noch die
       Hoffnung, dieser werde in Zusammenarbeit mit ihnen dafür sorgen, dass er
       der letzte Intendant sein wird. Monatelange Gespräche über einen
       demokratischen Ansatz für die Volksbühne waren zuvor allerdings
       gescheitert. Nicht an mangelndem Interesse, sondern aufgrund „begrenzter
       Vorstellungskraft“, wie Waterfeld sagt.
       
       Eine letzte Kooperation gab es Ende 2021, [9][als Staub zu Glitzer die
       streikende Krankenhausbewegung in die Volksbühne einladen konnte]. So
       stellte man sich das vor: ein politisches Theater, das seiner
       gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird. Doch schließlich statt die
       Theaterräume und auch die Bühne für die Arbeiter:innen zu öffnen, blieb
       es bei einer Pressekonferenz. Aus Enttäuschung plante Staub zu Glitzer
       bereits die nächste Besetzung, die Pollesch mit der Drohung, notfalls die
       Polizei zu rufen, abschmetterte.
       
       Doch an Fürsprecher:innen mangelt es dem Kollektiv nicht. Ihrer
       Bewerbung beigefügt sind etwa 20 Schreiben, sogenannte „letter of intent“,
       von renommierten Wissenschaftler:innen und Kulturschaffenden, die die
       Idee eines kollektivierten Theaters unterstützen: Dazu gehören der
       Commons-Forscher Vasilis Kostakis von der Harvard-Universität, der
       Kunst-Antropologe Massimiliano Mollona der Universität Bologna oder aber
       Nora Sternfeld und Friedrich von Borries von der Hochschule für Bildende
       Künste Hamburg. Letztere schreiben, sie empfinden den Ansatz von Staub zu
       Glitzer „auch für das – in mancher Hinsicht tradierte – Modell „Intendanz“
       neue Formen kollektiven Handelns zu erproben, als reizvoll, wichtig,
       zukunftsweisend“.
       
       21 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR [8] https://staubzuglitzer.de/transparenzoffensive/
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       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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