URI: 
       # taz.de -- Nach Beginn des Waffenstillstands: Experten halten Hamas in Gaza für geschwächt
       
       > Polizisten der Miliz patrouillieren wieder in den Straßen von Gaza,
       > Bilder zeigen Paraden von Kämpfern. Warum Fachleute sie dennoch für
       > angeschlagen halten.
       
   IMG Bild: Wer wird die Menschen in Gaza künftig regieren – und versorgen? Die Hamas will zumindest stark wirken
       
       Jerusalem taz | Ein Bild kann eine ganze Geschichte erzählen. Etwa das der
       Freilassung der israelischen Geisel Doron Steinbrecher am Sonntag: Umringt
       von vermummten Hamas-Kämpfern in Uniform wird die junge Frau auf offener
       Straße in Gaza-Stadt dem Roten Kreuz übergeben. Im Hintergrund jubelt und
       filmt eine scheinbar riesige Masse.
       
       Die Botschaft: Die Hamas sitzt in Gaza fest im Sattel, die Bevölkerung
       unterstützt sie. Ein Sieg Israels sieht anders aus. Wenig später geht ein
       Foto viral, das denselben Ort, den Saraia-Platz in Gaza-Stadt, aus der
       Vogelperspektive zeigt: Die Massen entpuppen sich als einige hundert
       Menschen.
       
       Solche Bilder sind mitunter schwer zu überprüfen. Ähnliches gilt für die
       Aufnahmen von Paraden schwer bewaffneter Hamas-Kämpfer auf blitzblanken
       Pick-ups oder Hamas-Polizisten, die auf der Straße in Khan Jounis ihre
       Rückkehr in den Dienst verkünden. Doch sie alle werfen Fragen auf: Wie
       stark ist die Hamas noch? Wie viel Rückhalt genießt sie? Was bedeutet das
       für die Zukunft der Waffenruhe?
       
       „Lasst euch nicht beeindrucken“, [1][schreibt der israelische Journalist
       Haviv Rettig Gur beim Onlinedienst X]. Die Bilder „waren an die
       Gaza-Bewohner gerichtet als Machtdemonstration und um jeden Gedanken an
       eine Revolte zu verhindern“. Die Hamas könne heute keinen Angriff in den
       Dimensionen des 7. Oktobers ausführen.
       
       ## „Kriege ohne Ziel können kaum gewonnen werden“
       
       An der tatsächlichen Stärke der Hamas zweifelt auch Miri Eisin, früher
       israelische Geheimdienstmitarbeiterin und heute Forscherin am International
       Institute for Counter-Terrorism bei Tel Aviv. „Die Kämpfer in Uniformen und
       mit Sturmhauben wirken bedrohlich“, sagt sie. „Es bedeutet aber nicht, dass
       sie noch immer über die Fähigkeiten, die Waffen oder die Führungsstruktur
       verfügen, um einen erneuten Angriff auf Israel zu starten.“
       
       Und das, obwohl die Hamas laut der US-Regierung unter der ausgebombten und
       geschundenen Zivilbevölkerung in Gaza fast so viele neue Kämpfer rekrutiert
       haben soll, wie sie im Krieg verloren hat. Eine militärische Zerstörung der
       Gruppe, wie von der Regierung oft gefordert, hält Eisin für nicht
       realistisch.
       
       Der Kritik an der israelischen Führung schließt sich auch Seth Frantzman
       an: „Kriege ohne Ziel können kaum gewonnen werden“, sagt der Buchautor und
       Analyst. Doch die Frage [2][nach dem „Tag danach“ sei von der israelischen
       Regierung nie beantwortet worden]. Die Armee habe stattdessen wie in
       früheren Kriegen 2009 und 2014 agiert: „Sie haben die Hamas geschwächt,
       aber nicht vertrieben.“
       
       Dabei hätte die Gruppe nach ihrem Überfall am 7. Oktober durchaus
       militärisch verdrängt werden können, glaubt Frantzman. Als Beispiel nennt
       er die Rückeroberung Mossuls vom IS zwischen 2016 und 2017. „Die Armee
       hätte Zivilisten Zugang zu Flüchtlingslagern außerhalb der Kontrolle der
       Hamas ermöglichen müssen, stattdessen hat Israel keine Verantwortung für
       die Vertriebenen übernommen.“
       
       ## Könnte die Palästinensische Autonomiebehörde Gaza regieren?
       
       Eroberte Stadtviertel seien bewusst einem Machtvakuum überlassen worden, in
       das die Hamas zurückkehren konnte. Stattdessen hätte eine Übernahme durch
       die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) mit Unterstützung aus der Region
       erfolgen müssen, sagt Frantzman. „Das wäre keineswegs problemlos verlaufen,
       aber es wäre machbar gewesen.“
       
       Ein weiteres Problem an diesem Plan: Eine PA-Regierung lehnt auch die
       Mehrheit der Palästinenser ab. Vermehrte Razzien durch PA-Polizisten gegen
       bewaffnete Gruppen im Westjordanland, unter anderem in Jenin, mögen ihre
       Position im Westen stärken, sie verspielen aber auch lokalen Rückhalt.
       
       „Es gibt keine Gewinner“, deutet Samer Sinijlawi die Bilder aus Gaza beim
       Onlinedienst X. Weder Israel noch die Hamas könnten von einem Sieg
       sprechen: „Die Machtdemonstration ist bedeutungslos für die Millionen
       Gazaer“, schreibt der Vorsitzender des Jerusalem Development Fund.
       „Militärparaden werden nicht einen Stein wieder auf den anderen setzen.“
       
       Für den Hamas-nahen Analysten Ibrahim Madhoun ist die Botschaft aus Gaza
       indes klar: „Die Hamas ist der ‚Tag danach‘ für Gaza“, sagte er. Für jede
       künftige Einigung zu Gaza sei sie „unumgänglich.“ Noch am Sonntag hatte das
       von der Hamas geleitete Medienbüro erklärt, [3][dass Tausende Polizisten im
       Gazastreifen eingesetzt würden,] um „Sicherheit und Ordnung“ zu bewahren.
       
       ## Siedlerüberfälle im Westjordanland nehmen zu
       
       Kommt die [4][fragile Waffenruhe] nicht über ihre erste sechswöchige Phase
       hinaus, könnte ein „Tag danach“ im Gazastreifen bald wieder in weite Ferne
       rücken. Außenminister Gideon Saar sagte am Sonntag, Israel habe keinem
       dauerhaften Waffenstillstand zugestimmt, der die Hamas an der Macht lasse.
       
       Nun sind auch die weiteren Schritte des alten neuen US-Präsidenten Donald
       Trump entscheidend. Für die Palästinenser verliefen diese bisher wenig
       vielversprechend: An seinem ersten Tag im Amt [5][beendete er etwa
       Sanktionen gegen extremistische Siedler] im Westjordanland. Das könnte die
       Lage dort weiter verschlechtern, wo [6][Siedlerüberfälle auf Palästinenser
       mittlerweile an der Tagesordnung sind] – so auch in der Nacht zum Dienstag.
       
       21 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://x.com/havivrettiggur/status/1881110242932687098
   DIR [2] /Deal-zwischen-Israel-und-der-Hamas/!6059778
   DIR [3] /Stimmen-aus-dem-Gazastreifen/!6063095
   DIR [4] /Fragen-und-Antworten-zum-Gaza-Abkommen/!6062887
   DIR [5] https://www.reuters.com/world/trump-cancels-sanctions-far-right-israeli-settlers-occupied-west-bank-2025-01-21/
   DIR [6] /Siedlergewalt-im-Westjordanland/!6027905
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Wellisch
       
       ## TAGS
       
   DIR Gaza
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Hamas
   DIR Israel Defense Forces (IDF)
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Gaza
   DIR Gaza-Krieg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Krieg in Gaza: Gefangenenaustausch und Waffenruhe in Gaza
       
       Palästinenser und Israelis begrüßen ihre aus der Gefangenschaft
       freigelassenen Angehörigen. Trump spricht über Pläne, den Gazastreifen zu
       „säubern“.
       
   DIR Waffenstillstand im Gazakrieg: Ruhe auf Zeit
       
       Die Waffen schweigen, doch noch immer fehlt es den Menschen im Gazastreifen
       am Nötigsten. Wohin soll man gehen, wenn alles zerstört ist?
       
   DIR Israels Kampf im Gazastreifen: Völkermord, im Ernst
       
       In der „Süddeutschen Zeitung“ empört sich die Soziologin Eva Illouz über
       den Genozidvorwurf gegen Israel. Ihre Argumente sind nicht überzeugend.
       
   DIR Stimmen aus dem Gazastreifen: „Die Hamas wird eine Kraft in Gaza bleiben“
       
       Im Gazastreifen feiern die Menschen den Waffenstillstand. Vier von ihnen
       erzählen, was nun ihre Pläne sind – und was sie über die Hamas denken.
       
   DIR Deal zwischen Israel und der Hamas: Ein überfälliges Abkommen – aber kein Plan danach
       
       Die Erleichterung nach dem Zustandekommen des Waffenstillstands ist groß.
       Doch es gibt entscheidende Unklarheiten darüber, wie es jetzt weitergeht.