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       # taz.de -- Lessingpreis für Georg Genoux: Kulturpolitische Uneinigkeit
       
       > Sachsen würdigt die Integrationsarbeit des sozialtheatralen Zentrums
       > Thespis in Bautzen mit dem Lessingpreis. Und streicht zugleich die
       > Förderung.
       
   IMG Bild: Warnt eindringlich vor dem Schaden, den eine Kürzung der Mittel verursachen würde: Intendant Lutz Hillmann
       
       Mehr kulturpolitisches Hin und Her ist kaum vorstellbar. Am Mittwoch
       erhielt [1][der Theatermann Georg Genoux] einen der beiden Förderpreise zum
       Lessingpreis, laut Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) „der wichtigste
       Kulturpreis, den der Freistaat Sachsen selbst vergibt“.
       
       Seit drei Jahren leitet Genoux das soziotheatrale Zentrum Thespis, das
       Bautzener Bürger und Geflüchtete aus verschiedensten Ländern
       zusammenbringt. Zugleich streicht derselbe Freistaat, konkret die
       Sächsische Aufbaubank – hier besser Abbaubank zu nennen –, mit Jahresbeginn
       sämtliche Förderung in Höhe von rund 200.000 Euro aus einem
       Integrationsprogramm.
       
       Genoux wird also für seine leidenschaftliche Arbeit belohnt und bestraft.
       „Für eine große Gruppe von Menschen, die sonst kaum etwas im Leben haben,
       fällt die einzige Möglichkeit sozialer und kultureller Teilhabe weg“, fasst
       der 1976 in Hamburg geborene russlanderfahrene Verfechter des
       partizipativen und dokumentarischen Theaters die Folgen zusammen.
       
       Im Jahr 2018 hatte Lutz Hillmann als Intendant des Deutsch-Sorbischen
       Volkstheaters Bautzen die Bürgerbühne quasi ausgegründet. Mit der
       Fluchtwelle nach Beginn der russischen Invasion suchen neben arabischen
       Asylsuchenden vor allem Ukrainer, aber auch Russen die beiden Hausetagen
       unweit des Theaters auf. [2][Mit den Laien inszenieren Genoux und drei
       Projektleiterinnen regelmäßig Stücke]. 2020 erhielt Thespis schon den
       sächsischen Integrationspreis. Jährlich im Herbst richtet es das Festival
       „Willkommen anderswo“ aus.
       
       ## Noch korrigierbarer Fehler
       
       Vermutlich ist die Förderverweigerung eine Folge des Rechnungshofsberichts,
       der 2023 dem SPD-geführten Sächsischen Sozialministerium
       „korruptionsgefährdete Strukturen“ bei der Integration Geflüchteter
       vorgeworfen hatte. Der Förderantragszeitraum war schon 2024 von drei auf
       ein Jahr herabgesetzt worden. Auf Nachfrage begründeten die Bankbeamten im
       Dezember den Förderstopp mit einer neuen Richtlinie, die nur noch
       Einzelmaßnahmen zulasse.
       
       Genoux und seine Mitarbeiterinnen und Freunde müssen nun bei kleineren
       Spendern betteln gehen. Bei etwa 60.000 Euro jährlich liegt das
       Existenzminimum. Der Vermieter hat die Miete zunächst gestundet. „Die
       Arbeit, diese Zuflucht für Leute, die sich nicht wohlfühlen, ist uns so
       wichtig, dass wir ehrenamtlich auf jeden Fall weitermachen“, berichtet
       Halimeh Ibrahim aus dem Libanon. Ein begonnenes Projekt über Mobbing an
       Bautzener Schulen soll auf jeden Fall vollendet werden.
       
       „Das ist keine finanzpolitische, sondern eine kultur-, ja
       integrationspolitische Förderentscheidung“, schimpft Lutz Hillmann. Es sei
       ein Skandal, dass sie auf Beamtenebene abgeschoben wurde. Georg Genoux hat
       noch nicht alle Hoffnung verloren. „Ich nehme an, dass die Verantwortlichen
       wissen, dass ihnen ein Fehler unterlaufen ist – aber der ist korrigierbar!“
       In seiner Dankesrede zum Lessingpreis spricht er von einer „grotesken
       Situation“.
       
       Dem andächtigen Auditorium verdeutlichte er noch einmal, dass Thespis „nie
       ein Ort der politischen Hetze oder Ausgrenzung war“. Im Gegenteil. In der
       schwierigen, polarisierten und [3][durch ausländerfeindliche Übergriffe]
       auch überregional bekannt gewordenen Stadt hätten sogar [4][Anhänger
       konträrer politischer Lager zu kommunizieren] versucht, „die sonst wohl nie
       miteinander reden würden“.
       
       Hillmann schreibt Briefe und bittet um Gesprächstermine. Wohl wissend, dass
       der zu 10 Prozent ungedeckte sächsische Katastrophenhaushalt absehbar erst
       Mitte des Jahres verabschiedet werden kann. Die Erfahrung zeige, dass es
       gar nicht möglich wäre, Thespis von einem Tag auf den anderen zu schließen.
       „Es gibt so viele Kinder und Jugendliche, die hier ihren Anlaufpunkt, ihren
       Anker haben“, schildert er eindringlich. „Der Verlust würde einen Schaden
       anrichten, der gar nicht mit Worten auszudrücken ist!“
       
       22 Jan 2025
       
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   DIR Michael Bartsch
       
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