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       # taz.de -- Einheitsdenkmal: Leipzig ringt weiter um Einheit
       
       > Auch nach zwei Bundestagsbeschlüssen und Siegerentwürfen geht der Streit
       > um ein Denkmal an den Herbst 1989 weiter. Es geht auch um weiße Fahnen.
       
   IMG Bild: Der Siegerentwurf „Banner, Fahnen, Transparente“ zum Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal
       
       Besonders eilig haben es die Ostdeutschen und auch die vereinigte Nation
       nicht, an ihre Heldentaten des Revolutionsherbstes 1989 zu erinnern.
       [1][Berlin bekommt die „Einheitswippe“ einfach nicht geschaukelt], das
       geplante „Zukunftszentrum Deutsche Einheit“ in Halle interessiert höchstens
       die Architekten, und in Leipzig bleibt das „Einheits- und Freiheitsdenkmal“
       eine umstrittene Fiktion. Zwar ist 16 Jahre nach dem Bundestagsbeschluss im
       Oktober 2024 endlich ein Entwurf prämiert worden. Aber von Einheit kann
       unter den Leipzigern überhaupt keine Rede sein. Eher von der Freiheit, auch
       diesen Gestaltungsvorschlag wieder auseinanderzunehmen.
       
       Die Modellierung des kleinen Areals am südlich des Innenstadtrings
       gelegenen [2][Wilhelm-Leuschner-Platz] erinnert spontan an eine grüne
       Sommeridylle unter kreuz und quer aufgestellten Sonnensegeln. Damit könnten
       Transparente gemeint sein, ahnt man unter dem suggestiven Einfluss des
       historischen Ortes der Montagsdemonstrationen im Frühherbst 1989. Von
       dynamischer, gerichteter Entschlossenheit der Demonstranten, die den
       realexistierenden Sozialismus satthatten, ist im Entwurf indessen keine
       Spur zu entdecken.
       
       Die weißen, unbeschriebenen Banner stünden für „freie Meinungsäußerung,
       aber auch für Frieden, Gewaltfreiheit und Deeskalation“, erklärte die
       Künstlerin Bea Meyer im Oktober. Sie, Architekt Michael Grzesiak und das
       Team von ZILA Architekt.innen erhielten 35.000 Euro für den Siegerentwurf.
       Doch ein Ende des eineinhalb Jahrzehnte währenden Gezerres um das Projekt
       ist immer noch nicht abzusehen. Kurz vor Weihnachten fing dann noch der MDR
       kritische Stimmen aus dem Stadtrat ein, die auch die Stimmung in der
       Leipziger Bevölkerung widerspiegeln.
       
       Nichts Neues in der sogenannten Heldenstadt, lehrt ein Blick in die
       Geschichte dieses „Nationaldenkmals mit europäischer Ausstrahlung“, wie es
       2014 die damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Ursula Grimm im Stadtrat nannte.
       Damals scheiterte das Vorhaben zum ersten Mal. 2009 war der Stadtrat
       zunächst dem Bundestagsbeschluss aus dem Jahr zuvor gefolgt, der auch auf
       zivilgesellschaftliche Initiative zustande gekommen war.
       
       ## Viele bunte Würfel
       
       Der damalige Siegerentwurf des Münchener M+M-Büros und von Annabau Berlin
       hatte überhaupt nichts von einem Hermannsdenkmal, sondern erwies sich eher
       als Produkt der Spaßgesellschaft. [3][70.000 bunte Würfel zum Mitnehmen],
       so viele, wie am 9. Oktober 1989 Bürger demonstriert hatten. Viele junge
       Leipziger fanden das damals lustig, Spott und Ablehnung hingegen kam von
       den Älteren. Also alles wieder zurück auf null, beschloss der Stadtrat.
       
       Drei Jahre später erneuerte der Bundestag seinen Leipzig-Beschluss. Die
       Stadt beauftragte die Stiftung Friedliche Revolution mit der Umsetzung.
       2021 wurde eine breitere Bürgerbeteiligung versucht, ein Bürgerrat votierte
       für den Standort Leuschner-Platz. Nur zehn Jahre nach dem ersten
       Vergabeversuch entschied die Jury sich im Oktober 2024 für den Entwurf mit
       dem netten Spielplatz, der nach ihren Worten wiederum „globale Maßstäbe“
       setzen soll.
       
       Aber authentisch möge es doch bitte sein, kritisieren nun
       Geschichtsbewusste. „Denn das Volk ist 1989 nicht mit weißen Fahnen,
       sondern erhobenen Hauptes auf die Straße gegen die Staatsmacht gezogen“,
       weiß es CDU-Stadtrat Michael Weickert gegenüber dem MDR besser.
       
       Sascha Jecht vom BSW bringt finanzielle Sorgen wegen der hälftigen
       Finanzierung durch Land und Stadt ins Spiel. „Wir müssen angesichts knapper
       Kassen diskutieren, ob die Stadt sich das aktuell leisten möchte“, sagte
       er. Franziska Riekewald von der Linken stellt den Denkpark komplett infrage
       und verweist auf andere Gedenkorte. Im Nikolaikirchhof, Ausgangspunkt der
       Montagsdemonstrationen, steht beispielsweise schon seit 1999 eine 16 Meter
       hohe Säule. „Wir denken und wissen, dass die Leipzigerinnen und Leipziger
       keinen Wert auf dieses Denkmal legen“, behauptet Riekewald.
       
       „Ich vermute mal, dass, wenn dieses Denkmal nicht kommt, gar kein Denkmal
       kommt“, prophezeit der CDU-Stadtrat Weickert eine womöglich unendliche
       Geschichte. Oberbürgermeister Burkhard Jung will demnächst eine
       Stadtratsvorlage einbringen. Ein Bürgerentscheid, wie ihn eine seltene
       Allianz von Linken, BSW und AfD fordert, war dagegen schon vor zehn Jahren
       vom Stadtrat abgelehnt worden.
       
       2 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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