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       # taz.de -- Liberale beenden Gespräche: Verhandlungen über Koalition in Österreich geplatzt
       
       > In Österreich haben die liberalen Neos die Gespräche mit Konservativen
       > und Sozialdemokraten beendet. Droht nun doch eine Regierung mit der FPÖ?
       
   IMG Bild: Neos Parteichefin Beate Meinl-Reisinger steigt aus
       
       Wien taz | Noch am Donnerstag hieß es in Österreichs Medien, ein Erfolg bei
       den Regierungsverhandlungen stehe kurz bevor. Schon rund um den
       Dreikönigstag könne es eine Einigung zwischen der konservativen ÖVP, der
       sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen Neos geben.
       
       Freitagvormittag dann die Überraschung: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger
       gab den Ausstieg ihrer Partei aus den Gesprächen bekannt. Schon zuvor
       ließen führende Parteimitglieder durchblicken, dass ihnen zu wenig
       weitergehe. Dass es so ernst stünde, ahnte aber kaum jemand.
       
       In einer halbstündigen Erklärung betonte Meinl-Reisinger energisch, warum
       es kein „Weiter wie bisher“ geben dürfe. Österreich befinde sich im dritten
       Jahr einer Wirtschaftskrise, die Staatsschulden seien auf Rekordniveau, die
       Zukunftsaussichten für Junge zunehmend trüb. Es brauche vor allem Reformen
       in den Bereichen Föderalismus, Gesundheitsversorgung und Bildung. Ein
       Kernthema und ausschlaggebend waren offenbar die Renten.
       
       „Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass wir nichts ändern müssen? Das
       Pensionssystem ist in einer Schieflage“, sagte Meinl-Reisinger. Da hat sie
       durchaus recht: Das Rentenantrittsalter ist mit durchschnittlich rund 60
       (Frauen) bzw. etwa 62 Jahren (Männer) noch immer deutlich geringer als der
       vor langem beschlossene Zielwert von 65 Jahren. Auch sind die Renten in
       Österreich vergleichsweise großzügig, etwa deutlich höher als in
       Deutschland.
       
       ## Keine Reformen machbar
       
       Mit ÖVP und SPÖ seien aber keine wesentlichen Reformen zu machen.
       Stattdessen gehe es den beiden vor allem um den Verteilung von Ämtern und
       die Sicherung der eigenen Macht, kritisierte Neos-Chefin Meinl-Reisinger.
       Die einstigen Großparteien, die jahrzehntelang die Macht in Österreich
       aufgeteilt haben, hätten sich zu wenig bewegt. Nach neuerlichen erfolglosen
       Verhandlungen bis spät in die Nacht haben sich Neos daher entschieden, die
       Gespräche abzubrechen.
       
       Wie es nun weitergeht, ist völlig offen. Hinter den Kulissen dürfte
       zunächst Unsicherheit und Überraschung geherrscht haben. Zwar hätten auch
       ÖVP und SPÖ gemeinsam eine knappe Mehrheit im Nationalrat. Diese ist
       allerdings mit 94 von 183 Abgeordneten die knappest mögliche. Im Falle von
       Abwesenheiten oder Abweichlern stünden Abstimmungen auf der Kippe. Schon
       deshalb hatten ÖVP und SPÖ von Anfang an eine Dreierkoalition als Ziel von
       Verhandlungen ausgegeben.
       
       Alternativ ist auch möglich, dass ÖVP und SPÖ nun die Grünen mit ins Boot
       holen. Diese waren zwar in der letzten Bundesregierung als Juniorpartner
       der ÖVP in Ungnade gefallen. Gleichwohl gelten sie vielen Beteiligten
       womöglich doch als geringeres Übel als die FPÖ.
       
       Ebenso möglich ist, dass es nun zu Neuwahlen kommt. Davon würden wohl vor
       allem [1][die FPÖ], unter Umständen noch die Kleinparteien profitieren.
       Auch eine Minderheitsregierung, wohl unter der ÖVP, wäre möglich. Eine
       solche gab es bisher lediglich 1970 unter SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky. Sie
       zerbrach aber nach wenigen Monaten.
       
       ## Kein kategorisches Nein
       
       Fraglich ist, ob die ÖVP an ihrem Nein zur rechtsradikalen FPÖ festhält.
       Mit knapp 29 Prozent hatten die Freiheitlichen [2][bei den Parlamentswahlen
       am 29. September 2024] erstmals Platz eins bei einer Parlamentswahl
       erreicht. Sowohl ÖVP als auch SPÖ machten aber rasch klar, nicht mit
       FPÖ-Chef Herbert Kickl zu koalieren. Ein kategorischen Nein zur FPÖ an
       sich, mit der die ÖVP auch in mehreren Bundesländern regiert, gab es aber
       nicht.
       
       Unter Umständen kommt es nun doch zu Blau-Schwarz. Einerseits gibt es viele
       inhaltliche Überschneidungen, vor allem bei den Themen Migration und
       Integration. Auch der einflussreiche wirtschaftsnahe Flügel der ÖVP würde
       lieber mit den Freiheitlichen als mit den Sozialdemokraten regieren, die
       unter Andreas Babler dezidiert links positioniert sind. Für eine
       Zusammenarbeit mit der FPÖ müsste möglicherweise ÖVP-Chef Karl Nehammer,
       derzeit noch Kanzler, gehen. Auch den Kanzlerposten würde die sehr
       machtbewusste ÖVP zu ihrem Leidwesen dann verlieren.
       
       Eine gewichtige Rolle wird nun Bundespräsident Alexander Van der Bellen
       zukommen. Auch wenn seine Rolle bei Regierungsverhandlungen eher
       symbolischer Natur ist, hat sein Wort doch Gewicht. An ihm würde es auch
       liegen, ob er FPÖ-Chef Herbert Kickl zum Kanzler macht.
       
       Viel hängt nun von der ÖVP ab, ohne die eine Regierung, egal welche, nicht
       zustande kommen wird. Wenn sich der durchaus laute Flügel innerhalb der
       Konservativen durchsetzt, der mit der FPÖ zusammengehen will, wird Kickl
       Kanzler. Dann droht eine autoritäre Wende, vor der auch Meinl-Reisinger in
       ihrer Erklärung zum Ausstieg der Neos aus den Regierungsverhandlungen
       warnte. So oder so: Es bleibt spannend in Österreich.
       
       3 Jan 2025
       
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