# taz.de -- Hans Haacke-Ausstellung in Frankfurt: Zähmung der widerspenstigen Wurst
> Hans Haacke provozierte mit politischer Intervention den Kunstbetrieb.
> Eine Retrospektive in der Frankfurter Schirn hegt ihn durch
> Historisierung ein.
IMG Bild: Baumaterial und Abfälle am Strand von Carboneras in Spanien häuft Hans Haacke 1970 zum „Denkmal der Strandverschmutzung“
„Die Institutionskritik ist tot, lang lebe die Institutionskritik!“ scheint
sich die Kunsthalle Schirn auf die Fahnen geschrieben zu haben und erhebt
damit den Revolutionär erst zum König, bevor sie ihn einbalsamiert ins
Mausoleum verbannt. Solch kaustische Gedanken kamen mir zumindest in den
Sinn, als ich nach dem Besuch der Hans-Haacke-Retrospektive vor der Liste
illustrer Sponsorenfirmen im Museumsfoyer saß.
Aber der Reihe nach: Haacke, geboren 1936 in Köln und seit 1965 in New York
lebend, ist zweifellos einer der wichtigsten Gegenwartskünstler, denn mit
Haacke entwickelt die Kunst eine Kritik ihrer eigenen systemischen
Bedingungen. Die Schirn feiert ihn gar als „[1][Legende der politischen
Konzeptkunst]“.
Den Ausstellungsbesucher*innen begegnet Haacke zunächst als Urheber
kinetischer Skulpturen, die sich der Formen des [2][amerikanischen
Minimalismus] bedienen, dessen Tendenz zur erhabenen Objekthaftigkeit aber
aufbrechen.
## Große Kondensationswürfel
So zum Beispiel der „Große Kondensationswürfel“ von 1963 bis 1967 aus
Plexiglas, in dessen Innern eine kleine Menge Wasser fortwährend ihren
Aggregatzustand ändert. Der Rhythmus von Kondensation und Verdunstung sowie
das Muster der Laufspuren wandeln sich mit Lichteinfall und Raumklima,
werden also auch von der eigenen Anwesenheit beeinflusst.
Man beobachtet demnach einen im Vakuum stattfindenden Prozess, auf den man
als Außenstehende:r dennoch eine Wirkung hat – eine pointierte
Metapher für den kritischen Standpunkt, den Haacke in späteren Arbeiten
einnimmt.
In einem schmalen Nebenraum spielt der selten gezeigte Film „Selbstporträt
eines deutschen Künstlers in New York“ aus dem Jahr 1969, der Haacke und
eine Gesprächspartnerin [3][auf dem Weg von Manhattan] bis zum Strand von
[4][Coney Island] begleitet.
## Hotdogs essen
Aufnahmen von der U-Bahn, dem geschäftigen Treiben in einer Metzgerei und
Hotdog essenden Ausflügler*innen wechseln sich mit Close-ups von
Haackes Skulpturen ab, in denen Wasser durch durchsichtige Rohre fließt
oder ein weißer Ballon im künstlich erzeugten Luftstrom tanzt.
In der Gegenüberstellung von chaotischer Lebendigkeit und kontrolliertem
System streben beide Pole aufeinander zu, als sei nicht nur das
Straßennetz, sondern auch der Wurstgenuss Teil eines größeren Gefüges.
Haackes Skulpturen in diesem städtischen Kontext zu sehen, schärft den
Blick auf sein Werk der 1960er-Jahre auf erhellende wie humorvolle Weise.
Dass die Schirn den Film dennoch in einer kleinen Kammer und von den
Skulpturen isoliert zeigt, ist beispielhaft für den Hang der Kuration,
seine Arbeiten einfalls- und kontextlos aneinanderzureihen.
## Nullbezug zu ZERO?
Zum Beispiel erfährt man so gut wie nichts über seine Weggefährt*innen,
Lehrer*innen und Förder*innen, was vor allem in Bezug auf Verbindungen
zu westdeutschen Kunstbewegungen wie ZERO von Interesse gewesen wäre.
In den folgenden Räumen sind vor allem Haackes institutionskritische
Arbeiten zu sehen. Die 1972 entstandene „Rheinwasseraufbereitungsanlage“
ist das Scharnier, das sein Interesse an natürlichen Systemen mit der
politischen Stoßrichtung seiner späteren Interventionen verbindet. Für eine
Ausstellung in Krefeld hatte Haacke Strategien entwickelt, um die
Verschmutzung von Flusswasser nicht nur sichtbar zu machen, sondern auch zu
verbessern.
Fragwürdige Umstände arbeitet er auch in „Shapolsky et al.
Manhattan-Immobilienbesitz – Ein gesellschaftliches Realzeitsystem, Stand
1.5.1971“ heraus, eine nüchterne Dokumentation über Geldwäschepraktiken
eines Immobilienunternehmers. Sie war einst der Grund für die Absage einer
geplanten Einzelausstellung im New Yorker Guggenheim Museum.
## Peinliche Blöße
Wie auch in späteren Werken verweigerte Haacke sich hier allzu großer
ästhetischer Raffinesse, als wolle er dem geldgesteuerten System „Kunst“
eine peinliche Blöße geben, indem er nichts verschleiert. Diese
Unmissverständlichkeit mag man ihm zum Vorwurf machen. Allerdings steckt
genau darin die Aufmüpfigkeit, mit der Haacke die Institutionen des
Kunstsystems im Lauf seiner Karriere immer wieder in die
Verteidigungshaltung der Entlarvten gebracht hat.
Und komisch ist er dabei auch: „Der Pralinenmeister“ von 1981 widmet sich
auf goldgeränderten Postern dem Kölner Unternehmerpaar Peter und Irene
Ludwig, Namensgeber*innen [5][des Museums Ludwig, die ihre
Kunstsammlung] mit Einnahmen aus der Produktion von Schogetten und
Aero-Schokolade finanzierten. Die süßen Freuden der Wirtschaftswunderjahre
in der Bundesrepublik stehen also in unmittelbarer Verbindung zur größten
europäischen Sammlung mondäner Pop-Art.
In der Schirn entfalten sich diese kritischen Einschnitte allerdings einzig
in der Vergangenheit. Der berüchtigte „MoMa Poll“ von 1970, der
Ausstellungsbesucher*innen nach ihrer Meinung zum republikanischen
Gouverneur und Museumspatron Nelson Rockefeller fragte, erfährt jetzt als
„Frankfurt Poll“ eine Reinkarnation, nun allerdings mit zahmen Fragen zur
Demografie und politischen Haltung der Museumsbesucher*innen.
Sicherlich ist die Lage mittlerweile eine andere, und Haackes ehemals von
den Museen abgelehnte Arbeiten sind nunmehr in deren Besitz. Gerade vor
diesem Hintergrund muss man von einer Retrospektive allerdings erwarten,
die zukunftsweisenden Möglichkeiten eines Lebenswerks offenzuhalten, statt
dessen Sprengkraft zu zähmen, indem man die darin angestoßenen Prozesse zu
Artefakten macht.
28 Jan 2025
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## AUTOREN
DIR Luise Mörke
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