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       # taz.de -- Judenhass im Kunstbetrieb: Weitgehend ohne Konsequenzen
       
       > Nach dem Angriff der Hamas auf Israel brach auch in der Kultur der
       > Antisemitismus durch. Der Sammelband „Judenhass im Kunstbetrieb“ klärt
       > auf.
       
   IMG Bild: Jüdische Menschen in Deutschland brauchen Schutz
       
       „Jedes Mal, wenn ich Personen aus dem Literaturbetrieb mit Antisemitismus
       konfrontiert habe, wurde entweder abgewiegelt oder wütend reagiert, das
       Problem wurde immer auf meiner Seite gesehen, ich wurde als Verleumderin
       betrachtet“, schreibt die Schriftstellerin Dana von Suffrin im Band
       „Judenhass im Kunstbetrieb“, der im Neofelis Verlag erschienen ist. Er
       versammelt sieben Beiträge zu den Reaktionen des Kunstbetriebs auf das
       Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023, denen ein übergreifender Text des
       Herausgebers Matthias Naumann voransteht.
       
       Die Beiträge thematisieren das Schweigen unmittelbar nach dem Massaker. Sie
       zeigen, von wem der durch dieses Schweigen eröffnete Raum gefüllt wurde: Es
       „waren nicht nur auf der Sonnenallee in Berlin, wo das Massaker Feiernde
       Süßigkeiten verteilten, sondern auch im Kulturbetrieb diejenigen bereit,
       die auf diesen Moment nur gewartet zu haben schienen“, schreibt Naumann.
       
       Die Beitragenden berichten eindrucksvoll von den antisemitischen Reaktionen
       auf den 7. Oktober und vom Umgang mit diesen in der jeweiligen
       künstlerischen Disziplin: Der Band enthält Beiträge zu Literatur, bildender
       Kunst, [1][Popmusik], Theater, zeitgenössischem Tanz, zur Filmbranche, zu
       Comic und Karikatur und zur Ebene von Kulturinstitutionen und -politik.
       
       ## Ein genaues Bild der beschämenden Situation
       
       Dabei nehmen die Beiträge unterschiedliche Perspektiven ein: Während Dana
       von Suffrin von persönlichen Erfahrungen im Literaturbetrieb berichtet,
       nimmt Lea Wohl von Haselberg die Rolle von Filmfestivals als Arbeitgeber in
       den Blick. Esther Slevogt blickt auf die Rolle der Theater und Ole Frahm
       zeigt in der vergleichenden Auseinandersetzung mit Karikaturen und Comics,
       wie unterschiedlich der künstlerische Bezug auf den Holocaust im Kontext
       des 7. Oktober ausfallen kann.
       
       Besonders stark sind die Beiträge immer dann, wenn sie von den Erfahrungen
       jüdischer und israelischer Künstler:innen im Betrieb berichten. Sätze
       wie der eingangs zitierte finden sich in fast allen Beiträgen.
       
       So ergeben sich Gemeinsamkeiten, die ein genaues Bild von der beschämenden
       Situation vermitteln, in der sich jüdische und israelische
       Künstler:innen befinden. Immer wieder wird von der verdrehten Sicht
       berichtet, nach der vielen im Kunstbetrieb nicht der Antisemitismus als
       Problem gilt, sondern der Antisemitismusvorwurf, eine angebliche
       „zionistische Cancel Culture“, die Kunst- und Meinungsfreiheit bedrohe. Von
       ihr sehen sich freilich vor allem diejenigen verfolgt, die den Boykott
       israelischer Künstler:innen fordern, weil diese Israelis sind.
       
       ## Der stille Boykott greift
       
       Entgegen der Behauptung bleibt Antisemitismus im Kunstbetrieb „nicht nur
       für antisemitische Einzeltäter*innen, sondern auch allgemeiner für das
       (kultur-)politische Handeln“ weitestgehend ohne Konsequenz, wie Dana von
       Suffrin und Jonathan Guggenberger konstatieren.
       
       Die Konsequenzen tragen derweil – auch das zieht sich durch den Band –
       jüdische und israelische Künstler:innen. Sie werden, jenseits der Skandale,
       von „stillen Boykotten“ getroffen. Zwar lasse sich deren genaues Ausmaß,
       wie mehrfach betont wird, nur durch nachträgliche Auswertungen von
       Kulturprogrammen bestimmen, die zahlreichen im Band geschilderten
       Einzelfälle aber machen deutlich: Das Problem ist real und eine Reaktion
       von Kulturpolitik wie -institutionen dringend nötig.
       
       [2][Gerade Letztere aber tragen vielfach eine Mitverantwortung für die
       gegenwärtige Situation.] Esther Slevogt etwa erinnert daran, dass schon
       2020 die von zahlreichen Vertretern führender Kulturinstitutionen
       unterschriebene [3][„Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“] das Problem lieber
       im Vorwurf des Antisemitismus sehen wollte statt im auch da schon
       virulenten Antisemitismus. Sie fragt rückblickend, „warum eigentlich der
       BDS-Beschluss des Deutschen Bundestags keine Debatte über Antisemitismus
       ausgelöst hat, statt sich diese Debatte lautstark zu verbitten. Die Politik
       sah damals ja offenbar schon Handlungsbedarf, gegen Antisemitismus
       anzutreten.“ Man kann nur hoffen, dass dieser Band dazu beiträgt, damit
       diese Debatte endlich geführt wird.
       
       24 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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