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       # taz.de -- Scheiternde Neuanfänge: Weder trocken noch radikal
       
       > Der Januar ist als Monat der radikalen Läuterung überschätzt. Denn was
       > als pompös angekündigter Reset startet, landet oft genug als
       > Bettvorleger.
       
   IMG Bild: Nach der Party ist noch lange kein Dry-January
       
       Traurig tröpfelt der Januar seinem Ende entgegen. Es regnet, statt zu
       schneien, und die Euphorie des Neuanfangs hat der alten Gewohnheit wieder
       den Vortritt gelassen. Vorbei ist der Januar aber immer noch nicht, er
       zieht sich mal wieder.
       
       Der Januar ist der Monat des scheiternden Neuanfangs, zumindest was Körper
       und Gesundheit betrifft. Man könnte den Januar also Januar sein lassen und
       auf den Februar hoffen. Der Februar aber ist das schlimmste, was das Jahr
       zu bieten hat – auch wenn das [1][New Yorker-Cover 2018] dem Januar und der
       Schriftsteller T. S. Eliot mit seinem Roman „Das öde Land“ dem April als
       jeweils grausamste Monate ihre Mahnmale errichteten.
       
       Im Januar füllen immerhin Neuanfänge und Neujahrsempfänge die to-do-lists,
       im Februar hingegen herrscht totaler Stillstand. Niemand spricht mehr über
       gute Vorsätze, wer die bis jetzt nicht geschafft hat, schafft sowieso
       nichts mehr. Dass die Bundestagswahlen den Februar 2025 bestimmen werden,
       ist eine Ausnahme.
       
       Neulich erzählte ein Kollege von dem guten Jahresvorsatz seiner Freundin.
       Die hatte beschlossen, im Januar mit etwas anzufangen, was sie noch nie
       gemacht hatte: Rauchen. Sie setzte den Vorsatz in die Tat um, zog ihn lange
       durch. Doch so wie viele Dry-Januarist*innen und
       Probemonatsabsolvent*innen in den Fitnessstudios wurde auch die
       Freundin des Kollegen im Laufe des langen Januar zur Abbrecher*in.
       
       ## Den Körper ruinieren und daran scheitern
       
       Nun aber ist die Kolumne fast zur Hälfte durch und es ist immer noch
       Januar. Kurz vor seinem Ende macht die Grüne Ricarda Lang in einem
       [2][Zeit-Interview] öffentlich, dass sie es geschafft hat, stark abzunehmen
       und sich besser fühlt, was allen Otto Normalabbrecher*innen den
       Januar 2025 nochmal so richtig verhageln dürfte.
       
       Warum also für die letzten Januartage nicht die Idee der Kollegenfreundin
       aufgreifen: den Körper ruinieren und daran scheitern. Statt drei Wochen
       Schnupperkurs Jiu Jitsu, dreimal die Woche an der Schnapsflasche
       schnuppern. Statt auf irgendwas zu verzichten, jeden Tag im
       Schlemmerparadies vorbeischauen. Statt Leber, Lunge und Lust eine Auszeit
       zu gönnen, jeden verbleibenden Januarabend so begehen, als gäbe es kein
       Morgenfrüh.
       
       Ob es einem besser geht, weil man an Hedonismus und Genuss scheitert und
       nicht am Verzicht, wäre dann zu prüfen.
       
       Der Wunsch, den ewiggleichen Jahresablauf mal zu durchbrechen, ist ein eher
       leiser. Lauter hingegen ist derzeit das Bedürfnis nach einer Neuordnung des
       politischen Betriebs. Superreiche, Großbetrüger und rechte Aufpeitscher
       sind die neuen Hoffnungsträger einer politischen Radikalkur.
       
       ## Der politische Jojo-Effekt wird auch Rechtspopulisten einholen
       
       Aber Obacht, auch dieser vermeintliche Reset, Neustart, Golden Age, den
       Musk, Milei, Merz oder Trump versprechen, wird [3][seinen Januar erleben.]
       Auch diese vermeintlichen Neuanfänge werden scheitern, so wie jede
       Radikalkur. Politische Bewegungen, die Tabula rasa im Namen der „Freiheit“
       machen, enden im Terror. Sicher, jede Radikalkur hat auch positive Effekte:
       Wer nach zwei Wochen alkoholfrei besser schlafen kann, wird es wieder tun
       wollen. Deswegen aber gleich jedem den Alkoholgenuss zu verbieten, hat mit
       Freiheit nichts zu tun.
       
       Der politische Jojo-Effekt wird auch die Radikalkurvertreter des
       Rechtspopulismus einholen. Allein ihr Versprechen, durch die Abschaffung
       illegaler Migration Wohlstand und Sicherheit „wiederherzustellen“, ist
       [4][zum Scheitern verurteilt]. Die Geschwindigkeit, mit der Trump seine
       Maßnahmen umsetze, sei „very inspiring“, sagt ein Unternehmer in Davos.
       Meine Fresse, liebe Unternehmer*innen, selbst in der Gebrauchsanweisung von
       Ozempic heißt es doch: Ernährungsgewohnheiten umstellen und mehr
       bewegen.
       
       Es gibt keine Radikalkur, die gesünder machen würde. Auch nicht politisch.
       Das lehrt der Januar.
       
       24 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.newyorker.com/magazine/2018/01/29
   DIR [2] https://www.zeit.de/zeit-magazin/2025/04/ricarda-lang-gruene-hass-netz-koerperbild
   DIR [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_XVI.
   DIR [4] /Morde-von-Aschaffenburg/!6059650
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Doris Akrap
       
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