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       # taz.de -- Demokratie in Rumänien: Es könnte kippen
       
       > Die Präsidentschaftswahl wurde wegen russischer Einflussnahme annulliert.
       > Rechtsextreme wittern einen Komplott, Fortschrittliche den Faschismus.
       
   IMG Bild: Sie wollen den rechts extremen Călin Georgescu: Proteste gegen die Annullierung der Präsident schaftswahl am 10. Januar in Bukares
       
       Bukarest taz | Für einen kurzen Moment wird Irina Ilisei emotional. Als sie
       davon erzählt, wie sie im November hörte, dass der Rechtsextremist Călin
       Georgescu die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Rumänien gewonnen
       hat, sieht man ihr an, wie sehr sie dieses Thema bis heute mitnimmt. Ilisei
       war auf dem Weg zu einer Konferenz in Neapel, so erinnert sie sich. Die
       39-Jährige gehört zu den international vernetzten Akademiker*innen, die
       wohl überall arbeiten könnten, aber die es doch immer wieder zurück in die
       Hauptstadt Bukarest zieht. „Ich habe damals kurz überlegt, ob ich weiter in
       Rumänien leben kann“, sagt sie. „Ich war geschockt.“
       
       An einem ungewöhnlich milden Tag Ende Dezember sitzt Ilisei in einem Café
       unweit der Bukarester Altstadt. Hier gibt es Hipster mit Laptops, Pumpkin
       Pie und Flat White. Man wird gefragt, ob es Kuh- oder Hafermilch sein soll
       – ähnliches Ambiente wie in Berlin und ähnliche Preise. Ilisei hat ein
       Diplom in Soziologie, einen Master in Gender- und Minderheitenpolitik und
       eine Promotion, in der sie die Teilhabemöglichkeiten der Roma an höherer
       Bildung untersuchte. Stationen ihres Studiums führten sie nach Stuttgart,
       Mannheim, Bukarest und Budapest. Als Aktivistin für Feminismus und die
       Rechte der Roma ist ihr Name in Rumänien nicht unbekannt. Sie steht für
       alles, was Rechte hassen. Und genau das macht ihr Sorgen.
       
       Ilisei fühlt sich an eine Zeit vor rund zwei Jahren erinnert, als sie schon
       einmal den Hass der Rechten spürte, genauer: an den 6. Dezember 2022. Sie
       weiß das Datum deshalb noch so genau, weil die Ereignisse für sie so
       einschneidend waren.
       
       Damals verfasste sie mit ein paar Mitstreiter*innen eine Handreichung
       für Lehrer*innen. Gerade einmal 200 Exemplare seien gedruckt worden, um
       diversere Bildung sei es gegangen, um Vorschläge für mehr weibliche
       Autor*innen im Rumänischunterricht, um Geschlechtergerechtigkeit,
       Stereotype und Diskriminierung. „Das Thema LGBTQ kam nur selten vor, es war
       nicht mehr als ein Randaspekt“, sagt sie. Doch das Heft sorgte für Aufruhr.
       Infoveranstaltungen wurden von Protestierenden gestört, aufgestachelt durch
       eine rechte Elternvereinigung, die ein traditionelles Familienbild in
       Gefahr sah. Der letzte Auftritt von Ilisei in Bukarest an jenem 6. Dezember
       konnte nur unter Bewachung durch Sicherheitskräfte stattfinden.
       
       ## Überraschender Sieg eines Rechtsextremisten
       
       „Ich habe mich damals persönlich unsicher gefühlt, und dieses Gefühl kam
       nach Georgescus Sieg wieder hoch“, sagt Ilisei. „Mir wurde klar, dass der
       ganze Fortschritt, den wir bei Menschenrechten und sozialer Inklusion im
       Zuge der EU-Integration in Rumänien erreicht haben, in ein paar Wochen
       zunichte gemacht werden könnte.“
       
       Georgescu, der Rechtsextremist, hatte sich im November in der ersten Runde
       der Präsidentschaftswahl überraschend als parteiloser Einzelbewerber
       [1][gegen 13 Kandidat*innen durchgesetzt]. Er überholte auch George
       Simion, den Anführer der rechtsextremen Partei AUR, die seit ihrer Gründung
       2019 im Aufwind war.
       
       Das war ein Schock innerhalb des Landes für die EU-freundliche Mehrheit und
       die engagierte Zivilgesellschaft – für Romaaktivist*innen,
       Vertreter*innen der Minderheiten und in den jüdischen Gemeinden, für
       Antifaschist*innen und Queers – sowie außerhalb Rumäniens in den
       Nachbarstaaten und bei Bündnispartnern: In dem Land mit rund 600 Kilometern
       Grenzverlauf zur Ukraine bestimmt der Präsident unter anderem die Außen-
       und Verteidigungspolitik. Schon vor der Wahl hatte [2][Georgescu
       Rumäniens Rolle in der EU und Nato kritisiert]. Er will die Militärhilfe
       für die Ukraine einstellen, betont [3][reaktionäre Familienwerte und
       orthodoxes Christentum, leugnet den menschengemachten Klimawandel und
       verbreitet Verschwörungstheorien. Er findet Lob für Putin und erklärte
       antisemitische Protagonisten des rumänischen Faschismus aus der Zeit vor
       1945 zu Helden].
       
       Doch Georgescus Wahlsieg war nur der Anfang einer Kaskade an
       Katastrophenmeldungen, die Rumäniens Demokratie seitdem erschüttern.
       
       [4][Zwei Tage vor der Stichwahl zwischen Georgescu und Elena Lasconi, der
       neoliberalen Zweitplatzierten der Mitte-rechts-Partei USR, entschied das
       rumänische Verfassungsgericht, die Wahl zu annullieren.] Das Gericht
       begründete diese Entscheidung mit Geheimdiensterkenntnissen über eine
       massive Beeinflussung des Wahlkampfs durch Russland: [5][Eine Armee an Bots
       soll demnach auf der Social-Media-Plattform Tiktok tausendfach für den
       Rechtsextremisten geworben haben]. Dieser streitet die Vorwürfe bis heute
       ab, ebenso Russland.
       
       ## Viele verlieren das Vertrauen in die Demokratie
       
       Dann, Ende Dezember, folgte die nächste Meldung: [6][Laut einer Recherche
       des Portals Snoop.ro soll eine Kampagne auf Tiktok, die eigentlich von der
       liberalen Partei PNL bezahlt war, tatsächlich für Georgescu geworben
       haben]. Entweder wurde die PNL-Kampagne von Unbekannten „gekapert“, wie die
       Partei offiziell beteuert, oder Parteistrategen erhofften sich einen
       Vorteil davon, dem damals aussichtsreicheren rechten Kandidaten Simion
       Stimmen zu klauen.
       
       Hört man sich auf der Straße um, sprechen viele Menschen darüber, dass sie
       dabei sind, das Vertrauen in die Demokratie zu verlieren. Seit knapp
       zweieinhalb Monaten kommt das Land nicht zur Ruhe. Zunächst demonstrierten
       Tausende aus der proeuropäischen Mehrheit gegen den Rechtsruck, dann
       protestierten die Rechten gegen die Absage der Wahl.
       
       [7][Erst Mitte Januar zogen Zehntausende Anhänger Georgescus durch die
       Hauptstadt. Mit Tröten und einem Meer aus Nationalfahnen] forderten sie die
       Rücknahme der Annullierung und den Rücktritt des amtierenden Präsidenten
       Klaus Iohannis. Dessen Amtszeit endete offiziell am 21. Dezember. Manche
       trugen Holzkreuze vor sich her, andere vergoldete Rahmen mit Ikonenbildern
       oder Plakate mit der Aufschrift „Demokratie ist nicht optional“. Angemeldet
       wurde die Demo von der rechtsextremen Partei AUR. Deren Anführer George
       Simion diktiert an jenem Tag der Presse seine Sicht der Dinge in die
       Mikrofone und nennt die Gerichtsentscheidung einen „Staatsstreich“ – ein
       Wort, das derzeit vielen Rumänen auf der Zunge liegt.
       
       Auch Constantin Ciobanu sieht das so. An einem Abend Ende Dezember posiert
       er am zentralen Bulevardul Nicolae Bălcescu vor dem Bukarester
       Nationaltheater. „Erwache, Rumäne“ scheppert aus zwei batteriebetriebenen
       Lautsprechern vor seinen Füßen – die Nationalhymne. Ciobanu steht stramm,
       verzieht keine Miene und schaut auf die gegenüberliegende Geografische
       Fakultät der Universität Bukarest. Eine Frau im Pelzmantel schlendert
       vorbei, verlangsamt kurz ihren Schritt, nickt und zieht von dannen.
       
       Mit einer Mitstreiterin protestiert Ciobanu in dieser Woche an fast jedem
       Abend hier, eine Zweipersonendemo, mal vor dem Nationaltheater, mal 15
       Gehminuten entfernt die Straße hinunter am großen Kreisel der Piața Romană.
       Ein Flugblatt verzeichnet alle weiteren Termine bis Mitte Februar. Er
       arbeite in der IT-Branche und könne sich das leisten, erklärt er, „es geht
       mir gut“. Auf mehr als einem Dutzend Plakataufstellern, jeweils links und
       rechts mit rumänischer Fahne geschmückt, versammelt Ciobanu seine
       Forderungen: „Treten Sie zurück, Mr Volodymyr Zelenskyy!“, „Unsere Kinder
       sind keine Versuchskaninchen für Big Pharma“ und „Wir verteidigen das
       Konzept der traditionellen Familie“.
       
       ## Nationalhymne in Dauerschleife
       
       In Deutschland würde man ihn wohl als eine Art „Querdenker“ bezeichnen, als
       lunatic fringe, wie man sie aus vielen Städten kennt: Friedensmahnwache,
       russlandfreundlich, irgendwas mit Corona und Impfungen. In Rumänien haben
       Leute wie Ciobanu nun aber mit Georgescu einen Kandidaten, der die erste
       Runde der Präsidentschaftswahl gewann.
       
       Nach etwa zwei Minuten beugt Ciobanu sich herunter, drückt einen Knopf und
       beendet die Wiedergabe der Nationalhymne. Jetzt ist er nicht mehr zu
       halten. In zwei Mikrofone gleichzeitig, eines für jeden Lautsprecher,
       schmettert er seine Parolen. „Wir Rumänen wünschen uns Frieden: Frieden in
       Gaza, Frieden in der Ukraine!“ Seine Stimme wirkt dabei verzerrt und ist
       mit künstlichem Hall unterlegt.
       
       Selbstverständlich unterstütze er Călin Georgescu, sagt Ciobanu. „Der ist
       nicht für Putin, sondern will verhandeln.“ Hier, an diesem Platz, habe er
       schon während der Revolution von 1989 gestanden, habe Barrikaden errichtet
       gegen den stalinistischen Diktator Nicolae Ceaușescu. „Ich habe mein Leben
       für die Freiheit riskiert, die will ich mir nun nicht nehmen lassen.“ Die
       Präsidentschaftswahl sei auf Anweisung der USA annulliert worden, erklärt
       er und hört nun gar nicht mehr auf.
       
       Die LGBTQIA+-Bewegung sei „vom Okzident“ nach Rumänien geschwappt. Er
       spricht von „Globalisten“ und angeblicher Manipulation durch die
       Massenmedien. Informieren könne man sich nur noch über Realitatea. Dieser
       Sender ist dafür berüchtigt, Verschwörungstheorien und Desinformation zu
       verbreiten und Georgescu zu unterstützen.
       
       Ciobanu, der in weißem Hoodie und weißem Tommy-Hilfiger-Cap seine
       Schlagwörter abspult, belegt mit seinen Parolen, wie sich der rhetorische
       Baukasten rechtsextremer Ideologie international vereinheitlicht hat:
       Angepasst an regionale Diskurse, tauchen die immer gleichen
       antisemitischen, rassistischen oder antifeministischen Tropen auf. Sie
       paaren sich mit Verschwörungsglaube und Angriffen auf die universellen
       Menschenrechte, getarnt als Ablehnung westlicher Dominanz.
       
       ## Im Kampf gegen die queere Community
       
       Vor dem Nationaltheater bekommt Ciobanu viel Zuspruch: Die Leute nehmen
       Flugblätter oder rumänische Fähnchen mit und fotografieren sich vor seinen
       Protestplakaten. Rechtsextreme Parteien haben [8][bei der Parlamentswahl am
       1. Dezember zusammen über 30 Prozent der Wähler*innenstimmen
       erreicht,] Georgescu kam bei der Wahl zuvor auf 23 Prozent.
       
       Irina Ilisei ist fassungslos, wenn sie über die Wahlergebnisse nachdenkt.
       Sie berühren sie als Aktivistin, aber beschäftigen sie auch als
       Wissenschaftlerin. „Ich konnte nicht glauben, dass ein so großer Anteil der
       Bevölkerung einen Menschen wählt, der tatsächlich ein misogynes Weltbild
       vertritt und beispielsweise meint, Frauen sollten nicht die gleichen Jobs
       machen dürfen wie Männer.“
       
       [9][Auswertungen] zeigen, dass Georgescu in den ländlichen und vor allem
       suburbanen Gebieten größere Zustimmung erhielt. [10][Gleichzeitig erzielte
       Georgescu laut Analysten Erfolge bei jungen Wähler*innen.] Videos auf
       Tiktok sprachen junge Männer an. Es ist eine Bubble, die einen
       chauvinistischen Fitnesskult pflegt und etwa [11][dem frauenverachtenden
       Influencer und Zuhälter Andrew Tate] folgt. Seit 2016 lebt dieser in
       Rumänien, hat mehr als zehn Millionen Follower auf der Plattform X,
       Kontakte zu weltweit agierenden rechtsextremen Figuren wie zur
       organisierten Kriminalität. Dieser Tage verkündete der deutsche
       AfD-Politiker Maximilian Krah an, sich mit ihm treffen zu wollen. In
       Rumänien sind Tate und sein Bruder unter anderem wegen Kinderhandels,
       sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und Geldwäsche angeklagt, in
       Großbritannien zudem wegen Vergewaltigung und Steuerhinterziehung.
       
       Auf [12][Tiktok] habe es vor der Wahl sehr unterschiedliche Ansprachen der
       Nutzer*innen durch Georgescu gegeben, erklärt Ilisei. Nicht allen sei
       beispielsweise direkt LGBTQIA+-feindliche Propaganda angezeigt worden. Dass
       sich bei Anhängern wie Ciobanu die Themen aber wild mischten, wundert sie
       nicht. Seit der Coronapandemie habe sich die Szene der
       Impfkritiker*innen und Virusleugner*innen auch in Rumänien neu
       formiert und anderen Themen zugewandt, etwa dem Schutz der vermeintlich
       traditionellen Familie, verbunden mit einem Kampf gegen die queere
       Community.
       
       ## Ein Viertel der Bevölkerung hat kein fließendes Wasser
       
       Dass im November sowohl Georgescu wie die Zweitplatzierte Elena Lasconi
       Erfolg hatten, scheint zudem kein Zufall. Beide inszenierten sich als
       Gegenentwurf zum Muff der bisherigen Regierung aus nationalliberaler PNL
       und sozialdemokratischer PSD, deren Vertreter*innen viele als korrupte
       Machtelite betrachten. Rumänien hat sich in den letzten Jahren
       gesellschaftlich und wirtschaftlich stark entwickelt. Gleichzeitig gilt das
       Land weiterhin als eines der ärmsten der EU, und beispielsweise
       [13][gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden immer noch nicht
       anerkannt.] Insbesondere auf dem Land vermissen Menschen eine Umsetzung
       politischer Versprechen.
       
       Die soziale Spreizung in dem Land ist enorm. Während man in der IT-Branche
       von Bukarest mittlere vierstellige Eurobeträge verdienen kann, lag [14][das
       Durchschnittsnettoeinkommen in Rumänien 2023 für Familien mit zwei Kindern
       und einer verdienenden Person bei umgerechnet knapp 1.000 Euro] monatlich
       und ist in der Landwirtschaft noch geringer. [15][Ein Viertel der
       Bevölkerung hat kein fließendes Wasser, vor allem] auf dem Land. „Es gibt
       nach wie vor auch eine starke Korrelation zwischen Armut und der
       Zugehörigkeit zur Romaminderheit“, erklärt Ilisei. Diese treffe ein
       Teufelskreis tradierter Diskriminierungen. Auch einige Roma hätten
       Georgescu gewählt. „Er inszenierte sich als unabhängig, wie ein Retter“,
       sagt sie, „mit traditionellen Familienwerten und klarer Orientierung.“
       Menschen, die am Rand der Städte seit Jahren darauf warteten, dass auch in
       ihren Vierteln die Straßen befestigt würden, hätte das angesprochen.
       
       Einen Abend nachdem Ciobanu den Platz vor dem Nationaltheater mit seinen
       Mikrofonen beschallt hat, bücken sich 50 Meter weiter zwei junge Männer an
       einer Kreuzung. Sie sehen sportlich aus. Der jüngere, etwa 20-jährig, trägt
       einen schwarzen Pullover, eine Cargohose und Militärstiefel, der ältere
       Jeans, Sneaker und eine schwarze dünne Allwetterjacke. Schon von Weitem
       riecht es nach Lösungsmitteln.
       
       ## Rechtsextreme Sprayer stören niemanden
       
       Der Mann in Jeans hält eine Stencilschablone auf den Boden und drückt auf
       eine Spraydose. „Gehen sie langsam und mit Respekt, hier starben Menschen
       für die Freiheit“, sprüht er in roter Farbe auf den Zebrastreifen. Weder
       den Wachmann direkt daneben noch die vorbeischlendernden Passanten scheint
       die Aktion zu stören. „Wir erinnern an die Kämpfe vor 35 Jahren an genau
       dieser Stelle“, erklärt der Mann. Wie Ciobanu bezieht er sich auf die
       antistalinistische Revolution gegen den Diktator Ceaușescu, die sich hier
       am Bulevardul Nicolae Bălcescu vor 35 Jahren abspielte.
       
       „Ja, wir sind von Honor et Patria“, erklärt er auf Nachfrage. Honor et
       Patria heißt übersetzt Ehre und Vaterland und ist der Name einer
       rechtsextremen Gruppe von Fußballultras, die ausschließlich das rumänische
       Nationalteam unterstützen. Der Mann mit der Spraydose trägt das
       verschlungene Emblem der Gruppe als dezente Stickerei auf seiner Mütze.
       Auch George Simion, der Präsidentschaftskandidat der rechtsextremen Partei
       AUR, war früher bei Honor et Patria aktiv.
       
       Sie betrieben mit der Gruppe keine Politik, sagt der Mann, zumindest nicht
       im Sinne von Parteien und Parlamenten: „Wir machen Metapolitik.“ Weltweit
       verstehen neue Rechte unter diesem Wort ein Konzept, mit dem die Menschen
       kulturell und im vermeintlich „vorpolitischen“ Raum erobert werden sollen.
       Metapolitik zielt darauf ab, den gesamten Diskurs einer Gesellschaft nach
       rechts zu verschieben.
       
       Und die Präsidentschaftswahl? „Ein Staatsstreich“, sagt der Mann mit der
       Spraydose – auch er nutzt dieses Wort. Für ihn sei Georgescu zwar etwas
       unangenehm rübergekommen, aber letztlich hätten ihn viele Menschen gewählt,
       mehr jedenfalls als George Simion von AUR, der als Favorit der Rechten
       galt. „Georgescu verbreitet hoffnungsvolle Botschaften“, erklärt der Mann.
       Er sage nicht, welche Politik er mache, sondern Sätze wie „Wir gestalten
       die Zukunft“. Vielleicht wirke Georgescu mit den Videos, die den Menschen
       über Tiktok direkt aufs Handy gespielt werden, authentischer als Simion,
       der im Fernsehen mittlerweile neben den Politikern der anderen Parteien
       auftrete, mutmaßt der Sprayer. „Vielleicht ist Simion zu sehr Mainstream
       geworden“.
       
       Der AUR-Politiker hatte in letzter Zeit versucht, seiner Partei ein
       gemäßigteres Image zu verleihen mit realpolitischen Botschaften etwa zu
       Grundstückspreisen. „So was haben die Leute eben schon zu oft gehört, und
       nie ist etwas passiert“, erklärt der Mann. Dann verabschiedet er sich, die
       Sprayer haben noch einiges vor: Am Ende des Abends werden alle
       Zebrastreifen rund um den Platz verziert sein.
       
       ## Rechte Gruppen gewinnen an Kraft
       
       [16][Es sind Gruppen wie Honor et Patria, aber auch zahlreiche weitere
       rechtsextreme Vereinigungen], die Irina Ilisei und anderen progressiven
       Aktivist*innen in Rumänien Angst machen. Der Erfolg von Georgescu
       scheint diese Gruppen zu befeuern. Nur wenige Tage, nachdem er im November
       die [17][erste Runde der Präsidentschaftswahl] gewonnen hatte, häuften sich
       Meldungen von Drohungen gegen Menschenrechtsorganisationen und NGOs.
       
       Beispielsweise wurde die Büroadresse [18][der LGBTQIA+-Organisation MozaiQ]
       nach der Wahl auf einer rechtsextremen Seite veröffentlicht. Ein Vertreter
       der Organisation berichtet, dass daraufhin mehrere dunkel gekleidete
       Gestalten nachts das Haus ausspioniert hätten. MozaiQ registrierte in den
       zwei Wochen nach der ersten Wahlrunde zudem eine Kampagne in den sozialen
       Medien mit Tausenden homofeindlichen Posts, die die NGO dem Lager von
       Georgescu zuschreibt.
       
       Auch die Organisation [19][Roma for Democracy Romania berichtete im
       Dezember von rassistischen, romafeindlichen und antisemitischen
       Botschaften und Todesdrohungen gegen ihre Mitarbeiter*innen]. Auf
       Fotos, die ihnen zugeschickt wurden, posierten Vermummte mit Waffen und dem
       Symbol der faschistischen Legionärsbewegung von vor 1945. Dieses prangte
       auch auf den Armen mancher, die sich auf Fotos neben Georgescu ablichten
       ließen.
       
       Wiederholt werden soll die Präsidentschaftswahl nun am 4. und 18. Mai. Ob
       Georgescu da erneut antreten darf, ist noch unklar. Ruhiger wird es bis
       dahin in Rumänien vermutlich nicht. Geholfen haben die Wirren um die Wahl
       letztlich wohl vor allem dem rechtsextremen Lager.
       
       28 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1537905/umfrage/ergebnis-der-praesidentschaftswahlen-in-rumaenien-2024/
   DIR [2] https://www.politico.eu/article/romania-presidential-election-calin-georgescu-military-nato-russia/
   DIR [3] /Praesidentschaftskandidat-Clin-Georgescu/!6048338
   DIR [4] /Rechtsruck-in-Rumaenien/!6055192
   DIR [5] https://www.occrp.org/en/news/calin-georgescus-romanian-presidential-campaign-boosted-by-bot-army
   DIR [6] https://snoop.ro/campania-pnl-de-pe-tiktok-ajunsa-sa-l-sustina-pe-georgescu-a-fost-ideea-lui-rares-bogdan-am-stiut-dar-de-online-nu-m-am-ocupat-eu/
   DIR [7] https://www.youtube.com/watch?v=xsIJxR8Z7gs
   DIR [8] /Rechtsruck-in-Rumaenien/!6049942
   DIR [9] https://prezenta.roaep.ro/prezidentiale24112024/pv/romania/map/?sicpv-map-highlight=winner
   DIR [10] https://www.rferl.org/a/tiktok-calin-georgescu-presidential-candidate-romania/33216735.html
   DIR [11] /Razzia-bei-Andrew-Tate/!6029823
   DIR [12] /Kommunikationswissenschaftler/!6061178
   DIR [13] https://op.europa.eu/webpub/com/factsheets/lgbti/de/
   DIR [14] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1198914/umfrage/durchschnittliches-nettoeinkommen-von-singles-und-familien-in-rumaenien-im-vergleich/
   DIR [15] https://www.gtai.de/de/trade/rumaenien/specials/rumaenien-baut-wassernetze-und-kanalisation-aus-1086880
   DIR [16] /Rechtsextremismus-in-Rumaenien/!6049771
   DIR [17] /Rechtsruck-in-Rumaenien/!6055192
   DIR [18] https://www.mozaiqlgbt.ro/
   DIR [19] https://www.dw.com/de/morddrohungen-in-rum%C3%A4nien-wir-werden-euch-erschie%C3%9Fen/a-70989155
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
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