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       # taz.de -- Christian Drosten: „Je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer werde ich“
       
       > Hatte die Coronapandemie ihren Ursprung in der Natur oder im Labor?
       > Virologe Christian Drosten ist überzeugt: China könnte für Klarheit
       > sorgen.
       
   IMG Bild: Christian Drosten im Januar 2025 in einem Labor der Charité
       
       taz: Es war gar nicht so einfach, Sie von einem Interview zu überzeugen,
       Herr Drosten. 
       
       Christian Drosten: Es gibt so diese Standardinterviews im Moment: Fünf
       Jahre Pandemie und was haben wir gelernt … Es ist mir wichtig, dass ein
       Zeitungsinterview darüber hinausgeht.
       
       taz: Dann versuchen wir das mal. Es gibt ein interessantes Paradoxon im
       Umgang mit gefährlichen Viren. Und das fängt so an: 2011 gab es eine große
       Debatte um das gefährlichste Virus, das jemals in einem Labor erzeugt wurde
       … 
       
       Drosten: … Sie meinen die Forschung meiner Kollegen Ron Fouchier und Yoshi
       Kawaoka.
       
       taz: Genau. Die New York Times hat damals von einem „technisch
       herbeigeführtem Weltuntergang“ geschrieben. Es hieß zunächst, das im Labor
       erzeugte Vogelgrippevirus sei zu 60 Prozent tödlich und könne über die Luft
       übertragen werden. 
       
       Drosten: Die Forschungsfrage war damals: Wie schnell können H5N1-, also
       Vogelgrippeviren, gefährlich werden für den Menschen? Ron Fouchier und sein
       Team haben verschiedene Mutationen, die bereits in der Natur vorkamen, im
       Labor kombiniert und auf Frettchen angepasst. Frettchen sind repräsentativ
       für die menschlichen Atemwege. Nach ein paar Anpassungsschritten entstand
       ein Virus, das tatsächlich über die Luft zwischen Säugetieren übertragbar
       war. Ron Fouchier hat das damals in einem wissenschaftlichen Meeting als
       das vielleicht gefährlichste Virus, das je in einem Labor untersucht wurde,
       bezeichnet. Das führte dann zu einer zugespitzten Debatte in der
       Öffentlichkeit.
       
       taz: Die Publikation der Studienergebnisse wurde zurückgehalten, es gab ein
       Moratorium für diese Art von Forschung. 
       
       Drosten: Diese Diskussion wurde sehr breit geführt, ja.
       
       taz: Inzwischen zirkuliert das natürliche Vogelgrippevirus in den USA bei
       Milchkühen – ohne dass darüber so erhitzt in der Öffentlichkeit debattiert
       wird. Ist das nicht paradox? 
       
       Drosten: Man kann inzwischen auch virologisch belegen, dass sich das
       Vogelgrippevirus in den USA schon ein Stück an Säugetiere angepasst hat.
       Und das, was dabei herauskommen könnte, kann sicherlich so gefährlich sein
       wie das, was auch in den Experimenten von Ron Fouchier bearbeitet wurde.
       
       taz: Es wird aber viel weniger überwacht als im Labor. 
       
       Drosten: Ja, das findet in sehr großen Milchviehbetrieben mit Tausenden
       Tieren statt, die das Virus weitergeben und vermehren können. Wir wissen
       inzwischen: Auch Menschen werden dadurch infiziert.
       
       taz: Die potenzielle Bedrohung durch ein Laborvirus wird viel intensiver
       wahrgenommen als die reale Bedrohung durch ein in
       Massentierhaltungsbetrieben zirkulierendes Virus. 
       
       Drosten: Das ist auch in gewisser Weise verständlich. Es ist eine monströse
       Vorstellung, dass in einem Labor ein gefährliches Virus entwickelt wird,
       das dann vielleicht durch Schlamperei entweicht, und am Ende haben wir eine
       Pandemie.
       
       taz: Genau so ein Laborunfall wird immer noch als Auslöser der
       Coronapandemie diskutiert. Welche Rolle spielt diese Debatte in
       Deutschland? 
       
       Drosten: Ich glaube durchaus, dass viele Menschen in Deutschland sich dafür
       interessieren. Im Vergleich wird die Diskussion allerdings in den USA viel
       schillernder geführt, viel kontroverser. Dort kommen auch Informationen aus
       Ministerien und Sicherheitsbehörden in die Öffentlichkeit, ohne dass Belege
       geliefert werden. Das stimuliert natürlich hitzige Diskussionen.
       
       taz: Liegt es auch an Ihnen, dass in Deutschland weniger hitzig diskutiert
       wird? Schließlich haben Sie von Anfang an vehement argumentiert, dass ein
       natürlicher Ursprung wahrscheinlicher ist als ein Laborunfall. 
       
       Drosten: Die Vehemenz wurde mir vielleicht nachgesagt, aber so war das nie.
       Ich habe einfach das wiedergegeben, was wir in meinem Wissenschaftsfach
       wissen. Und ich muss auch darauf hinweisen, dass sich die Datenlage seit
       2020 weiterentwickelt hat und meine Bewertung ebenso.
       
       taz: Beginnen wir von vorne. 2019 tritt das Virus, das wir später
       Sars-CoV-2 nennen, das erste Mal gehäuft im Umfeld des Markts im
       chinesischen Wuhan auf. Dort wurden auch Tiere gehandelt, die als typische
       Überträger auf den Menschen gelten. In Wuhan gibt es allerdings, und das
       ist sicher der Ursprung für alle Spekulationen, auch ein Labor, das an
       Sars-Viren forscht. 
       
       Drosten: Das Institut in Wuhan ist eines der größten Forschungsinstitute
       für Virologie in [1][China]. Nach der ersten Sars-Epidemie im Jahr
       2002/2003 wurde dort, aber auch in Peking und anderen Orten, an Sars
       gearbeitet. In Wuhan gibt es eine Arbeitsgruppe, die relativ früh die
       Verbindung zwischen dem Sars-1-Virus und Fledermäusen gefunden hat, und
       diese Arbeitsgruppe hat seitdem weiter daran gearbeitet. Ich kannte die
       leitende Wissenschaftlerin aus dem Forschungsfeld.
       
       taz: Als Sie die ersten Nachrichten über ein unbekanntes Virus aus Wuhan
       gehört haben, kam Ihnen das nicht komisch vor? Ausgerechnet Wuhan. 
       
       Drosten: Nein. Meine Assoziation war eher: Das trifft sich ja gut, dann ist
       direkt jemand vor Ort, der sich damit befassen kann. Ich hatte gleich am
       Anfang die leitende Wissenschaftlerin kontaktiert und hatte den Eindruck,
       sie weiß selbst noch nicht, was genau passiert, befasst sich aber
       erwartungsgemäß direkt damit. Dann hat aber schnell das Zentrum für
       Krankheitskontrolle aus Peking übernommen, wie sie sagte.
       
       taz: Sie glaubten jedenfalls an einen natürlichen Ursprung. 
       
       Drosten: Das halte ich immer noch für wahrscheinlich und das nehmen auch
       fast alle Wissenschaftler an, die mit dem Thema befasst sind. Annehmen
       heißt aber nicht wissen.
       
       taz: Was meinen Sie mit Wissenschaftlern, die damit befasst sind? 
       
       Drosten: Das sind Wissenschaftler, die in dem spezifischen Feld forschen
       und Detailkenntnis haben. Im Gegensatz dazu argumentieren manche Experten
       aus einer entfernten Perspektive, ohne Detailkenntnis. Die sind sicherlich
       gute Wissenschaftler in ihrem Feld, aber eben nicht in diesem.
       
       taz: Und was sagen die Wissenschaftler*innen mit Detailkenntnis? 
       
       Drosten: Da passt eigentlich alles zusammen: Die frühen Infektionen hatten
       eine räumliche Verbindung zum Markt. Dort gab es die Zwischenwirte,
       Marderhunde, und das Virus wurde genau da auf dem Markt gefunden, wo auch
       diese Tiere verkauft wurden. Auf dem Markt hat man auch die frühen beiden
       Viruslinien gefunden, von denen die Pandemie ausging. Diese Linien sind
       geringgradig unterschiedlich und gehen nicht auf einen bekannten
       gemeinsamen Vorfahren im Menschen zurück. Der Mensch hat also mit einiger
       Wahrscheinlichkeit das Virus mehrmals erworben, und das passt eher zu
       Infektionen an einer Gruppe von Tieren als im Labor. Natürlich könnten sich
       die Markttiere auch an infizierten Menschen angesteckt haben, aber
       wahrscheinlicher ist eine Infektion des Menschen am Tier, wie auch bei
       Sars-1.
       
       taz: Das klingt nach indirekten Indizien. 
       
       Drosten: Richtig, das sind alles nur Indizien. Ein Beweis fehlt für den
       natürlichen Ursprung genauso wie für den Laborursprung. Und das
       Frappierende ist, dass der Beweis für den natürlichen Ursprung eigentlich
       erbracht werden könnte. Chinesische Wissenschaftler haben dafür alle
       technischen Möglichkeiten. Es ist medienbekannt, wenn auch für mich nicht
       überprüfbar, dass zu der Zeit auf dem Markt und auch in Zuchtbetrieben
       bestimmte Tierarten, die als Wirte im Verdacht stehen, gekeult wurden. Und
       es ist für mich schwer denkbar, dass so etwas passiert, ohne dass Proben
       genommen und getestet werden. Bei dem Sars-1-Ausbruch 2002/2003 hat es ein
       paar Jahre gedauert, aber dann kamen immer mehr Studien aus China, die
       wasserdicht gemacht haben, dass dieses Virus aus solchen Tieren kommt.
       
       taz: Das hätten Sie hier auch erwartet? 
       
       Drosten: Ja, und ich muss sagen, je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer
       werde ich. Verbietet die Staatsräson, dass daran gearbeitet wird? Mag sein.
       Die andere Erklärung wäre aber, dass da gar kein natürliches Virus war. Die
       Politik sollte nach all den Jahren deutlicher die Forderung an China
       stellen, jetzt wirklich zu beweisen, dass es aus der Natur kommt.
       
       taz: Wenn Sie jetzt sagen, dass dieses Virus vielleicht doch aus dem Labor
       kam, wird das für Aufruhr sorgen.
       
       Drosten: Das würde ich so direkt auch nicht postulieren. Es ist aber nicht
       dasselbe, wenn wir im Jahr 2020 den Beleg für einen natürlichen Ursprung
       noch nicht haben, wie wenn wir im Jahr 2025 diesen Beleg immer noch nicht
       haben.
       
       taz: Das Sars-CoV-2-Virus verfügt über eine besondere Eigenschaft, die es
       so übertragbar beim Menschen macht. 
       
       Drosten: Das ist eine Viruseigenschaft, die berechtigterweise erst einmal
       zu Stirnrunzeln führt: die sogenannte Furinspaltstelle. Das ist etwas
       kompliziert, aber wir müssen uns kurz die Zeit nehmen zu verstehen, was das
       ist.
       
       taz: Nur zu. 
       
       Drosten: Sie kennen doch diese Transportsicherungen bei Schränken oder
       Waschmaschinen – erst wenn man die abmacht, klappt die Tür auf oder dreht
       sich die Trommel. Und die Furinspaltstelle ist quasi ein Werkzeug, das beim
       Virus mitgeliefert wird, um seine Transportsicherung zu entfernen. Das
       Virus wird dadurch aktiviert und kann sich in den Atemwegen von Säugetieren
       besser ausbreiten. Bei dem Sars-1-Virus und seinen Verwandten in Tieren
       hatte man diese Furinspaltstelle vor der Pandemie nicht beobachtet, und das
       ist das Hauptargument der Verfechter der Laborursprungstheorie: Wenn es die
       sonst nicht gibt, muss die da jemand künstlich reingebaut haben.
       
       taz: Das sehen Sie anders? 
       
       Drosten: Wir kennen solche Furinspaltstellen aus anderen Coronaviren und
       wir wissen von Influenzaviren, dass sie durch Mutation in der Natur
       entstehen und das Virus damit plötzlich hochansteckend ist für Tiere und
       Menschen. Das Vorkommen dieser Furinspaltstelle bei Sars-CoV-2 ist zwar
       auffällig, aber das ist erst mal ein Phänomen, das nichts beweist.
       
       taz: Inzwischen ist aber bekannt, dass in Wuhan Forschung in diese Richtung
       geplant war. 
       
       Drosten: In meiner Anfangseinschätzung zum Virusursprung wusste ich davon
       noch nichts. 2021 wurde mithilfe des amerikanischen
       Informationsfreiheitsgesetzes veröffentlicht, dass amerikanische
       Wissenschaftler bereits 2018 einen Antrag auf Forschungsfinanzierung
       gestellt hatten für Arbeiten, die in meiner Bewertung durchaus nicht
       harmlos sind. Das Labor in Wuhan ist in diesem Förderantrag als Partner
       genannt.
       
       taz: Um was genau handelte es sich dabei? 
       
       Drosten: Man wollte Sars-Viren aus Fledermäusen ins Labor bringen und
       isolieren. Für den Fall, dass man es nicht schafft, diese Viren in
       Zellkulturen zur Vermehrung zu bringen, wollte man ihnen künstlich
       ausgerechnet eine Furinspaltstelle einsetzen. Das ist aus diesem
       Blickwinkel durchaus besorgniserregend.
       
       taz: Ist das vergleichbar mit dem, was Ron Fouchier damals gemacht hat? 
       
       Drosten: Es ist anders. Ron Fouchier hat verschiedene in der Natur
       vorkommende Veränderungen von H5N1-Viren im Labor zusammengetan, um zu
       schauen, ob das Virus dadurch gefährlicher wird. Solche Kombinationen
       entstehen auch in der Natur. Wenn ich dagegen Sars-Viren eine künstliche
       Furinspaltstelle einsetzen würde, dann würde ich etwas machen, das
       möglicherweise in der Natur noch gar nicht da ist und von dem ich schon
       vermuten könnte, dass es das Virus übertragbarer macht.
       
       taz: Und welcher Nutzen läge darin? 
       
       Drosten: Zunächst ein technischer Nutzen, denn diese Viren lassen sich
       normalerweise gar nicht in Zellkultur vermehren. Das ist aber die
       Voraussetzung, um die Viren gründlich zu untersuchen. Erst dann könnte man
       auch beispielsweise einen Impfstoff gegen sie entwickeln. In dem
       Forschungsantrag wurde argumentiert, dass man Viren aus Fledermäusen
       vielleicht durch eine Furinspaltstelle dazu bringen könnte, sich im Labor
       besser untersuchen zu lassen.
       
       taz: Aber der Antrag wurde abgelehnt? 
       
       Drosten: Richtig, wohl auch aus Sicherheitsüberlegungen. In der
       Öffentlichkeit stellt man aber zurecht die Frage, ob chinesische
       Wissenschaftler vielleicht dennoch daran gearbeitet haben. Hatten sie
       bereits die Technologie dafür? Würden sie diese Art der Forschung auch in
       Eigenregie durchführen? Ich habe das lange bezweifelt. Aber in jüngster
       Zeit habe ich manchmal ein ungutes Gefühl.
       
       taz: Warum? 
       
       Drosten: Ich werde regelmäßig von wissenschaftlichen Journalen angefragt,
       Beiträge von anderen Wissenschaftlern zu begutachten. Was mir in letzter
       Zeit manchmal untergekommen ist, waren eingereichte Arbeiten aus China, die
       durchaus in diese Richtung gehen. Nicht speziell am Sars-Virus, dagegen
       sind wir jetzt ohnehin alle immun. Aber es gibt in Tieren noch andere
       zoonotische Viren, auch Coronaviren, die gefährlich sein könnten. Die würde
       man eigentlich im Labor nur mit gesteigerten Sicherheitsauflagen handhaben.
       Das wird aus diesen Studien aber manchmal nicht ganz klar. In letzter Zeit
       habe ich Arbeiten vorgelegt bekommen, die würde ich so hier nicht machen,
       und ich weise dann bei der Begutachtung auch darauf hin, dass das
       gefährlich sein könnte.
       
       taz: Solche Forschung wird in China gemacht und die Ergebnisse werden auch
       hier bekannt? 
       
       Drosten: Wissenschaftler machen ja ihre Forschung nicht, um sie
       geheimzuhalten. Die Veröffentlichung ist das Ziel und der Lohn der Arbeit.
       Und diesen Antrieb gibt es natürlich nicht nur in der westlichen
       Hemisphäre. Gerade in China sieht man den schnellen technologischen
       Fortschritt wie eben auch in anderen Spitzengebieten der Technik. Rein aus
       dieser Perspektive betrachtet ziehe ich vor solchen Arbeiten meinen Hut.
       Aber es wird manchmal nicht klar, wie konsequent hier die Regulation und
       Kontrolle greift und ob die überhaupt so ausgeprägt ist wie bei uns.
       
       taz: In der Debatte um Ron Fouchiers Forschung hatten Sie sich noch gegen
       zu starke Regulierung ausgesprochen. Offenbar hat sich Ihre Bewertung auch
       hier verändert? 
       
       Drosten: Sie beziehen sich auf eine Expertenstellungnahme, die 15 Jahre alt
       ist und die ich mitunterzeichnet habe. In der Wissenschaft ändert sich aber
       immer wieder die Faktenbasis und daran muss man auch seine Einschätzungen
       weiterentwickeln. Je mehr die Technik fortschreitet und je breiter sie
       angewendet wird, desto mehr Möglichkeiten gibt es auch für gefährliche
       Folgen.
       
       taz: Wie können wir diese Risiken eindämmen? 
       
       Drosten: Die Frage stellt sich ganz unabhängig von der
       Laborursprungstheorie. Das Rätsel, wie es zur Coronapandemie kam, klären
       wir vielleicht nie auf. Aber nach vorne gedacht ist doch die Frage, ob es
       eine bindende Übereinkunft zu gefährlicher Forschung an Viren auf UN- oder
       WHO-Ebene geben kann und welche Durchgriffsrechte es da gäbe.
       
       taz: Der WHO-Pandemievertrag ist gescheitert. Nur ein paar Jahre nach der
       Pandemie rücken die Länder schon wieder auseinander. Ganz aktuell wollen
       die USA aus der WHO austreten. 
       
       Drosten: Eine Chance, die wir vielleicht haben, ist so eine Art Soft Power
       in der Wissenschaft. Wir könnten sagen, dass wir zur Veröffentlichung
       eingereichte Arbeiten nur begutachten, wenn klargestellt ist, unter welchen
       Bedingungen sie genau gemacht wurden, wo die Virussequenzen dokumentiert
       sind und ob gefährliches Material nach Ende der Arbeiten wirklich zerstört
       wurde. Auch die renommierten wissenschaftlichen Journale könnten einen
       gemeinsamen Kriterienkatalog aufstellen.
       
       taz: Ist das realistisch? 
       
       Drosten: In der westlichen Forschungswelt passiert das längst. Schon die
       bloße Spekulation um einen Laborursprung führt dazu, dass experimentelle
       Planungen noch kritischer und selbstkritischer angeschaut werden. Man macht
       einfach keine Arbeiten, die wirklich gefährlich sind. Und zusätzlich zu
       dieser Selbstkontrolle gibt es natürlich eine durchgehende behördliche
       Regulation und Überwachung der Arbeiten.
       
       taz: Ende vergangenen Jahres gab es eine Konferenz zur wissenschaftlichen
       Aufarbeitung der Coronapandemie in Japan. 
       
       Drosten: Ja, da war ich auch.
       
       taz: Eine Wissenschaftlerin sagte dort, dass wir uns in einer Welt bewegen,
       in der niemand mehr etwas von Covid hören will. 
       
       Drosten: Das war die Epidemiologin Maria van Kerkhove von der WHO. Auf
       einer ihrer Vortragsfolien hatte sie die Überschrift „Erinnert ihr euch?“
       durchgestrichen und drübergeschrieben „Habt ihr vergessen?“. Das hat mich
       sehr beeindruckt. Sie illustrierte damit, was in der öffentlichen
       Wahrnehmung längst passiert ist: Wir koppeln uns ab von einer realistischen
       Rekonstruktion der Ereignisse. Manche Wissenschaftler haben die
       essenziellen Kennzahlen vergessen, und die meisten Privatpersonen haben die
       wahrgenommene und reale Bedrohung verdrängt.
       
       taz: Das sind wahrscheinlich natürliche Abwehrreflexe. 
       
       Drosten: Ja, das mag gesund sein.
       
       taz: Warum sollten wir diesem „Bleib mir weg mit Corona“ trotzdem nicht
       nachgeben? 
       
       Drosten: Wir werden ja auch Generationen nach uns haben, die irgendwie mal
       in die Dokumente schauen wollen. Denken Sie mal an die Spanische Grippe,
       die letzte Pandemie dieses Schweregrades: Hätten wir die Aufbereitung
       präsent gehabt, dann hätten wir vieles schon wissen können, was passieren
       wird.
       
       taz: Zukünftige Generationen … das ist doch den Leuten zu abstrakt.
       
       Drosten: Populäre Politik kann sich kurzfristig über Tatsachen
       hinwegsetzen, aber langfristig wird sich das rächen. Jetzt, wo die Gefahr
       überwunden ist, lässt es sich wohlfeil argumentieren. Aber
       wissenschaftliche Tatsachen sind weder verhandelbar noch bequem oder
       populär. Im politischen Raum sehen wir jetzt allerhand unsaubere
       Argumentation, von Verwechslungen und Auslassungen bis hin zu absichtlich
       gestreuten Fehlinformationen. Man muss aufpassen und populistische
       Strategien erkennen. Wenn wir den Anspruch haben, unsere demokratischen
       Entscheidungen anhand von Tatsachen zu treffen, dann müssen wir uns in der
       Breite der Gesellschaft darum bemühen.
       
       taz: Klingt anstrengend. Auch dieses Interview ist kein leichter Stoff. 
       
       Drosten: Mitdenken ist anstrengend. So ist das nun mal.
       
       24 Jan 2025
       
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