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       # taz.de -- Repressionen in Bayern: Klima-Aktivistin darf nicht Lehrerin werden
       
       > Der Freistaat Bayern verweigert einer Lehramtsstudentin einen
       > entscheidenden Schritt ihrer Berufsausbildung. Die Begründung: ihr
       > Anti-Kapitalismus.
       
   IMG Bild: Berufsverbot: Lisa Pöttinger, hier im Jahr 2021, hat in Bayern auf Lehramt studiert und sich für Klimaschutz engagiert
       
       Die Lehramtsstudentin und Klima-Aktivistin Lisa Poettinger darf ihr
       Referendariat nicht antreten. Das hat das von den Freien Wählern geführte
       bayerische Bildungsministerium entschieden. Das steht in einem Schreiben,
       das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, [1][die zuerst berichtete]. Ohne
       Referendariat kann Poettinger nicht Lehrerin werden.
       
       Poettinger organisierte im vergangenen Jahr die Demos gegen Rechts in
       München mit. Außerdem protestierte sie gegen die Automesse IAA und
       beteiligte sich an der Besetzung des Dorfes Lützerath, als es für den
       Braunkohleabbau [2][von der Polizei geräumt wurde].
       
       Das bayerische Ministerium begründet seine Entscheidung damit, Poettingers
       Tätigkeit und Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen vertrage
       sich nicht mit den Pflichten einer Beamtin.
       
       Laut SZ ist damit das „Offene Antikapitalistische Klimatreffen München“
       gemeint, das legal ist. Die Juristin Laura Kuttler von der Gesellschaft für
       Freiheitsrechte GFF sagte der taz, das Ministerium könne trotzdem „in der
       Gesamtschau“ aus der Mitgliedschaft, ihrem öffentlichen Auftreten und
       öffentlichen Äußerungen die Nicht-Eignung für den Lehrerberuf ableiten.
       
       Dazu gehört dem Ministerium zufolge, dass Poettinger die Automesse IAA in
       einem Interview als ein „Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von
       Mensch, Umwelt und Klima“ bezeichnet hatte. „Profitmaximierung“, schreibt
       das Ministerium der SZ zufolge, „ist eine den Begrifflichkeiten der
       kommunistischen Ideologie zuzuordnende Wendung. Die kommunistische
       Ideologie ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht
       vereinbar.“
       
       Allerdings definiert „Gaeblers Wirtschaftslexikon“ – dem Extremismus
       unverdächtig – Profitmaximierung als „Verhaltensannahme der
       Wirtschaftswissenschaft, nach der das Ziel der Unternehmung die Maximierung
       des Gewinns ist.“ [3][Auch der Papst verkündete 2015], die Prinzipien der
       Profitmaximierung dienten einem „System, das dazu neigt, jeglichen Kontext
       und Auswirkung auf die Menschenwürde und die Umwelt zu ignorieren“.
       Juristin Kuttler bezweifelt deswegen, dass es mit der Meinungsfreiheit
       vereinbar ist, Poettinger wegen ihrer Kritik an „Profitmaximierung“ vom
       Referendariat auszuschließen.
       
       Der SZ sagte Poettinger, sie sei zwar Marxistin, aber gleichzeitig
       überzeugte Verfechterin von Grundgesetz und Bayerischer Verfassung. Dabei
       beruft sich die 28-Jährige auf das Bundesverfassungsgericht. Einem Urteil
       von 1979 zufolge nimmt das Grundgesetz „keine unmittelbare Festlegung und
       Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung“ vor.
       
       Das Bildungsministerium sehe aber zum Beispiel im Slogan „System Change not
       Climate Change“, den Poettinger verwendet, nicht bloß einen Aufruf zu
       Klimaneutralität, sondern zum politischen Umsturz, berichtet die SZ.
       
       Juristin Laura Kuttler zufolge stellt sich grundsätzlich die Frage, ob ein
       faktisches Berufsverbot für Poettinger angemessen ist. Schließlich müsse
       das Ministerium abwägen zwischen seinem legitimen Interesse, Schulen von
       Extremismus freizuhalten, und der Berufsfreiheit. Das gelte besonders, wenn
       Poettingers Verhalten „ihre zukünftige Amtsführung nicht beeinflusst“, wenn
       sie also ihre Rolle als Lehrerin und Aktivistin auseinanderhalte.
       
       Denn das Ministerium wirft Poettinger außerdem vor, durch ihre Äußerungen
       und Aktivitäten das Ansehen des Berufsstands sowie das Vertrauen der
       Öffentlichkeit in die Führung des Amts zu beeinträchtigen. „Wenn Frau
       Poettinger als Aktivistin keinen Bezug zu ihrer Arbeit herstellt, halte ich
       es nicht für möglich, das herzuleiten“, sagte Kuttler. Auch wenn an einer
       Schule [4][einzelne Eltern Poettingers politische Haltung missbilligen
       sollten], reicht das Kuttler zufolge nicht aus, um sie vom Referendariat
       auszuschließen.
       
       Neben Poettingers Aktivismus will das Bildungsministerium sie wegen
       mehrerer Gerichtsverfahren nicht zum Referendariat zulassen. Poettinger
       wird darin der SZ zufolge vorgeworfen, bei der Räumung von Lützerath
       Widerstand gegen einen Vollstreckungsbeamten geleistet zu haben sowie einen
       Vollstreckungsbeamten tätlich angegriffen zu haben.
       
       In einer offiziellen Stellungnahme dazu soll Poettinger an das Ministerium
       geschrieben haben: „Ich sehe es als meine Pflicht, unsere Lebensgrundlagen
       zu schützen. So gehören auch Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt
       zu den obersten Bildungszielen Bayerns.“
       
       Juristin Kuttler sagte, mit den Verfahren gegen Poettinger sei die
       Entscheidung des Ministeriums noch am ehesten zu begründen – aber zunächst
       gelte die Unschuldsvermutung, schließlich laufen die Verfahren noch.
       
       Poettinger [5][hat auf X angekündigt], gegen die Entscheidung des
       Ministeriums zu klagen. Das Ministerium wollte sich auf Anfrage der taz
       nicht zu Poettinger äußern.
       
       27 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.sueddeutsche.de/politik/lehrer-berufsverbot-bayern-aktivismus-li.3186273?reduced=true
   DIR [2] /Proteste-gegen-die-Raeumung-von-Luetzerath/!5906173
   DIR [3] /Vatikan-unterzeichnet-Klimakonvention/!5259311
   DIR [4] /Klimaschutz-an-Schulen/!6058936
   DIR [5] https://x.com/lisapoettinger/status/1883594627913331193
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jonas Waack
       
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