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       # taz.de -- Freistaat gegen Klimaaktivistin: Bayern außer Kontrolle
       
       > Eine Lehramtsstudentin bekommt kein Referendariat. Bayern wirft der
       > Klimaaktivistin „kommunistische Ideologie“ vor. Das ist falsch und
       > gefährlich.
       
   IMG Bild: Lisa Poettinger unterrichtet bei einer Großdemonstration gegen Rechts in München 2024
       
       Lisa Poettinger ahnte bereits, was auf sie zukommt. Vor wenigen Monaten
       erzählte die angehende Lehrerin in einem Interview, wie der Bayerische
       Staat auf ihr Engagement bei [1][„Extinction Rebellion“] reagierte: Er
       schickte Mitarbeiter des Bayerischen Staatsschutzes zu ihr nach Hause.
       
       Eine Gefährderansprache, die eine unmissverständliche Warnung
       transportieren sollte: Wenn du dich auf diese Weise für Klimaschutz
       einsetzt, verbaust du dir damit schnell deine Zukunft. Vier Jahre später
       hat der Freistaat seine Drohung wahr gemacht. Poettinger, die mittlerweile
       ihr Studium abgeschlossen hat, darf ihr Referendariat nicht antreten.
       
       Es ist schwer zu sagen, was an dieser Entscheidung dümmer ist. Die
       Engstirnigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, oder die Begründung, mit der
       der Staat ihr einen legitimen Anstrich verpassen möchte. So wird der
       28-Jährigen allen Ernstes zum Vorwurf gemacht, die [2][Internationale
       Automobil-Ausstellung] in München öffentlich als „Symbol für
       Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima“ bezeichnet zu
       haben – was die Veranstaltung wahrscheinlich auch für die meisten
       gemäßigten Bürger:innen durchaus trefflich zusammenfasst.
       
       Das Bayerische Kultusministerium hingegen will in der Formulierung eine
       „kommunistische Ideologie“ erkennen. Und die scheint heute offenbar noch
       genauso für Berufsverbote herhalten zu müssen wie zu Franz-Josef Strauß’
       Zeiten.
       
       ## Vergewaltiger blieb dagegen verbeamtet
       
       Auch an Hochschulen in Bayern gibt es immer wieder Fälle, in denen der
       Verfassungsschutz Karrieren beendet – etwa an der Technischen Universität
       München, als 2022 ein Geoinformatiker wegen seines politischen Engagements
       eine bereits zugesagte Stelle wieder verlor. In Bayern reicht dazu, beim
       Studierendenverband der Linkspartei SDS aktiv zu sein.
       
       Ein anderer Fall, der sich im Dezember zutrug, zeugt davon, dass Bayrische
       Gerichte auch durchaus anders entscheiden können. Da erhielt [3][ein
       Feuerwehrmann, der eine Frau vergewaltigt hatte], eine mildere Strafe, um
       seinen Beamtenstatus nicht zu gefährden.
       
       Wenn es jedoch um Extremismus von links geht – oder das, was CSU und Freie
       Wähler darunter verstehen – scheint der Landesregierung jedes Maß verloren
       gegangen zu sein. Das gilt allen voran für die konsequenten Forderungen der
       jüngeren Generationen nach Klimaschutz.
       
       ## Klimaproteste seien „Terrorismus“
       
       Wer sich in Bayern dafür einsetzt, muss schon länger mit Repressalien
       rechnen. Siehe den Umgang mit den Aktivist:innen der „Letzten
       Generation“. [4][Zwischenzeitlich knastete der sogenannte Freistaat mehr
       als 20 von ihnen „präventiv“ in Haft] – die darauffolgende Rüge des
       UN-Sonderberichterstatters für Umweltschützer interessierte in München
       niemanden. Offenbar auch nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts,
       das die Legitimität der Proteste unterstrich.
       
       Stattdessen ist Söders Bayern vorne mit dabei, verzweifelte Klimaproteste
       als Terrorismus zu etikettieren. Da ist es eigentlich fast schon
       konsequent, den Personen auch in der Berufswahl Steine in den Weg zu legen:
       einmal non grata, immer non grata.
       
       In Bezug auf die Schulen ist diese Haltung jedoch fatal: Wenn der Staat nun
       damit beginnt, gesellschaftskritische Lehrkräfte von den Schulen
       fernzuhalten, offenbart sich ein verheerendes Missverständnis in Bezug auf
       die Rolle von Pädagog:innen. Noch immer begreifen die Ministerien (nicht
       nur in Bayern) ihre Beamt:innen als reine Exekutivorgane, die als
       Beamt:innen privilegiert behandelt werden, dafür bitte aber sonst die
       Klappe halten sollen.
       
       ## Poettinger wehrt sich – zurecht
       
       Wer aber möchte, dass junge Menschen im kritischen Denken geschult werden,
       braucht keine vorwiegend loyalen Staatsdiener:innen, sondern
       Demokrat:innen. Solche, die sich die Zeit nehmen, in Geografie über die
       Menschenrechtsverletzungen von Frontex zu reden, die in Politik die
       verheerende Klimapolitik der Bundesregierung behandeln und in Sozialkunde
       über die falschen Verheißungen des Kapitalismus aufklären. Themen, die in
       den Schulbüchern übrigens oft gar nicht vorkommen.
       
       Es ist gut, dass sich Lisa Poettinger wehrt und gegen die Entscheidung des
       Ministeriums vorgehen möchte. Man kann nur hoffen, dass ihre Klage Erfolg
       hat.
       
       Erstens, weil die der bayerische Staat mit dieser unfassbaren Nummer nicht
       einfach durchkommen sollte. Zweitens, weil sich Poettinger nach eigenen
       Aussagen besonders um Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen kümmern
       möchte – und damit besonders wertvoll an einer Schule wäre. Und drittens,
       weil Schüler:innen unbedingt aus erster Hand hören sollten, wie schnell
       auch in Bayern demokratische Selbstverständlichkeiten abgeräumt werden
       können.
       
       27 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Extinction-Rebellion/!t5602581
   DIR [2] /Protest-gegen-Automobilausstellung-IAA/!5956556
   DIR [3] /Rape-culture-in-der-Justiz/!6053239
   DIR [4] /Vorbeuge-Gewahrsam-in-Bayern/!5898321
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
       
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