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       # taz.de -- Körperverletzung im Amt: Polizist:innen bringen Polizist vor Gericht
       
       > Nur selten landen Polizisten, die im Dienst jemanden angegriffen und
       > verletzt haben sollen, auch vor Gericht. In Hamburg wurde so ein Fall
       > verhandelt.
       
   IMG Bild: Der Angeklagte G. und seine Anwältin Jaleesa Lienau: Polizist muss Strafe wegen Körperverletzung im Amt zahlen
       
       Hamburg taz | Polizist:innen stellen im Gericht grundsätzlich erst mal
       kein seltenes Bild dar, sie sind häufig als Zeug:innen geladen. [1][Auf
       der Anklagebank sitzen sie eher selten.] Der Prozess, der am Dienstag vor
       dem Amtsgericht in Hamburg St. Georg stattfand, war daher nicht alltäglich.
       Auf der Anklagebank: Der Polizist G., der sich wegen Körperverletzung im
       Amt verantworten musste. Angezeigt hatten ihn: seine Kolleg:innen.
       
       Bei einem Einsatz im März 2022 soll G. sich offenbar ohne rechtfertigenden
       Grund mit dem Knie auf das Genick eines Festgenommenen fallengelassen
       haben, das wirft die Staatsanwaltschaft dem Beamten des Kommissariats 42
       vor. Das Opfer, P., habe dabei „mit den Händen auf dem Rücken gefesselt vor
       ihm“ gelegen, so die Anklage.
       
       Anschließend soll der Angeklagte dem Geschädigten mindestens zweimal mit
       der Faust gegen den Kopf geschlagen haben. Laut Anklage erlitt der
       Geschädigte dadurch Luftnot und Schmerzen, Hämatome sowie Hautabschürfungen
       am Kopf. Gegen G. wurde Strafbefehl verhängt, er sollte eine Geldstrafe von
       120 Tagessätzen zu 80 Euro zahlen. Dagegen legte der Angeklagte Einspruch
       ein und nun traf man sich vor Gericht.
       
       Gleich zweimal erinnerte Richter Sven Schulze den Angeklagten an die
       Möglichkeit, den Strafbefehl einfach hinzunehmen – einmal zu Prozessbeginn
       und erneut nach zwei Stunden Verhandlung. So ein richterlicher Hinweis ist
       ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass am Ende des Verfahrens kein Freispruch
       stehen wird. Aber G. hielt seinen Einspruch gegen den Strafbefehl aufrecht.
       
       Der Angeklagte wollte sich zu den Vorwürfen äußern, erzählte von einem
       Tritt des am Boden liegenden P., der ihn zu seinem Verhalten veranlasst
       habe. Der Richter fragte mehrmals nach, warum es wegen dieses Tritts denn
       keine Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gegeben habe.
       Das sei bei der Polizei doch so üblich. Hierauf weiß der Angeklagte keine
       Antwort.
       
       Von dem besagten Tritt erzählen auch die Zeug:innen nichts, die im
       Anschluss vernommen werden. G. war nämlich nicht als einziger im
       Polizeikommissariat 42 vor Ort. Zwei Beamte vom Gefangenentransport, sowie
       zwei Streifenpolizist:innen, die sich zufällig vor dem Revier
       aufhielten, haben das Geschehen mitbekommen. Auch auf der Wache hatte neben
       G. ein weiterer Kollege Dienst. Drei von ihnen werden vor Gericht als
       Zeug*innen befragt.
       
       Alle sagen aus, dass der Geschädigte P. in den Gefangenentransport
       verbracht werden sollte. Nach einer „Abwehrbewegung“ von P., wie es einer
       der Polizist:innen beschreibt, wurde dieser zu Boden gebracht. Die
       Streifenpolizist:innen traten hinzu, fixierten ihn und legten ihm
       Handschellen an. Alle Zeug:innen geben an, dass die Situation ihrer
       Ansicht nach unter Kontrolle war. P. habe sich bereiterklärt, zurück in
       seine Zelle zu gehen, berichtet einer der Streifenpolizist:innen.
       
       Dann soll G. hinzugetreten sein und die Situation eskalierte. Einen Tritt
       habe auch die Streifenpolizistin nicht gesehen, obwohl sie sich während des
       Geschehens an den Beinen des Geschädigten befand. Ob der Angeklagte G.
       tatsächlich auf dem Genick oder auf dem Rücken des Geschädigten kniete,
       geht aus den Aussagen nicht klar hervor.
       
       ## Zu wenig Aufarbeitung von Polizeigewalt
       
       Polizeigewalt kommt immer wieder vor und ist in der öffentlichen Debatte
       immer wieder Thema. [2][Erst vor vier Tagen berichtetet der NDR über
       mutmaßliche Fälle von Körperverletzung im Amt in Kiel. Ausgeübt vom
       Polizisten.]
       
       Doch wie sieht es vor Gericht aus? [3][Laut einer Studie des
       Forschungsprojektes „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt:innen“
       (KviAPol) aus dem Jahr 2023] gibt es bei Polizeigewalt ein großes
       Dunkelfeld. Seit 2018 wertete die Forschungsgruppe polizeiliche
       Gewaltanwendung und deren strafrechtliche Aufarbeitung aus. Das Ergebnis
       lautet: Selbst wenn Geschädigte tatsächlich Anzeige erstatten, landen die
       wenigsten Fälle vor Gericht. Im Jahr 2021 führten 2.270
       Ermittlungsverfahren zu [4][nur 27 Verurteilungen].
       
       So gesehen ist der Fall, der am Dienstag vor dem Amtsgericht in St. Georg
       verhandelt wird, von Bedeutung. Denn hier waren es die für den
       Gefangenentransport verantwortlichen Polizist:innen, die ihren Kollegen G.
       anzeigten. Auch die Streifenpolizist:innen wollten nach eigener
       Aussage Anzeige erstatten. Zwei Zeug:innen gaben vor Gericht zu, es sei
       nicht leicht, gegen eigene Kollegen vorzugehen. Oft ist aber genau das
       entscheidend.
       
       Immer wieder sieht sich die Polizei Vorwürfen ausgesetzt, sich gegenseitig
       zu decken. Dieser Corpsgeist begünstige Polizeigewalt. Diese Vorwürfe
       decken sich mit Ergebnissen der Studie. Die Forschungsgruppe sieht die
       Hinweise für Solidarisierungseffekte zwischen Polizeibeamt:innen, wenn
       ein:e Kolleg:in angezeigt wird. Gleichzeitig seien es aber gerade
       Polizeibeamt:innen, die von Staatsanwält:innen und Richter:innen als
       besonders glaubwürdig eingeschätzt werden.
       
       Nachdem vor dem Amtsgericht in St. Georg drei Zeug:innen ausgesagt haben,
       wies Richter Schulze ein weiteres Mal auf die Möglichkeit hin, den
       Einspruch zurückzuziehen. Auch der Staatsanwalt stimmte zu, dem Angeklagten
       diese letzte Möglichkeit zu geben, obwohl die Aussagen der Zeug:innen
       nicht gerade entlastend waren. Nach der Mittagspause verkündete G.s
       Anwältin dann, dass sich ihr Mandant für die Rücknahme entschieden habe. Es
       bleibt also bei den 120 Tagessätzen für den Polizisten. Richter Sven
       Schulze richtet abschließende Worte an G.: „Wir alle sind auf die Polizei
       angewiesen und darauf, dass so was nicht passiert.“
       
       14 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Polizeigewalt-in-Deutschland/!5931901
   DIR [2] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Polizeigewalt-Kritik-an-Kieler-Einsatzkraeften,polizeigewalt312.html
   DIR [3] https://kviapol.uni-frankfurt.de/images/pdf/Zusammenfassung%20Gewalt%20im%20Amt.pdf
   DIR [4] /Prozess-zu-Polizeigewalt-in-Dortmund/!6051373
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marie Dürr
       
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